Als ob … : Über das Wa(r)ten im Konjunktiv

Gibt es sie denn überhaupt noch, die Wirklichkeit? Und falls ja, wird diese nur noch vom so genannten als ob geprägt, fristen wir alle ein Dasein im Konjunktiv? Wenn dem so ist, was macht das aus uns und wie kommen wir da wieder raus? Fragen, auf die unser Kolumnist, Ulrich B Wagner, im heutigen Beitrag von „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET — Das Wort zum Freitag“ nach Antworten sucht.

Das Leben ist die Suche des Nichts nach dem Etwas

So formulierte es vor langem einmal Christian Morgenstern sehr treffend. Doch irgendwo dazwischen scheint sie wohl zum ErLiegen gekommen zu sein oder doch vielleicht nur das, was zwischen den klebrigen Fingern des einen oder anderen nach dem Aufstehen an selbigen noch haften blieb: Wirklichkeit?

Gibt es sie denn überhaupt noch? DIE Wirklichkeit und wenn Ja, welche Sicherheit bietet sie dann noch in einer Zeit in der sich die Seele in einem Pater-Noster der Weltreflexion ergießt? Oder wird nicht auch sie oder das, was wir mit unseren Mitteln als Selbiges konstruieren, nicht bloß selbst zu einem Potenzflaschenzug? Ausdruck der verzweifelten (Sinn-) Suche im unendlichen Möglichkeitsraum.

Menschliches Wissen? Irrtumsbehaftet!

Leben wir also wirklich ohne feste Ordnung und letzte Wahrheiten? So wie es der Ur-Vater der Philosophie des „Als Ob“, in seinem Hauptwerk »Die Philosophie des Als Ob«, in Anlehnung an Kants Theorie der Unerkennbarkeit der Welt und des nur regulativen Charakters unserer Ideen, in der er nicht nur den Fiktionalismus als Sonderform des idealististischen Positivismus begründete, sondern auch so nebenbei eine der heftigsten Diskussionen in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der Fachwelt, aber auch in breiten Kreisen der Gesellschaft auslöste.

Vaihinger beschreibt menschliches Wissen als irrtumsbehaftet und widersprüchlich und stellt die Frage, wie die Tatsache zu erklären sei, dass man ausgehend von diesen falschen Annahmen am Ende des Tages doch zu (mehr oder minder) Richtigem gelangen könne. Vaihingers Antwort ist, dass die Annahmen eine in der Praxis äußerst nützliche Fiktion bilden, und dass das Wissen an sich somit nur auf der Basis eines rigorosen Pragmatismus begründen ließe, durch den Erfolg, der sich bei der Anwendung einstellt.

Für ihn läuft damit alles Erkennen auf ein Vergleichen hinaus: Unbekanntes wird auf Bekanntes zurückgeführt. Religiöse und metaphysische Ansichten seien dagegen wie die Logik nicht in einem objektiven Sinne wahr, da dies nicht festgestellt werden könne. Stattdessen sei die Frage zu stellen, ob es nützlich sei, so zu handeln „als ob“ sie wahr seien. Ein Utilitarismus, der auch die Basis einer rein turbokapitalistischen Grundordnung bildet – und somit auch große Teile unserer herrschenden Wirklichkeitskonstruktionen. Oder doch nicht, wer weiß?!

Ein wenig unausgegoren

Soziale Phänomene verkörpern aber seit Émile Durkheims soziologische Ausführungen über den Selbstmord Bereiche, in denen gesellschaftliche und seelische Prozesse, aber auch Handlungen sich wechselseitig bedingen und beeinflussen. Spannend aus heutiger, augenblicklicher Welt- und Wirtschaftslage ist jedoch die bei Durkheim auf der Grundlage einer empirisch-theoretischen Betrachtung Differenzierung von drei sozialen Typen des Suizid:

  1. den altruistischen Selbstmord,
  2. den egoistischen Selbstmord,
  3. den anomischen Selbstmord.

Emotionale Befindlichkeit und soziale Integration des Individuums bilden die Kriterien für diese soziale Typisierung. Durkheims Untersuchung des Selbstmordes kann daher auch als eine umfassende Analyse der Gesellschaft und als Aufforderung zur Veränderung der bestehenden Ordnungsstrukturen im Interesse der gesellschaftlichen Bedürfnisse gelesen werden.

Vaihingers Säfte, Entschuldigung oben in aller Kürze zusammengefasste Gedanken, erscheinen mit heutigem Blick ein wenig unausgegoren. Vergoren sind sie meines Erachtens jedoch mit Sicherheit nicht, sondern bilden – wenn auch unbewusst – die Legitimation wirtschaftlicher Zwänge und Gesetzmäßigkeiten. Interessant erscheint dabei auch, dass Vaihinger radikal die Evolutionstheorie auf die Ideengeschichte anwendet, der zufolge die Ideen gemäß seinem „Gesetz der Ideenverschiebung“ von der Hypothese über die Fiktion zum Dogma aufsteigen, dann wieder zur Hypothese degenerieren und schließlich aussterben.

Die Welt ist alles, was der Fall ist

So gesehen vielleicht auch ein Hauch Prinzip Hoffnung. Wann wird er also wiederentdeckt, der Mensch? Der Mensch als freies und nicht festgelegtes Wesen, der einer Metaphysik der Freiheit und nicht einer bloßen, abstrakten Freiheit der Märkte verpflichtet zu sein scheint. Auch Adorno sah in der Festlegung des Menschen auf das Tatsächliche eine Fortsetzung des reinen Positivismus. Adorno versinnbildlichte das an Ludwig Wittgenstein Tractatus, den er ebenfalls der positivistischen Denkschule zuordnete. Wittgensteins Grundthese „Die Welt ist alles, was der Fall ist“, ist nämlich nach Adorno gerade der Gedanke, der den Menschen auf das Bestehende verpflichtet.

Adorno wollte aber gegen die klassische Metaphysik und Metaphysiskritik eine Metaphysik der Transzendenz rehabilitieren. Metaphysik als ein Denken des Absoluten. Ein Denken, dass das Gegebene übersteigt. Ein Denken über sich selbst hinaus, ins Offene das ist Metaphysik, so Adorno.

Wann endet also das Wa(r)ten im Konjunktiv? Veränderung braucht Taten, nicht bloße Denknotwendigkeiten. Die „Anderen“ zeigen es uns ja eindrücklich genug.

Ihr Ulrich B Wagner

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