Bodenständig … Ein Versuch über das gute Leben?!

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.

    Heute:       Bodenständig …
Ein Versuch über das gute Leben?! 

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
(Der Johannesprolog (Joh. 1,1-18))

Alle Worte scharwenzeln um die Wahrheit herum; sie ist keusch.
(Wilhelm Busch, In: Spruchweisheiten & Gedichte)

Das Wort gehört zur Hälfte dem, welcher spricht, und zur Hälfte dem, welcher hört.
(Montaigne, Essais)

Gibt es das gute Leben, und wenn ja, wie viele davon? Haben wir Alternativen zu den gängigen Lebensentwürfen, und wenn ja, sind diese in unserer 24-Stunden-7-Tage-die-Woche-immer-Erreichbarkeitswelt überhaupt realisierbar und zu welchem Preis? Am Anfang war das Wort. In Möglichkeitsentwürfen sind Worte jedoch häufig schwieriger zu finden als in Ablehnungsbeschreibungen. Unser Kopf kreist um das Thema, doch das passende Wort will sich einfach nicht einfinden. Ich denke, wir alle kennen dieses Dilemma nur allzu gut. Ich war daher ein wenig perplex, als in der vergangenen Woche ein Mandant und guter Freund am Ende unserer Sitzung auf meine Frage, wie wohl das gute Leben aussehen könnte oder wie er es sich wünschen würde, schlicht und einfach ein einziges Wort in den Raum stellte: bodenständig.

Meine Überraschung rührte jedoch nicht nur aus der Schnelligkeit der Antwort, sondern wurde auch aus dem Wort an sich gespeist und führte unter anderem zu dem, was ich als das Alte im Neuen bezeichnen möchte. Ist konservativ heute vielleicht progressiv? Verbirgt sich unter dem Mantel des Traditionellen nicht vielleicht ein revolutionärer Geist, nämlich der Geist des guten Lebens? Oder anders ausgedrückt: Sollten wir statt immer neuer Wortschöpfungen, Anglizismen und sonstiger sinnloser Verkopftheiten, lieber einmal unseren althergebrachten Wortschatz auf Aktualitätsbezug und das mögliche Neue darin überprüfen? Doch davon an anderer Stelle mehr. Bleiben wir fürs Erste einmal bei unserer Bodenständigkeit.

Was bedeutet bodenständig eigentlich? Ein Blick in den Duden und den dort aufgelisteten Synonymen wie alteingesessen, autochthon, eingesessen, einheimisch, heimatverbunden, natürlich, scheint auf die Schnelle auch keine Antwort zu liefern.

Wie Montaigne es einführend bereits formulierte, gehört das Wort zur einen Hälfte dem Sprechenden und zur anderen dem Empfänger. Es ist damit Offenbarung und Selbstoffenbarung zugleich. Am Anfang war das Wort, und das Wort füllte den Raum, gab Platz für anregende Ausführungen, Gespräche, Einblicke und Interpretationen.

Steckt vielleicht wirklich in dem auf den ersten Blick so einfachen und altbackenen Wort der Bodenständigkeit eine ganze Reihe von interessanten Antworten auf die in uns allen brennenden Fragen der Zeit?

Liegt der Reiz an der Bodenständigkeit vielleicht auch an einem Zuviel des Virtuellen, des Gespielten und der mangelnden Authentizität in Zeiten des Internet? Oder sollten wir sie gar als ganzheitliches Konzept des guten Lebens verstehen? Und wenn ja, wie sieht dieses Konzept dann aus? Für Sie, für mich oder gar für ganze Gesellschaften?

Es gibt Dinge, die ihren Ursprung bewahren und an ihrem ursprünglichen Entstehungsort existieren. Das gilt im Grund für alle Dinge, die eine Heimat besitzt. Auch das ist autochthon oder halt, anders ausgedrückt, bodenständig. Ebenso bedeutet es, mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität oder des Lebens stehen. Eine Erdverbundenheit, die den Gesetzmäßigkeiten des Zeitlichen folgt, einer Gleichmäßigkeit statt einer alles verschlingenden Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

Selbstverständlich gibt es immer auch den Reiz des Exotischen, und er macht bestimmt auch einen großen Teil der Lebensfreude aus. Dennoch fühlen wir uns in der Regel zuhause doch immer noch am wohlsten, oder nicht? Fortfahren ist schön, heimkehren noch schöner.

Bodenständig bedeutet jedoch nicht reaktionär, sondern lediglich eine Rückbesinnung auf Altbewährtes unter neuen Umständen und Modifizierungen. Oder anders ausgedrückt: Wenn wir etwas Althergebrachtes überdenken wollen, das uns nicht mehr dienlich oder nützlich erscheint, sagen wir auch gerne: „Es ist ja nicht in Stein gemeißelt.“ Gemeint ist: Es ist keine der unveränderlichen Gesetzestafeln wie unsere 10 Gebote im Alten Testament.

Doch auch diese können ggf. neu gedeutet, interpretiert bzw. redigiert werden, wie der geniale Essayist Christopher Hitchens (* 13. April 1949 in Portsmouth, England; † 15. Dezember 2011 in Houston, Texas) kurz vor seinem Tod anhand der 10 Gebote eindrucksvoll bewies, in dem er auf die drei bis vier verschiedenen Versionen, die sich im Alten Testament finden, ausführte: Wir sind also berechtigt, sie als „work in progress“ zu begreifen. Könnte es nicht ein paar alte Gebote geben, die sich aufgeben ließen, und ein paar neue, die einzuführen lohnte?

Ich möchte sie Ihnen an dieser Stelle kurz vorstellen, da sie für mich auch vieles implementieren, das ich persönlich als bodenständiges Denken und Verhalten interpretiere. Es kann uns aber auch Anleitung sein, in Altem Neues und Aktuelles zu entdecken und zu betonen, und ihre Berücksichtigung bzw. Einhaltung  könnte vielleicht auch der Anfang eines guten Lebens sein.

Hier nun die zehn Gebote nach Christopher Hitchens Analyse und Überprüfung auf Alltagstauglichkeit:

I. Verurteile Menschen nicht wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Hautfarbe.

II. Behandele Menschen nie wie Privateigentum.

III. Verachte jene, die in sexuellen Beziehungen Gewalt anwenden oder mit ihr drohen.

IV. Bedecke dein Gesicht und weine, wenn du es wagst, ein Kind zu verletzen.

V. Verachte Menschen nicht aufgrund ihrer Natur – warum sollte Gott so viele Homosexuelle schaffen, nur um sie zu quälen und zu zerstören?

VI. Sei dir bewusst, dass auch du ein Tier bist und angewiesen auf das Netz der Natur und denke und handle entsprechend.

VII. Glaube nicht, dass du deiner Strafe entgehst, wenn du Menschen statt mit vorgehaltenem Messer mit falschen Versprechungen beraubst.

VIII. Stell das Scheiß-Handy aus – du machst dir keine Vorstellung, wie egal uns dein Anruf ist.

IX. Verurteile alle heiligen Krieger und Kreuzfahrer als das, was sie sind: psychopathische Kriminelle mit hässlichen Wahnvorstellungen.

X. Sei willens, jeden Gott, jede Religion oder jegliches heiliges Gebot zu brandmarken, der, die oder das Obigem widerspricht.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr Bodenständigkeit, mehr Offenheit für das Neue im Alten, und vielleicht haben Sie ja selbst ein paar Reliquien der deutschen Sprache, die Sie mir per Mail (uwagner@ikcm.de} zusenden möchten.

Ich freue mich schon auf Ihre Fundtücke unseres reichen Wortschatzes und die darin verborgenen Anregungen für ein gutes Leben.

Ihr Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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