Berlin: rechtsstaatlich unverantwortlicher Ablasshandel gegen die Steuerehrlichkeit

Um die durch die milliardenschweren Rettungsprogramme im Zuge der Finanzkrise klammen Kassen der Staaten aufzufüllen, besinnen sich viele Regierungen ihrer den Fiskus hintergehenden Bürger. Anfangs ging es noch in den Jahren nach dem epochalen Angriff auf die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York am 11.09.2001 um den Kampf gegen die Finanzierung des internationalen Terrorismus und gegen die Geldwäsche der organisierten Kriminalität, in dessen Zuge die Steueroasen, respektive die Fluchtgebiete für Steuerhinterzieher, zunehmend unter Druck gerieten.

Die Dimensionen der weltweiten, organisierten Kriminalität sind dabei gigantisch und beinahe existenzbedrohend für die Minderheit der Rechtsstaaten in der globalen Staatenfamilie, das Problem harrt jedoch weitestgehend noch effektiven Maßnahmen: allein 614 Milliarden Dollar Umsatz in den 20 OECD-Staaten im Jahr 2006, Schätzungen gehen von bis zu 20% des Weltbruttosozialproduktes aus, laut dem britischen Guardian kontrolliert allein die italienische Mafia 14,6% des BIP Italiens und ist damit das mit Abstand größte „Unternehmen“ des Landes, der Reingewinn der italienischen Mafia beträgt geschätzte 70 Milliarden Euro pro Jahr, für Deutschland schätzt die Financial Action Task Force (FATF/ OECD) das Kriminalitätsprodukt auf jährlich mehr als 50 Milliarden Euro.

Im Zuge der angeschlagenen Staatskassen und der folgenden Schuldenkrise hat sich nun allerdings das Paradigma der Haushaltssanierung sogar als ungleich wirkungsmächtiger herausgestellt. Die Staaten bekämpfen nun nicht mehr allein sukzessive die Kriminalität inklusive Steuerbetrüger und -hinterzieher, sie brauchen dringend Geld. Viel Geld. Die „Freiräume“ der Steuerbetrüger auf der Schattenseite des Gesetzes werden somit – zu Recht – zunehmend kleiner. Noch lässt sich mit einer Selbstanzeige, der Rückführung der Gelder ins Inland und einer relativ geringen Steuernachzahlung (Anreizprogramm) der Schaden einigermaßen klein halten. Problematisch wird das Auffliegen der eigenen Machenschaften allerdings ohne Selbstanzeige – hier drohen empfindliche Strafen, die über das Finanzielle hinausgehen können. Und dieses Risiko steigt zusehends. Mittlerweile sind im Prinzip nur noch die Steueroasen ein sicherer Rückzugsort, die in dem Einflussbereich der mächtigen USA und Großbritanniens liegen (US-Bundesstaat Delaware, City of London, Britisch Overseas Territories). Die meisten anderen Steueroasen mussten bereits einlenken, wie es sukzessive und trotz Widerstände auch Liechtenstein, Luxemburg, Österreich und die Schweiz tun.

Ein einzelner Schweizer hat nun nachgelegt. Denn die Gefahr droht auch von normalen Angestellten einer Großbank, die unzufrieden mit ihrer Arbeit oder ihrem Gehalt sind (in Relation zu den Summen ihrer Vorgesetzten, die sich in unbekannte Höhen schwingen, während der Durchschnitt kaum die Inflationsrate als Lohnerhöhung bekommt). Einer dieser Angestellten einer schweizer Großbank hat den deutschen Fiskus erneut in den Besitz einer CD mit Daten von Tausenden deutscher Steuersünder gebracht. Der Kauf der CD wurde bislang erfolgreich vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. Es sei zudem ein sehr großer Datensatz, wie es heißt, dessen Auswertung schon sehr weit vorangeschritten sei: Konzertierte Durchsuchungsaktionen bei den Verdächtigen werden anscheinend bereits vorbereitet. Sie sollen sehr bald in allen Bundesländern zeitgleich erfolgen.

Doch die Zeit drängt für die Ermittler. Sie setzen alles daran, dass ihre Mühen noch bis zum Jahresende Früchte tragen. Denn länger haben sie wahrscheinlich nicht Zeit. Ein Beschluss der schwarz-gelben Bundesregierung fällt den Ermittlern in den Rücken und spielt den Steuerhinterziehern in die Karten: Sollte der Bundestag der jetzigen Form des ausgehandelten bilateralen Steuerabkommens über „unentdeckte Vermögensmassen“ zustimmen, könnten die Ermittler „die Akten in den Müll schmeißen“. Umso energischer wird daran gearbeitet, die Tausenden Großsteuerhinterzieher noch dieses Jahr ihrer gerechten Strafe zuzuführen.

Die christlich-liberale Koalition beabsichtigt mit dem Abkommen, dass die Besitzer von in der Schweiz hinterlegtem Schwarzgeld und auch die in die Hinterziehung involvierten Banker Straffreiheit und Anonymität erhalten. Im Gegenzug verpflichtet sich die Schweiz, die Altvermögen und das Schwarzgeld mit einer einmaligen Steuer von 19 bis 34% zu besteuern, danach mit 26% und die Erträge an Deutschland abzuführen. Das Unverständliche ist dabei keinesfalls das sinnvolle Steuerabkommen, sondern die ungerechtfertigte Straffreiheit. Bislang galt diese zu Recht nur bei einer Selbstanzeige und der Rückführung der Gelder nach Deutschland. Deutsche Steuerermittler kommentieren: „Das ist eine Amnestie für Steuerhinterzieher durch die Hintertür.“ Es stehe nun einer der größten Fahndungserfolge der vergangenen Jahre auf der Kippe. Die schwarz-gelbe Klientel-Politik schlage den Fahndern praktisch das Werkzeug aus der Hand. Auch alle deutschen Staatsbürger, die sich bislang wegen Steuerhinterziehung selbst angezeigt haben, müssten dies als Hohn empfinden, heißt es aus Ermittler-Kreisen. Während der Mittelstand durch die kalte Progression und der im Einkommensvergleich hohen Belastung des Faktors Arbeit durch die Sozialabgaben überproportional für die Finanzierung des Gesellschaftssystems herhalten müssen, bekommen die Steuerhinterzieher, die das System hintergehen, auch noch vollkommen unnötig eine Straffreiheit als Belohnung.

Auch soll die Ermittlung der Summe der hinterzogenen Steuern allein der Schweiz überlassen werden. Ein Ermittler hierzu: „Das ist in etwa so, als fragte man die Mafia, wie hoch ihre Einnahmen sind, und ließe sie das selbst beziffern.“ Der ehemalige Steuerfahnder Reinhard Kilmer: „Klammheimlich soll in der parlamentarischen Sommerpause zum großen Schlag gegen die Steuerehrlichkeit ausgeholt werden.“ Dies sei ein „rechtsstaatlich unverantwortlicher Ablasshandel“ mit dem Deutschland den Schweizer Banken entgegenkomme. „Das muss einem ehrlichen Steuerzahler das Blut in Wallung bringen.“

Dabei hatte der Bundesgerichtshof erst vor kurzem mit seinen jüngsten Entscheidungen zur Selbstanzeige und zum Strafmaß bei Steuerhinterziehung klargestellt, dass die persönliche Bereicherung zulasten der Allgemeinheit kein Kavaliersdelikt sei und hart sanktioniert werden müsse. Denn schon im Grundgesetz steht: „Eigentum verpflichtet“ – und nicht, „setz‘ dich mit deinen Gewinnen ab“. Schwarz-gelb schlittert jedoch von einer Klientelpolitik in die nächste und löst damit eine Empörung nach der anderen aus. Man hätte der FDP sagen sollen, dass sie in der Regierungsverantwortlichkeit nicht mehr nur ihren schrumpfenden Anteil an Wählern bedienen darf, sondern nun mehr das Wohl des gesamten Landes und der ganzen Gesellschaft als Verantwortung übertragen bekommen hat.

(Kommentar von Marc Brümmer, AGITANO-Redaktion)

 

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