Who is afraid of Virginia Woolf …

… aus der wöchentlichen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET  – Das Wort zum Freitag“ von Ulrich B Wagner. Nach „Die Österreicher: Behaarte Frauen und Niedertracht“ folgt heute: „Who is afraid of Virginia Woolf … Über Paradoxien, Rituale und den ganz normalen Wahnsinn zwischenmenschlicher Kommunikation“.

 

Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.
Paul Watzlawick

 Wie sprechen Menschen mit Menschen?
Aneinander vorbei.
Kurt Tucholsky

Jeder Kanon von Dogmen und Glaubenslehren kommt mit einer Reihe von Ritualen, einer Reihe von Zwängen, die den Geist binden und den Menschen vom Menschen trennen.
Krishnamurti, Vollkommene Freiheit

 

Der tägliche Wahnsinn

Das ganze Leben ist ein Irrenhaus und hier ist die Zentrale, schallt es tagtäglich in Unternehmen, Beziehungen und Familien von Worpswede bis Sonthofen im schönen Süden durch Firmen, Schulen und Haushalte. Wir Deutsche haben sie ja nicht alle oder haben zumindest einen gewaltigen Sprung in der Suppenschüssel, die auch gerne als Gehirn bezeichnet wird, mögen Sie an dieser Stelle einwenden.

Doch noch einmal von vorne. Erinnern Sie sich noch an den 1966 unter der Regie von Mike Nicols entstandenen und mit dem Oscar ausgezeichneten Adaption des gleichnamigen Theaterstücks von Edward Albee Who is afraid of Virginia Woolf mit den Schauspiellegenden Liz Taylor und Richard Burton in den Hauptrollen?

Trailer und Filmszene aus „Who is afraid of Virginia Woolf“

Streitsucht und Misskommunikation im Alltag

„Sie sind das Skandalpaar des 20. Jahrhunderts: reich, vulgär und unverschämt sexuell. Mit ihrer Leidenschaft haben die »schönste Frau der Welt« und das »walisische Pockengesicht« vorgelebt, wie verhängnisvoll eine große Liebe werden kann …“ , stand es vor Jahren in einer Biografie der Zeitschrift PM.

Kein Schauspielerehepaar in der Welt war für die Rollen von George und Martha in diesem Film den ein amerikanischer Filmkritiker einmal als „ein Fegefeuer ehelicher Streitsucht“ beschrieb, so geeignet wie die Beiden. Die die Szenen und Dialoge dieses genialen Stückes, das weniger von seiner Handlung als von der Genialität der raschen, oft grausamen, bis hin ins vulgäre und ohne Gnade auf Verluste geführte Dialoge lebt, kannten sie wahrscheinlich aus ihrem eigenen Zusammenleben wie aus dem ff.

Das Stück spielt in den frühen, und mit Gewissheit auch extremst alkoholisierten, Stunden eines beliebigen Sonntagmorgens. Neben Martha und George spielen noch das junge Paar Nick und Putzi, wobei dieses sich – vor Ende des Stücks schon jeder Teilnahmefähigkeit durch Gin entzogen – auf dem Fußboden des Badezimmers wiederfindet. Was die anderen Protagonisten, insbesondere die beiden Hauptakteure dieses Lehrstücks in drei Akten zum Thema „Interaktion als System, symbolischer Kommunikation und Ritualisierungen zwischenmenschlicher Beziehungen“ nicht daran hindert, in einem Rausch psychologischer und niederträchtiger Kriegsführung in Dialogen aufeinander einzudreschen.

Zum Beispiel in diesem:

Martha: “Truth or illusion, George; you don’t know the difference.“
George: “No, but we must carry on as though we did.“
Martha: “Amen.“

An keiner anderen Stelle kann man so viel über Wahrheit und Illusion, Rituale und Ritualisierungen, ihre Dynamik und Faszination in zwischenmenschlichen Beziehungen erfahren und lernen wie hier. Ich für meine Person finde es immer wieder aufs neue faszinierend, unser Miteinander, sei es in Meetings oder Diskussionen, im beruflichen und/oder familiären Kontext, unter diesem Blickwinkel zu betrachten.

Rituale zwischenmenschlicher Beziehungen

Rituale sind nämlich mehr als Gewohnheiten, Bräuche oder Zeremonien. Rituale, diese bewussten oder auch unbewussten Regieanweisungen, definieren nämlich nicht nur die Beziehungen zu- und untereinander, sondern sind, wie es in einem Pressetext des Museums für Kommunikation in Bern so schön auf den Punkt gebracht wurde, unseren innere[n] Reiseführer zum Leben“.

Einverstanden, ohne Rituale, ohne diese genialen Abkürzungen, Zusammenfassungen und Integratoren wäre ein Zusammenleben nicht möglich. Sie sind die großen Mittler und Vermittler in allen Fragen rund um Identiät, Hierachie, Machtausbildung und Manipulation sowie Veränderung und Wandel. Dies ist die eine Seite der Medallie – oder doch die andere?

Als Außenstehender mag es noch einfach sein, doch als Teil des Systems gestaltet es sich da schon schwieriger, ja fast als unmöglich, zu erkennen, dass die Gespräche und Diskussionen schon seit Ewigkeiten nicht mehr durch inhaltliche Aspekte getrieben sind, sondern meist nur noch unbewußten Ritualen oder Regieanweisungen, wie auch immer sie es nennen möchten, folgen und durch sie bestimmt, im wahrsten Sinne zwanghaft determiniert werden.

Unsere Kommunikation scheint uns, die wir beziehungstechnisch immer auch Betriebsblinde darstellen, als so selbstverständlich und fast „Gott gegeben“, dass wir die Regeln und Rituale, die uns kommunikationstechnisch im Sinne einer effektiven Lösungsorientierung zu lebenden Untoten mutieren lassen, gar nicht mehr wahrnehmen können.

Immer ist es dann in der Folge auch der Andere, der mit diesen „Spielchen“, diesen Ritualisierungen angefangen hat, obwohl das Ganze schon seit einer Ewigigkeit in einer „amor fati“ der Zirkularität, einem Beziehungskarusell ohne erkennbaren Anfang und Ende gefangen ist.

Es ist nicht nur ermüdend, sondern stellt auch eine unentschuldbare Verschwendung an Ressourcen und Lebenschancen dar. Rituale und Gewohnheiten aufzubrechen und zu ändern, ist mühsam und schwer. Doch die Anstrengung, im Sinne eines „freieren“ Miteinander lohnt sich auf jeden Fall.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen mal wieder ein weinig Mut für einen Blick hinter den Spiegel, dorthin wo sie sich verborgen haben, unsere Rituale und starren Gewohnheiten im gemeinsamen Miteinander.

Ihr
Ulrich B Wagner

 

Ulrich B Wagner
(Foto: © Ulrich B Wagner)

Über Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema  „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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