Claus-Peter Schaffhauser: Traumkunde

Ab einem gewissen Dienstgrad (etwa ab Abteilungsleiter) scheint man nur noch stur den Blick nach vorne (Eröffnung des nächsten Call-Centers am Hindukusch oder fester Blick auf den Hintern des Vorgesetzten) oder nach oben zu richten (nächster Karriereschritt oder fester Blick auf den Hintern des Vorgesetzten). Niemanden würde es deshalb einfallen, Abläufe zu hinterfragen oder gar auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Moses hat ja auch nicht gemosert, als Gott ihm die Gesetztafeln übergab.

Wenn kurze effiziente Wege abgeschafft werden, weil sie nicht der gewünschten Standardisierung entsprechen, obwohl sie in der Vergangenheit für den Kunden und das Unternehmen immer von Vorteil waren (Fall erledigt. Kunde zufrieden.), dann wird das über Kurz oder Lang kontraproduktiv.

Wenn mein Haus in Flammen steht und ich zunächst mittels eines Sprachbaumes am Telefon zum richtigen Sachbearbeiter (Call-Center I oder II) durchgestellt werde, um einen Brand zu melden, muss ich mich nicht wundern, wenn die Hütte schon vorher bis auf die Grundmauern abgebrannt ist.

Von Häusern in Holzständerbauweise bleibt nur noch ein Häufchen Asche übrig.

Alle Angelegenheiten in Sachen Banken und Versicherungen hat meine Familie in meine Hände gelegt, weil ich die stärksten Nerven habe. Diese Tage habe ich nun also für meine Frau eine Riester-Rente abgeschlossen, damit sie im Alter nicht verarmt. Sie gehört damit zu den 15,65 Millionen vernünftiger Deutscher, die etwas für ihre Zukunft tun. Soweit zu kommen war allerdings nicht einfach. Beinahe hätte ich geglaubt, dass unsere Versicherung wegen Reichtums geschlossen sei, oder erst ein Riester-Versicherungsnehmer versterben müsse, ehe ein neuer aufgenommen werden kann.  – Meiner Bitte, mir doch mitzuteilen, wie hoch der monatliche Beitrag meiner Frau, bei einem Einkommen von „X“ sei, wurde schriftlich (!!) negativ beschieden, da „man so eine Leistung / Auskunft grundsätzlich nicht mehr erbringe.“

Ich war fassungslos. Verzweifelt rief ich meinen Versicherungsvertreter an, der von dieser Vorschrift leider auch nichts wusste, aber seit 30 Jahren seine schützende Hand über mich und meine Versicherungen hält. Jeder schüttelte an seinem Ende des Telefons den Kopf. Das Rätsel konnte mit dem nächsten Bankauszug gelöst werden. Schwarz auf weiß konnte ich den Betrag lesen, der nun Monat für Monat abgebucht werden würde.

Ich freute mich. Mein Antrag auf Riester-Rente, beziehungsweise der meiner Frau, schien also doch wohlwollend angenommen worden zu sein.

Beruhigt konnte ich nun Tag für Tag meiner Frau beim Altern zusehen.

In den kommenden Wochen hüpfte ich täglich vor Vorfreude an unseren Briefkasten, auf ein Schreiben der Versicherung wartend, welches das neue Vertragsverhältnis bestätigen würde. Man braucht ja was für die Unterlagen. Aber es kam nichts. Erst wurde die Freude durch Trauer, dann durch Wut ersetzt. Voller Zorn rief ich also meinen Versicherungsvertreter an, der versprach die Angelegenheit nicht umgehend, sondern sofort zu klären.

Die Botschaft wollte er mir dann doch nicht am Telefon überbringen. Im Beisein eines Arztes teilte er mir persönlich mit, „dass das gewünschte Schreiben / Vertragsbestätigung nur noch für eine Gebühr von 10 Euro zu erhalten sei, diese Tatsache aber aus Effizienz- und Kostengründen nicht dem Kunden mitgeteilt werden kann“ – Wow!

Die Änderung dieses wahrhaft heroischen Verwaltungsaktes, war, wie ich später in Erfahrung bringen konnte, zur Vereinfachung und Standardisierung des versicherungsinternen Kommunikationsprozesses in einer Datenbank hinterlegt worden, die Tag und Nacht von allen Mitarbeitern der Versicherung eingesehen werden kann. Intranet ist schon was Tolles. Kostet ja auch jede Menge Geld. Muss man als Konzern unbedingt haben. Und: Information ist ja bekanntlich Holschuld. Auf diese Art und Weise muss man nicht mehr miteinander kommunizieren (Reden ist Silber, Datenbanken sind Gold), sondern kann sich verstärkt auf die nächsten Gewinn mehrenden Prozessänderungen konzentrieren.

Im Mittelpunkt steht der Kunde und damit steht er immer im Weg. Die Banken und Versicherungen sind dabei, dieses Hindernis restlos, aber nicht beitragsfrei, zu beseitigen.

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Über den Autor:

Claus-Peter Schaffhauser Claus-Peter Schaffhauserwar in mehreren Unternehmen verschiedener Branchen (Elektronik – Siemens, Informationstechnologie – HP, Befestigungstechnik – HILTI) in unterschiedlichen Führungspositionen tätig (u.a. EDV, Logistik, Vertrieb, Revision). Er berät seit 17 Jahren Kunden verschiedener Branchen in der Optimierung von Logistikprozessen (Lieferantenanbindung, Aufbau- und Ablauforganisation, Reklamationsmanagement) und in der Baustellenlogistik (Optimierung letzte Meile). In seiner Freizeit schreibt er Kolumnen und arbeitet als Künstler.

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