Der Bart im Aufbau der Moralen … . Ein Versuch über das Innere im Äußeren

Alexander der Große erblickte im Bart eine Gefahr. Ein US-amerikanischer Paketdienstleister sieht das ähnlich. Doch wofür steht die Gesichtsbehaarung? Um Antworten zu finden, begab sich Kolumnist Ulrich B Wagner auf eine anthropologische und kulturelle Zeitreise. Erfahren Sie was uns der Bart alles bedeutet hat und heute – und heute noch bedeutet!

„[..] Sartre legte diesmal ein Bekenntnis zum Bart ab. Er bekämpft das »nackte Gesicht« des Mannes. »Ohne Bart wirken wir dick. Mit Bart werden wir gewichtig.«“

DER SPIEGEL 24/1951, anlässlich Sartres aktuellem Theaterstück, „Der Teufel und der liebe Gott“

„Der lange Schnurrbart ist eigentlich nur // Des Zopftums neuere Phase: // Der Zopf, der ehemals hinten hing, // Der hängt jetzt unter der Nase.“

Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen. Caput III

Alles verändert sich … !

Und bleibt dann doch dem Gleichen verpflichtet … ? Das Hamletsche durchwebt unsere Zeit. Oder ist auch dies Empfinden wiederum selbst, nur, dem trügerischen Wechselspiel von Schein und Sein geschuldet?

Wir sind nun einmal mittendrin, Beobachter, Zuschauer, Akteur und Darsteller in Einem. Wir sind Zeitzeugen, geprägt, gelenkt und gesteuert in unserer Wahrnehmung von dem was uns unmittelbar umgibt. Es prägt jedoch nicht nur unsere Sicht auf die Dinge, sondern im selben Moment bewusst oder unbewusst auch unser Selbst, durch die Art in der wir uns selbst im Rauschen des Wahrzunehmenden selbst empfinden und gestalten.

Vieles scheint bekannt, besitzt Ähnlichkeit und doch beim genaueren Hinsehen dann doch wieder nicht. Der Impuls scheint der Gleiche, doch sein Ausdruck seine Ausformung verändert sich in der Zeit und im Wechselspiel der in der Zeit Verhafteten.

Die Welt ist voller Bärte.

Während ich so rase, schlendere, flaniere oder mich abseits von Raum und Zeit, der vermeintlichen, an allen Ecken und Enden, lauernden „virtuellen Welt“ folgend durch das Hier und Jetzt bewege, sprangen sie mir auf einen Schlag unvermindert ins eigene Gesicht: Die Bärte. Bärte in aller Ausprägung:

Bart, Bärte, soziales Ansehen
Die Welt. Damals und heute eine Welt voller Bärte!? (Bild: © Jörg Simon / 2016)
  • Dreitagebärte,
  • Ziegenbärte,
  • Künstlerbärte,
  • Philosophenbärte,
  • Trachtenbärte,
  • Schnurrbärte,
  • Kaiser-Wilhelm-Bärte,
  • Menjoubärte

und viele, viele andere mehr … . Der Bart an sich, wie für viele von uns, insbesondere für die jüngere Generation der Bartträger, aber auch für die „eher“ von (biologischem) Hause aus gesehenen weiblichen Bartliebhabern, wird fast schon als etwas selbstverständliches, als etwas zu uns und unserer Zeit dazugehöriges empfunden.

Doch der Bart oder genauer ausgedrückt, die durch die jeweilige Kultur modifizierte Regio barbae, als kulturkreisabhängiger, „männlicher“ Individualausdruck, kann darüberhinaus aber auch für die Kommunikation verstanden und auch genutzt werden.

Bärte üben eine Faszination auf Unsereins aus

Der naturwüchsige Bart per se, aber insbesondere, der durch die besonderen Techniken der Formgebung modifizierte große Bruder des Naturwüchsigen, ist daher mit Gewissheit immer auch Ausdruck einer kulturellen Überhöhung und damit aber auch Bestandteil des modischen, zeitgemäßen beziehungsweise aktuellen Körperbildes, der je nach Herkunft unterschiedlichen, konventionellen anthropologischen Körperbildästhetik.

Oder etwas eingehender ausgedrückt: Sinn und Zweck dieser Form der Körperveränderung lag und liegt insbesondere in der Transformation unseres Naturzustandes in eine idealisierte „Überrealität“, um soziales Ansehen zu erlangen, aber auch um sich selbst mittels eines äußeren Zeichens Identität und Ich-Bewusstsein zu verleihen.

Betrachtet man dahingehend nämlich die Kulturgeschichte der Menschheit, so zeugt sie von Anbeginn von der Faszination, die Bärte auf Unsereins ausübten, aber auch immer noch und insbesondere gerade heute auch auf uns ausüben.

Erste Hilfswerkzeuge für die Bartpflege in der Steinzeit waren scharfkantige Feuersteine oder Obsidianklingen, die eineindeutig zu diesem Zweck hergestellt wurden.

Doch genug von der Geschichte des Bartes. Patriachalisch gesehen war er Zeichen der sexuellen Reife, was er heute noch ist, wo nix ist kann nix herkommen, aber auch damit Legitimation auf den damit verbundenen Machtanspruch. Und heute?

In der über tausendjährigen Menschheitsgeschichte folgt eine Phase des Bartes, auf die nächste und spätestens ab Alexander dem Großen, der im ungepflegten Barthaar, im Jahre 332 v. Chr. eine Gefahr erblickte und daher eine gesetzliche Bartschur verordnete, auch immer eine bartlose.

Alexanders damalige strategische Entscheidung war schlicht und einfach der Erkenntnis geschuldet, dass es für die Perser, die es im Zuge des Rachefeldzuges vor der Schlacht bei Arbela zu besiegen galt, ein Leichtes darstelle, die griechischen Soldaten am Barte zu packen und dann auch zu töten. Der Bart steht dem Sieg im Wege und muss daher ab. Punkt. Strategische Überlegungen beherrschen damit ab dieser Zeit auch die Körperbildästhetik und umgekehrt.

Wie eine gute Erziehung in der Familie

Was heißt dies für uns und das Wiedererstarken der Bartkultur? Verfolgt man die Kultur des Bartes über die Jahrhunderte, so war diese immer durch einige klare Trends in der Optik bzw. der Formgebung wie oben schon dargestellt bestimmt. Heute dagegen beherrscht die Vielfalt das Erscheinungsbild der Bärte, vergleichbar dem Mix der Kulturen, der Aufspaltung der Lebenswelten und ihrer Erscheinungen oder auch nicht.

Für was steht er der Bart? Muss er gar ab, so wie es der Paketdienstleister UPS von seinen Mitarbeitern verlangt: Bei UPS wissen die weltweit mehr als 400.000 Beschäftigten ganz genau, was sie zu tun oder zu lassen haben: Einen Mann mit Vollbart gibt es unter den UPS-Zustellern nicht!

„Eine starke Unternehmenskultur ist wie eine gute Erziehung in der Familie. Sie macht das Arbeitsleben leichter“, sagt Frank Sportolari, der Deutschlandchef des US-Unternehmens. In der hausinternen Dienstvorschrift für Angestellte mit Kundenkontakt liest sich das so: „Koteletten sollen nicht buschig sein und nicht unterhalb der Ohrläppchen enden. Bärte sind nicht zulässig.“ Lediglich ein Oberlippenbart wird geduldet. Aber auch dafür gibt es Regeln: „Die Schnurrbartenden sollen nicht unter die Mundwinkel reichen.“

Absehbar ist, dass dies auch einmal zu Streit führt. In einem Fall zog ein UPS-Fahrer sogar vor Gericht. Im Urlaub auf den Philippinen hatte er sich einen Bart wachsen lassen. Wieder im Paketdepot zurück, versetzten seine Chefs ihn in den Innendienst, wogegen er sich erfolgreich vor Gericht zur Wehr setzte. Am Ende gab es eine Einigung: Für einige Tausend Euro Abfindung verließ der Mann den Paketdienst.

Machen Sie sich doch selbst einmal ein Bild vom Bart

Denn eines ist mit Sicherheit gewiss: Der vermeintliche, seit der Antike bei uns, vorherrschende Rückschluss, das Äußere repräsentiere das Innere, beherrscht als zeit- und epochenübergreifendes Interpretationsmuster bis ins unsere Tage nicht nur die anthropologische Körperbildästhetik.

Ich für meine Person verbinde daher die Bartbilder in Frankfurt, Offenbach und Berlin mit einem hoffentlich realistischen Kulturoptimismus, der sich auch in meiner Hoffnung manifestiert, dass die Vielfalt der Bartkulturen, nicht nur für die innere Vielfalt und innere Freiheit ihrer Träger, sondern auch der sie umgebenden Gesellschaft steht.

Ihr Ulrich B Wagner

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?