Differenzierungsstrategien: auf einzigartige Weise besser sein (Teil 2)

Die wöchentliche Business-Kolumne von Til Roquette, Roquette Consulting, mit dem Titel „Strategische Marktpositionierung“.

In der letzten Ausgabe haben wir begonnen, verschiedene denkbare Differenzierungsstrategien vorzustellen. Diese Vorstellung wollen wir in dieser Ausgabe fortsetzen.

Differenzierung durch Spezialisierung: Kaufen beim Kompetentesten

Über eine besondere Form der Differenzierung haben wir schon ausführlich immer wieder gesprochen: die Spezialisierung. Mit einem sehr engen Fokus in Bezug auf das Marktangebot und die anzusprechende Zielgruppe haben Spezialisten die Möglichkeit, sich im Kopf einer eng umrissenen Zielgruppe mit einer einzigartigen Botschaft über Produkt und Nutzen zu verankern.

Hier wird die Kompetenz zum entscheidenden Attribut: Denn Spezialisten sind Experten. Ihnen wird auf ihrem Fachgebiet deutlich mehr Kompetenz zugesprochen als einem Generalisten.

Spezialisierung ermöglicht es immer, den Marktführer einer Kategorie anzugreifen. Man „schneidet“ sich ein bestimmtes Segment aus den Kunden des Marktführers heraus. Diese Kunden haben ein besonderes zu lösendes Problem oder Bedürfnis gemeinsam und man spezialisiert sich auf die Lösung dieses Problems.

Wichtig: ein erfolgreicher Spezialist muss Spezialist bleiben: Er darf nicht beginnen, anderen Geschäften nachzujagen. Eine solche Diversifikation führt immer zur Verwässerung der Differenzierung und der Spezialist wird immer weniger als solcher erkennbar und unterscheidbar. Der Spezialist ist also in seiner Spezialisierung, meist auch in seiner Branche „gefangen“. Daher schrecken viele von dieser Differenzierungsstrategie zurück. Jedoch ermöglicht eine klare Differenzierung als Spezialist einen wesentlich höheren Marktanteil an einer kleineren Zielgruppe. In vielen Fällen sind dies deutlich mehr Kunden als vorher.

Differenzierung durch Marktführerschaft: Kaufen, was andere kaufen

Menschen lieben zwar Außenseiter, kaufen aber bevorzugt vom Marktführer. Denn viele Kunden kaufen, weil sie glauben, dass sie es deshalb brauchen, weil andere es auch gekauft haben.

Marktführerschaft ist eine sehr überzeugende Beweisführung für die Überlegenheit eines Marktangebotes. Wenn Sie beweisen können, dass sie Marktführer sind, glauben Ihre Kunden ihnen fast alles, was sie behaupten. Denn Menschen setzen Größe oft mit Erfolg, Status und eben auch Marktführerschaft gleich.

Dazu schildern Hans und Michael Eysenck interessante Ergebnisse einer berühmten Studie: Zwei verschiedenen Testgruppen wurde ein „Mr. England“ vorgestellt, der einen als „Student aus Cambridge“, der andere als „Professor aus Cambridge“. Als die Testpersonen anschließend die Körpergröße von „Mr. England“ schätzen sollten, schätzte die Gruppe, die Mr. England als Professor kennen gelernt hatte, diesen um im Schnitt 12 cm größer.

Wichtig ist, mit der Marktführerschaft nicht aus falsch verstandener Zurückhaltung hinter dem Berg zu halten. Tragen Sie die Marktführerschaft offensiv nach außen!
Es gibt verschiedenen Arten der Marktführerschaft. Wenn Sie nicht Marktführer in Marktanteilen sind, dann können sie sich z.B. als Technologie- oder Innnovationsführer oder Performance/Leistungsführer positionieren. Oder als „beliebtester Anbieter“. Allerdings müssen Sie auch diese Positionierung plausibel machen … bevor Ihre Zielgruppe Ihnen als Marktführer fast alles andere glaubt.

Differenzierung als „Der Erste“: Kaufen, was der Pionier anbietet

„Es ist besser, erster zu sein, als besser zu sein … Wenn Sie nicht schon der Erste in einer Kategorie sein können, dann stellen Sie eine neue Kategorie auf die Beine, in der Sie der erste sein können.“ (Ries, Trout)

Jede Differenzierungsstrategie, die ihren Kunden hilft, die Unsicherheit in ihrer Entscheidungssituation zu überwinden, hat das Potenzial, eine funktionierenden Positionierung zu werden. Entscheidend ist dabei, dass Sie nicht nur „Erster“ waren, sondern dass Ihr Marktangebot auch eine hervorragend differenzierte Idee darstellt.

Neue Ideen, die einen zum „Ersten“ machen, setzen sich nur langsam durch und erfordern viel Zeit und Geduld. So schwer es ist, im Kopf der Zielkunden „Erster“ zu werden, umso schwerer ist es, „Erster“ zu bleiben. Denn es kostet enorme Anstrengungen, die Erfüllung des Anspruchs an den „Pionier“ aufrecht zu erhalten.

Gelingt es Ihnen jedoch, sich als „Erster“, als „Pionier“ zu positionieren, erreichen Sie eine ganz spezielle, nicht kopierbare Positionierung. Ihre Kunden nehmen Sie als „Das Original“ wahr, das Marktangebot Ihres Wettbewerbs als „Kopie“. Denn das Gedächtnis mag keine Veränderungen. Diese Macht der Gewohnheit führt zu einer Anziehungskraft des „Status Quo“. Wenn Sie sich als „Der Erste“ positionieren können, schadet es ihnen u.U. sogar nicht, wenn der Wettbewerb Sie kopiert, sondern es nutzt ihnen sogar, denn der Wettbewerb bestätigt ja Ihre ursprüngliche Idee.

Noch ein Hinweis: Gelingt es Ihnen jedoch, ihren Markennamen zum generischen Kategorie-Begriff zu machen (Tesa, Tempo), sind sie annähernd unangreifbar (wenn sie keine große Fehler machen).

Differenzierung via Tradition: Kaufen, was schon immer gekauft wurde

Tradition hat eine ganz natürliche psychologische Bedeutung, die mit positiv besetzten Begriffen wie Kontinuität oder sogar Unsterblichkeit verknüpft wird. Als solches hat Tradition die Macht, Entscheidungs-Unsicherheiten scheinbar zu beseitigen und Vertrauen zu schaffen: wenn ein Unternehmen lang im Geschäft ist, sollte es wissen, was es tut. Über Positionierung via Tradition gibt man seinen Kunden das Gefühl, bei einem führenden Unternehmen zu kaufen, auch wenn es gar nicht der Marktführer im Sinne des größten Marktanteils ist.

Allerdings ist wichtig, nicht mit der Vergangenheit auf Biegen und Brechen verheiratet zu bleiben. Sonst geht man an der Vergangenheit und ihrem „Angestaubt-sein“ zugrunde. Es gilt vielmehr, die vertrauenserweckende Tradition mit der Fortschrittlichkeit zu verbinden.

Eine Spezialform der Traditions-Differenzierung ist die Familientradition. Viele Kundensegmente fühlen sich mit Familienunternehmen verbunden, weil sie weniger unpersönlich wirken, weil man ihnen mehr örtliche Verbundenheit und Verantwortung unterstellt, weil sie ihre Mitarbeiter wie Familienmitglieder behandeln sollen, aber auch, weil Entscheidungen rascher getroffen werden, unternehmerischer.

Eine weitere Spezialform der Traditions-Differenzierung ist die Berufung auf geographische Traditionen: bestimmte Regionen werden mit bestimmten Produktkategorien identifiziert (z.B. irischer Whiskey, italienische Nudeln, belgisches Bier, deutsches Brot, amerikanische Software, usw.)

Differenzierung durch Peergroup-Bevorzugung: Kaufen, was tolle Menschen kaufen

Oft kaufen Menschen, weil sie glauben, dass sie es brauchen, weil Menschen aus einer bestimmten Peergroup es gekauft haben. Sie folgen einem Herdentrieb. Triebfeder ist ihre Unsicherheit bzw. ihr Wunsch, diese Unsicherheit durch soziale Bestätigung zu beseitigen: weil wir bei andern ein Verhalten gesehen haben, sehen wir es als angemessen an.

Bei der Differenzierung via Peergroup-Bevorzugung geht es darum, in den Vordergrund zu stellen, dass eine Referenzgruppe der Zielkunden das Produkt ebenfalls gekauft oder befürwortet hat. Diese Referenzgruppe kann entweder die eigene Peergroup der Zielkunden sein, oder aber eine Gruppe, zu der man gern dazugehören würde, die man bewundert oder die man sympathisch oder wenigsten glaubwürdig findet (Adidas oder Nike: wird von den bekanntesten Athleten getragen. Calgon: von führenden Waschmaschinenherstellern empfohlen. Padigree Pal: von führenden Züchtern empfohlen).

Social Media (Facebook, Blogs, Twitter, Youtube, …) ist ein sehr glaubwürdiger Kanal für eine solche Botschaft. Aber auch Medienberichte, z.B. über Studien, Tests, Ratings, Auszeichnungen, größere Akquisitionserfolge, oder Testemonials von Prominenten, o.ä.

 

Differenzierung durch „In sein“

Kunden, die in ihrer Entscheidung verunsichert sind (s.o.), richten sich danach, was „in ist“ und was eben nicht.

Definieren Sie, worin Sie „in sind“. Umsatz, Ratings, bei Branchenexperten. Starten sie ein aggressives PR-Programm, um dies bekannt zu machen.

Oft hilft es, wenn die Presse zunächst über das Problem an sich schreibt, dass Ihr Marktangebot löst und erst dann Sie als Problemlöser ins Spielt bringt. Dann nehmen die Menschen wahr, dass Sie Teil der Lösung eines großen Problems sind.

Warnende Erinnerung

Nochmals der Hinweis: diese Differenzierungsstrategien sind nur Beispiele, die Ihnen aufzeigen sollen, auf wie unterschiedliche Weise man sich differenzieren kann. Bevor Sie jetzt eine dieser hier genannten Strategien auswählen: Denken Sie zunächst darüber nach, welche hier nicht aufgeführte Differenzierungsstrategie es auch noch geben könnte und ob diese nicht noch besser geeignet sein könnte. Denn die hier vorgestellten Differenzierungsstrategien sind nur die wichtigsten – es gibt noch andere. Und, ganz wichtig: es gibt gar keinen abgeschlossenen Katalog aller Differenzierungsstrategien – Ihrer Kreativität ist keine Grenze gesetzt.

Vorschau

In der nächsten Ausgabe beschäftigen wir uns mit der Frage, warum die Unternehmensleitung die Marktpositionierung (wie alle Themen des strategischen Marketings) nicht aus der Unternehmensführung heraus delegieren darf.

Ihr Til Roquette

 

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Was erwartet Sie in den folgenden Ausgaben?

 

  • Wer trägt die Verantwortung für die strategische Marktpositionierung? Wann, in welchen Bereichen und wie oft muss die Marktpositionierung umgesetzt werden? Rolle von externen Beratern und Agenturen
  • Wie entwickelt bzw. justiert man eine strategische Marktpositionierung?
  • Welcher Aufwand und welche Veränderungen sind mit der Justierung der strategischen Marktpositionierung verbunden?
  • Herausforderungen und Erfolgsfaktoren bei der Justierung einer strategischen Marktpositionierung?
  • Hidden Champions als Vorbild
  • Marktpositionierung als Geschäftsmodell erfolgreicher Kapitalbeteiligungsgesellschaften
  • Warum haben so viele Unternehmen keine funktionierende Marktpositionierung?
  • Vermeintliche Management-Weisheiten und Trends als häufige Management-Irrtümer
  • Literaturempfehlungen zu Marktpositionierung, Differenzierung, Markenbildung, und weiteren interessanten Themen

 

Aus aktuellem Anlass können andere Themen eingeschoben oder Inhalte variiert werden.

 

Themen der letzten Ausgaben 

  • Warum diese Kolumne?
  • Fundament für erfolgreiche Vermarktung
  • Das Schüssel-Schloss-Prinzip: Der Schlüssel zur richtigen Zielgruppe
  • Betrifft Sie das Thema? Testen Sie sich!
  • Der Wirkungsmechanismus: Auf welche Weise wirkt eine funktionierende Marktpositionierung in Marketing, Kundenakquisition und Umsatz?
  • Exkurs: Positionierung vs. Markenentwicklung
  • Welche Ziele verfolgen Sie mit einer Marktpositionierung?
  • Marktpositionierung für B2B-Unternehmen?
  • Was beinhaltet eine Marktpositionierung?
  • „Differenzierung oder Sterben“ – Der USP als Herz der Marktpositionierung?
  • Klare Eingrenzung der Zielkunden – Wie USP und Zielkundenabgrenzung zusammen hängen
  • Durch welche Eigenschaften wird eine Marktpositionierung erfolgreich?
  • Differenzierungsstrategien: auf einzigartige Weise besser sein (Teil 1)

 

 

Profil von Til Roquette:

 

Geschäftsführender Inhaber von Roquette Consulting (Gröbenzell bei München). Als Fachmann für Marktpositionierung darauf spezialisiert, durch klare Marktpositionierung das Marktangebot seiner Mandanten für deren Zielgruppe anziehender zu machen. Berät mittelständische B2B-Unternehmen, hauptsächlich aus IT und Technologie. Vor dem Gründer und Unternehmer, der seine Firma erfolgreich verkauft hat. Davor Berater in namhaften Unternehmens- und Management-Beratungsgesellschaften sowie Geschäftsleitungsmitglied eines mittelständischen Softwarekonzerns. Diplomvolkswirt, Master of Business Administration (MBA). Jahrgang 1965, verheiratet, 2 Kinder.

 

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