Chef, Vorgesetzter, Führungskraft, Führungspersönlichkeit: …

Synonyme oder Entwicklungsstufen?

 

Von Andrej Schindhelm , Spezialist für Führungskräfteentwicklung, zertifizierter Gehirnentfaltungstrainer und ein Gründungsmitglied der Münchner Unternehmermanufaktur.

 

Worum geht es? Kurz gefasst: Um die Wirkung, die Vorgesetzte mit ihrem Führungsstil erzielen – auf die Mitarbeiter und das Firmenergebnis.

 

Ist die Qualität der Führung in Firmen messbar? Selbstverständlich: Führungsleistung kann an der Wirkung gemessen werden. Da man in Firmen jedoch meist Wirkungsketten vorfindet, gibt es Reihen möglicher Messpunkte, zudem komplexe Wechselwirkungen, Scheinkorrelationen und somit Unschärfen. Ich vereinfache deshalb bewusst stark, um an den Kern zu gelangen: Monetäre Zahlenergebnisse in Firmen sind die Ergebnisse menschlicher Handlungen, die Handlungen folgen dem Denken, und das Denken baut auf einer Geisteshaltung oder Einstellung auf.

 

Ein unabhängiges Institut hat im Rahmen einer der größten Langzeitstudien weltweit an unüblicher Stelle gemessen, nämlich ziemlich „weit vorne“ in der Wirkungskette. Es wurden Zehntausende von Beschäftigten zu deren Einstellungen befragt. Die Ergebnisse in deutschen Firmen sind folgende:

 

67 Prozent der befragten Arbeitnehmer sind emotional nur gering an ihr Unternehmen gebunden und machen Dienst nach Vorschrift, während 20 Prozent innerlich bereits gekündigt haben. (Gallup Institut: Engagement Index 2008, veröffentlicht Januar 2009). Hochgerechnet auf die ganze Bundesrepublik wären das fast 35 von 40 Mio. Erwerbstätigen, die keine tiefgehende Verpflichtung gegenüber ihrer Firma verspüren und sich in der Folge nicht mit ihrer vollen Leistungsfähigkeit einbringen.

 

Auch nach den Gründen für diese ernüchternden Ergebnisse wurden die Mitarbeiter befragt: „…sind die Ursachen für den relativ geringen Anteil emotional hoch gebundener Arbeitnehmer in Deutschland hausgemacht und gehen auf Defizite in der Personalführung zurück. So bemängeln viele Beschäftigte, dass sie zu wenig Anerkennung erhalten oder ihre Meinung im Unternehmen nicht gehört werde“. Laut dem Globalen Produktivitätsbericht 2008 (Proudfoot Consulting) verbringen Vorgesetzte im Schnitt nur 10 Prozent ihrer Arbeitszeit mit den Tätigkeiten zum größten Potenzial der Produktivitätssteigerung, wie z.B. aktiver Supervision und bewusster Kommunikation mit ihren Mitarbeitern. Der Hauptteil ihrer Zeit wird auf Administration und Berichtswesen verwendet. Ich lege aus gemachten Erfahrungen noch eines drauf: Informations- und Delegationsverhalten, die Verwendung von Zielsetzungsprozessen und der Umgang mit Fehlern sind ebenfalls Bereiche in der Personalführung, bei denen ich verbreitete aber leider demotivierenden und damit produktivitäts-hemmenden Gewohnheiten erleben musste.

 

Lassen Sie es mich positiv umformulieren: Leistungswillige Mitarbeiter haben fähige Vorgesetzte. Die direkte Führungskraft und ihr Führungsverhalten ist der entscheidende Schlüssel zum Engagement der Mitarbeiter, deren Leistungsbereitschaft und damit zur Produktivität.

 

Dieser Aspekt stellt einen gewaltigen immateriellen Unternehmenswert dar, den es für moderne Firmen zu nutzen gilt. Wie viel sind Engagement und Begeisterung in einer Gewinnrechnung Wert? Die Wirkung kann sich an unterschiedlichen Messpunkten zeigen: So weisen Beschäftigte mit hoher emotionale Bindung weniger Fehltage auf als emotional nicht oder gering gebundene Mitarbeiter. Eine Beispielrechnung: Ein Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitern könnte bei einer Mobilisierung dieses Potenzials Personalkosten von fast einer halben Million Euro jährlich einsparen. Noch deutlich höher wiegt das ungenutzte Kreativ- und Loyalitätspotenzial der Mitarbeiter auf die gesamte Wertschöpfung: dieses kann verschiedenen Studien zufolge einem Gegenwert von 100 bis über 200 Milliarden Euro pro Jahr für die deutsche Wirtschaft entsprechen, in Form von reduzierten Prozesskosten und erzieltem Mehrumsatz. Eine Größe, die sich freilich nur in theoretischen Modellen herleiten lässt. Deren Dimension ich aber für realistisch halte, da sich der Grundgedanke in Teilmengen verifizieren lässt: So hat die US-amerikanische Sears-Handelskette die Mitarbeiterzufriedenheit im Rahmen ihrer Balanced Scorecard über Jahre gemessen und in Beziehung zu anderen betrieblichen Kennzahlen gebracht. Sie konnte einen linearen kausalen Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit des Personals und dem Verkaufsumsatz ihrer Läden nachweisen.

 

Bei meiner Arbeit mit und in vielen Firmen- und Abteilungssystemen konnte ich immer wieder einen Aspekt beobachten, der offiziell (z.B. in Betriebsführungskonzepten) nirgendwo existierte. Der Fachbeitrag eines Kollegen kommt mir dazu immer wieder in den Sinn, der von einer „loyalen Reparaturintelligenz von unten“ sprach: Mitarbeiter haben über die Zeit extern wie intern funktionierende Beziehungen aufgebaut und halten pragmatisch die Prozesse trotz Designfehler und Brüchen in den Ketten am Laufen. Wie viel dieser Aspekt Wert ist, zeigt sich ohne Messungen meist erst bei Ausfall oder Weggang eines Erfahrungsträgers. Der dann spürbare Produktivitätsschaden überschreitet locker die von uns Betriebswirten üblicherweise angesetzten Mehrkosten eines Jahreslohnes für die Besetzung und Einarbeitung eines neuen Facharbeiters.

 

Alles große Renditepotenziale, bei deren Hebung die gängigen Produktivitäts- oder Qualitäts-steigerungsprogramme an ihre Grenzen stoßen. Denn das „Verbesserungspotenzial“ liegt im Bereich menschlichen Verhaltens, geprägt durch Einstellungen, Glaubenssätze und Gewohnheiten. Die Arbeit mit diesen Aspekten sollte sich statt an den Wirtschaftswissenschaften an den Verhaltenswissenschaften orientieren und bedarf eines ausgefeilten didaktischen und methodischen Rahmens. Und genau dieser Punkt macht für mich den Unterschied aus, der für mich mehr ist als ein Wortspiel: Eine Führungskraft beherrscht die Fähigkeit von Management, das Organisieren und Steuern von Systemen. Dazu setzt sie ihre fachliche und methodische Kompetenz und Erfahrung ein. Sie führt Kraft Ihrer Position und Verantwortung auf der Sach- und Ordnungsebene.

 

Ein Vorgesetzter mit souveräner Führungsfähigkeit führt darüber hinaus als Multiplikator Kraft des Gesetzes der Resonanz. Er versteht es, leistungsfördernde Beziehungen aufzubauen. Wer auch diesen Aspekt beherrscht, den nenne ich eine Führungspersönlichkeit. Folgendes Verhalten konnte ich an allen Vorgesetzten beobachten, die ich zu dieser Gruppe zähle. Sie zeichneten sich aus

–  durch das zielgerichtete Moderieren von Intelligenz, Vernetzung und Kooperation

–  durch die Fähigkeit, Sinn zu stiften (das „Warum?“ beantworten zu können)

–  durch eine wertschätzende Kommunikation.

 

Diese Art Führung ist zukunftsfähig im Sinne der Produktivitätsoptimierung und zudem befriedigend für alle Beteiligten. Sie erfordert jedoch einen hohen Grad persönlicher Kompetenz. Dies beinhaltet die Bereitschaft, sich mit seinem Selbstbild und seinem Weltbild auseinander zu setzen und ggf. zu korrigieren. Es bedeutet, die eigenen Bedürfnisse, Werte und Einstellungen und die seiner Umwelt zu erkennen und damit umzugehen. Persönliche Kompetenz ist die Grundlage für ein stabiles gesundes Selbstbild und das souveräne Interagieren mit Anderen. Den hierfür erforderliche Kompetenzerwerb habe ich leider zu selten im Portfolio firmeninterner Personalentwicklungskonzepte gefunden. Damit wird dieser wichtige Schlüssel des unternehmerischen Erfolgs häufig dem Zufall oder der Eigeninitiative Einzelner überlassen.

 

Konsequenz: Jeder Personalverantwortliche kann sich initiativ für seine eigene ganzheitliche Kompetenzentwicklung einsetzen und damit einen wirkungsvollen Stein ins Rollen bringen. Geschäftsführer täten gut daran, die Führungskräfteentwicklung nicht an den Personalprozess zu delegieren, sondern als strategischen Prozess unter die eigene Verantwortung zu nehmen. Personalentwicklern mögen doch einmal das interne Konzept auf Vollständigkeit in Bezug auf persönlichen oder personalen Kompetenzaufbau überprüfen. Denn souveräne Führungsfähigkeit ist ein wesentliches Handwerkszeug für den Unternehmensalltag und der Unternehmenswert wird zukünftig immer stärker von einem starken vitalen Arbeitsumfeld bestimmt.

 

Diesen Beitrag können Sie auch als Dokument downloaden: http://bit.ly/902V2t.

 

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Zum Autor:

Der Autor Andrej Schindhelm (Jg. 1966) ist gelernter Betriebswirt und hat international als Kaufmännischer Leiter und Projektleiter in verschiedenen Branchen im Produkt-, Anlagen- und Beratungsgeschäft praktiziert. Er ist selbständig tätig als Spezialist für Führungskräfteentwicklung, zertifizierter Gehirnentfaltungstrainer und ein Gründungsmitglied der Münchner Unternehmermanufaktur.
 

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