Der Anti-Arschloch Kodex: Überleben zwischen den Extremen

Wir alle kennen mindestens eins davon: Das Arschloch ist weit verbreitet in deutschen Büros und Führungsriegen. Kaum jemand ist davor gefeit, selbst einmal dazu zu werden. Aber was unterscheidet das „Profi-Arschloch“, das dauernd gegen Mitmenschen ätzt und zu wertschätzender und respektvoller Kommunikation gar nicht in der Lage zu sein scheint, vom Amateur?

Mit dieser Frage beschäftigt sich Ulrich B Wagner heute in seiner Freitagskolumne QUERGEDACHT UND QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag – und empfiehlt Betroffenen (aktiv oder passiv!) sein Seminar zum „Anti-Arschloch-Kodex“.

Führung durch Personen ist im Wesentlichen Kommunikation. Wenn Kommunikation unterstützt wird durch elektronische Medien, dann ist das eine Hilfe. Wenn sie aber ersetzt wird durch elektronische Medien, dann liegt dort eine Gefahr, denn menschliche Kommunikation ist nicht nur Übermittlung von Sachaussagen, sondern sie transportiert zwischenmenschliche Bindung.

Lutz von Rosenstiel, Prof. am Institut für Organisationspsychologie

Wir müssen miteinander reden, nicht gegeneinander.

Anthony Yeboah, ehemaliger Stürmer von Eintracht Frankfurt

Künftig soll bei uns der Führerschein für Führungskräfte Pflicht werden – im Arbeitsrecht und in der Kommunikation.

Rainer Thierfelder, Personalchef Allianz

Romantik im Arbeitsalltag…

Kommunikation ist alles … und nichts am Ende Tages. Von Zeit zu Zeit auf jeden Fall mit Gewissheit, doch davon später vielleicht mehr.

Doch der Reihe nach: Vergangene Woche fiel oder döste ich, besser gesagt, über ein Interview auf SPIEGEL online mit dem wundervollen Titel Suchen Romantiker für Führungspositionen, das Anne Haeming mit Tim Leberecht (Jahrgang 1972) führte, seines Zeichens Marketingchef bei der Design- und Architekturagentur NBBJ in San Francisco und Mitglied des Werterats beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Sein Credo: Im Beruf zeigen wir zu wenig Gefühl, so der Manager und Buchautor Tim Leberecht. Sein Rezept für eine bessere Firmenkultur: Fehler eingestehen und auch mal weinen. Und mit den Kollegen Tango tanzen. Er selbst hat vor kurzem ein, wie er es nennt, businessromantisches Framework gelauncht, in denen dann in der Folge so genannte Mystery Meetings organisiert werden. Laut Definition unseres neue Romantik-Gurus 2015 sind das Treffen, zu denen ohne ersichtlichen Grund eingeladen wird und keiner weiß, wer kommt und worum es geht.

Der Meeting-Horror hat Strategie!

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So sieht man aus, wenn die Führungskraft ein Arschloch ist… (Foto: © Ulrich B Wagner & Alistair Duncan / alistairduncan.de)

WOW!!! Nomen est omen! Man muss halt doch bloß am Ende des Tages die Perspektive wechseln oder auch einmal die rosarote Kuschelbrille aufziehen, um den normalen Wahnsinn im deutschen Unternehmensalltag mit ganz anderen Augen zu sehen. Instinktiv machen wir also dann doch alles richtig, wissen gar nichts davon und nutzen daher gar nicht die enormen Potenziale des bundesdeutschen Meetinghorrors. Noch besser sind meines Erachtens jedoch noch die fast „revolutionären“ Daybreaker-Events, in denen die Erwerbstätige, willig oder auch nicht, dazu eingeladen werden, ihren Arbeitstag morgens um sechs mit wildem, rauschhaftem Tanz zu beginnen. Glaubt man den Worten des Kommunikation-Bhagwan Leberecht, geht es insbesondere darum, das Vertraute jeden Tag wieder fremdartig zu machen. Ich für meine Person glaube, dass das Gefühl der Fremdartigkeit bei den meisten von uns eh für keine Sekunde im Laufe des Arbeitstages verschwindet. Von so manchen Kunden- oder Agenturbriefings an dieser Stelle ganz zu schweigen.

Den Namen tanzen für mehr Romantik?

Also ich bin, ehrlich gesagt, nicht darauf erpicht, in aller Hergottsfrühe den Namen meines Brötchengebers zu tanzen, selbst wenn auf jedem Schreibtisch ein grünes Pflänzchen für den Eigenbedarf von Arbeitgeberseite bereitgestellt wird und in den Mittagspausen spontane hüllenlose Happenings veranstaltet werden. Dann doch lieber am Ende des Tages ehrlich und ein Arschloch als verlogen und nett. Oder doch nicht?

Es tun sich Abgründe auf in unserem Alltag und das nicht bloß im Sinne unseres guten alten Nietzsches, nach dem man bekanntlich mit Argusaugen darauf aufpassen muss, dass er in seinem täglichen Kampf mit den Ungeheuern nicht selbst zu einem wird, von dem obigen Abgrund, der nach lang genügendem Betrachten in einen selbst hineinblickt, ganz zu schweigen.

„Wie verlaufen denn unsere Diskussionen …..“ fragte schon Michel de Montaigne vor über 400 Jahren in seinen Essais. Also doch nur alter Wein in neuen Schläuchen? Ein wenig von allem, und doch in seiner Brisanz und Ausbreitung ein neues und in seiner Dimension einzigartiges gesellschaftliches Phänomen.

Wertschätzende Kommunikation fördert Respekt!

Die Normalität verschwindet zwischen Kuscheln im Kerzenschein, tyrannischer Aktionsmacht und kriegerischer Kommunikation. Das Potenzial zu einem Arschloch besitzen wir alle. Was unterscheidet jedoch professionelle Arschlöcher von temporären und was hat dies mit unserer Lebens- und Arbeitsplatzzufriedenheit, unserer Gesundheit, unserer Balance und dem Empfinden von Glück zu tun? Jeder von uns kennt sie: Intriganten, Tyrannen, Wichtigtuer, Egomanen, Despoten, schlicht „Arschlöcher“. Mitmenschen und oder Kollegen, die durch ihr Verhalten und den damit verbundenen Strategien, verbal oder non-verbal andere zu erniedrigen oder zu unterdrücken versuchen. Die Nachfrage nach Ratgebern ob zu „Verbotener Rhetorik“, „Schwarzer Rhetorik“ oder Anleitungen wie „Mobbing – aber dann richtig“ zeichnen ein düsteres Bild des Umgangs im beruflichen und privaten Kontext.

Respekt, Achtung und Aufrichtigkeit scheinen im modernen Leben als veraltete und überholte Tugenden auf Kosten der psychosozialen Gesundheit jedes Einzelnen betrachtet zu werden.

In jedem steckt ein Arschloch

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Offensichtlich: Opfer der Gattung Arschloch!(Foto: © Ulrich B Wagner & Alistair Duncan / alistairduncan.de)

Das Potenzial für ein Arschloch besitzen wir demnach alle, und auch ich bekenne mich hier gerne in dem einen oder anderen Fall als schuldig. Doch was unterscheidet das Profi-Arschloch vom Amateur, und wie kann man sich gegen diese Grausamkeiten und diese Niedertracht wehren? Wenn eine Situation entsprechend aufgeheizt, gespannt und überhitzt ist, und das persönliche Erduldungskonto bereits mal wieder bis zum Bersten ausgereizt wurde, ist die Versuchung sehr hoch, sich mit einem unfairen Befreiungsschlag auf Kosten anderer und im Gesamtkontext Unschuldiger Luft zu machen. Die meisten, und ich hoffe , es sind noch die meisten, können diesem affektiven Impuls widerstehen oder entschuldigen sich zumindest umgehend für ihre Entgleisung und ihre persönlichen Angriffe.

Wer ist Profi, wer ist Anfänger?

Doch nun zum Profi oder auch der Champions League der Arschloch-Aktivisten. Hier treffen wir auf eine Spezies unserer lieben Mitmenschen, die dieses Verhalten durchgängig zu zeigen scheinen, so dass ohne weiteres von einer chronischen Interaktionsstrategie auf Kosten anderer gesprochen werden kann. Das Profi-Arschloch zeigt somit ein mehrfaches, häufig auftretendes, über Raum und Zeit konstantes Kommunikationsmuster, das in unterschiedlichen Nuancierungen und Spielarten immer wieder angewendet wird, und in dessen Kielwasser Opfer zurückbleiben. (Robert L. Sutton, Der Arschloch Faktor).

Seminar von Ulrich B Wagner zum Anti-Arschloch-Kodex. (Bild: http://www.maziarrastegar.com)

Was tun? Stehen wir wirklich ratlos zwischen den Extremen? Ist wertschätzende, respektvolle, konstruktive Kommunikations- und Streitkultur wirklich zu den großen Utopien im Kommunikationszeitalter 3.0 geworden? Gleicht der Kampf hierfür wirklich dem Ritt gegen Windmühlen? Wollen wir uns dem wirklich unterwerfen oder sollten wir nicht endlich beginnen das Unmögliche möglich zu machen?

Fragen, denen ich nächsten Monat auch im Rahmen eines Seminars Der Anti-Arschloch Kodex, ein Leitfaden zum Selbstschutz und Ratgeber für den Umgang mit den Quälgeistern mit interessierten mehr oder weniger Betroffenen nachgehen möchte. Die im Rahmen der Kolumne in aller Kürze dargestellten Umgangsformen sind hochansteckend und verbreiten sich wie eine Epidemie. Es wird Zeit, dass wir es dem Kaninchen gleichtun und der Schlange mit Witz, Charme und Schlagfertigkeit trotzen.

In diesem Sinne, wünsche ich uns Allen mehr Mut zum Widerstand gegen die kommunikativen Arschlöcher in unserem Umfeld. Vielleicht sehen wir uns ja auch zum Seminar.

Ihr
Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner, irrsinn, das positive denken
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Über Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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