Eine Reise in sich hinein und über sich hinaus

Die wöchentliche Business-Kolumne von Ulrich B Wagner

 

Heute: Nicht reden, handeln oder wie Veränderung gelingt

 

„Man soll handeln und nicht reden“.

Johann Wolfgang von Goethe

 

Über 40% aller Veränderungsprojekte in Unternehmen scheitern bereits in der Planungsphase, weitere 70% der verbleibenden Projekte darauf in der Umsetzungsphase. Als Unternehmen, aber auch als Mensch sind wir jedoch gezwungen, uns ständig wechselnden Umweltbedingungen anzupassen. Dies erfordert kontinuierliche Veränderung. So weit so gut. Die Zeitungen und Magazine sind voll von Ratschlägen, Aufforderungen und Aufrufen zur Veränderung. Veränderung ist in aller Munde. Veränderung, der Mythos Change hat sich zum Tinnitus, zum Dauerrauschen  unserer Lebens- und Arbeitswelt aufgeschwungen:

Alle fordern sie sie, keiner will sie und erst recht keiner tut etwas dafür.

 

Warum entpuppen sich Veränderungsprozesse darüber hinaus so häufig als Drehtür, die, einmal angestoßen, durch kompensatorische Rückkopplungseffekte immer mehr an Fahrt aufnimmt und uns schließlich an den Ausgangspunkt zurück oder schlimmstenfalls noch darüber hinaus schleudert?

 

Meines Erachtens liegt es, verkürzt ausgedrückt, an zwei Dingen: dem Mangel an Leitbildern auf der einen und der fehlenden frühzeitigen Integration der von der Veränderung Betroffenen auf der anderen Seite.

 

Leitbilder, wie ich sie verstehe, sind keine Visionen, Seifenblasen oder praxisferne Hirngespinste. Leitbilder sind ein gelebtes Versprechen, aus Möglichkeiten Tatsachen zu machen. Dies gelingt jedoch nur durch Verpflichtung und Handeln.

 

Lassen Sie mich hierzu eine kleine Anekdote erzählen über die schwarzen Jahre der amerikanischen Weltraumgeschichte und die Entscheidung, die diese Misere schließlich grundlegend veränderte. Wir schreiben das Jahr 1957. Der so genannte Sputnik-Schock erschüttert Amerika und die westliche Welt: Am 04.10.1957 starten die Sowjets den ersten Weltraumsatelliten, am 03.11.1957 bereits die Sputnik II mit der Hündin Laika an Bord. Die Tatsache, dass die amerikanischen Raketen dagegen nur selten abheben, dafür aber umso lieber am Boden explodieren oder in naheliegende Gebäude einschlagen, kratzt deutlich am Selbstverständnis der amerikanischen Nation. Die ärgerliche Geschichte, dass am 12.April 1961 der sowjetische Leutnant Juri Gagarin zum ersten Mal die Welt umrundet, und dies auch noch im Orbit, und die darauf folgende Empfehlung Chruschtschows an die Amerikaner, es doch mal mit Schimpansen zu versuchen, wenn sie schon selbst nicht hochkämen, bringt das Fass schließlich zum Überlaufen.

 

Nur acht Tage später, am 20. April 1961, findet der amerikanische Vizepräsident Lyndon B. Johnson auf seinem Schreibtisch ein Memorandum von seinem Chef vor, von John F. Kennedy, einem wahrhaften Meister darin, die Grund-Zutaten eines Leitbildes, sprich Idee, Vision, Organisation und Motivation, so zu mischen, dass sie nicht nur begriffen, sondern auch ergriffen wurden.

 

Das was Lyndon B. Johnson in den frühen Morgenstunden vorfindet, ist ein Beispiel dieser besonderen Fähigkeit und die Initialzündung eines gigantischen Veränderungsprozesses. Kurz und knackig hagelt es klare und prägnante Fragen:

 

Wo stehen wir in Sachen Raumfahrt derzeitig?

Haben wir eine Chance gegen die Russen?

Sind wir in der Lage einen Menschen auf den Mond zu bringen und sicher wieder zurück?

Arbeiten wir an diesem Ziel 24 Stunden lang?

Wenn nein, warum nicht? Und falls nein, unterbreiten Sie Vorschläge wie wir effizienter, schneller und effektiver werden können.

Machen wir die größtmöglichen Fortschritte?

Verwenden wir die richtige Technik?

Gibt es Alternativen dazu?

Erreichen wir unsere Ziele und womit?

 

Das Memo endet wie es angefangen hatte. Ohne Anrede, kurz und knackig: Ich möchte die Antworten darauf schnellstmöglich. Unterschrift

 

Nur wenige Tage später erfolgt Kennedys legendäre "Mond-Rede" im Mai 1961 vor dem amerikanischen Kongress:

 

"I believe that this nation should commit itself to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the earth. No single space project in this period will be more impressive to mankind, or more important in the long-range exploration of space; and none will be so difficult or expensive to accomplish (…)"

 

Lesen Sie bitte nicht die vielen falschen deutschen Übersetzungen, die, den Kern dieser Aussage vernichtend, meist so klingen: „Wir sollten bis zum Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond bringen und wieder sicher zurück zur Erde.“  Nein und nochmals Nein! Was Kennedy sagte, war: „this nation should commit itself, sprich die Nation sollte sich verpflichten. Denn wie ein deutsches Sprichwort so schön sagt: Was man verspricht, muss man auch halten.

 

So einfach kann es sein. In unser aller Leben, in jedem Unternehmen, kommt eines Tages der Punkt, an dem man sich entscheiden muss: Von Grund auf neu anzufangen, oder aus blindem Beharrungswillen weiterhin mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen.

 

Für ein Leitbild benötigt man ein Problem, die Aufrichtigkeit und Offenheit es zu erkennen, den Mut es zu benennen, die Stärke, ein mögliches Ziel zu beschreiben, den Verzicht auf Schuldzuweisungen, die Offenheit zur Kommunikation, die Verpflichtung, es zu erfüllen sowie die Motivation, aus diesem Leitbild Handeln erwachsen zu lassen. Nur dies führt zu einer bildhaften und begreifbaren Veränderungskultur, die durch ihre Ziel- und Lösungsorientierung nicht nur jeden Einzelnen fordert, sondern auch nachhaltig verpflichtet.

 

Das ist das, was ich unter modernem Management verstehe: Ein Aufrütteln, ein Aufwecken, ein Öffnen und Erweitern von Horizonten, die Fähigkeit, Energien in eine Richtung zu bündeln, schlicht und einfach Orientierung zu geben. Die Methode Zuckerbrot und Peitsche, Schuldzuweisungen und das öffentliche Abstrafen vermeintlicher Schuldiger verhindern nicht nur eine nachhaltige Veränderung, sondern sind darüber hinaus auch kontraproduktiv und kontrafaktisch, da sie das notwendige Ganze, das Systemische verneinen, und so interne Wissenspotentiale verstummen lassen.

 

Die Antwort kann daher nur lauten: Führen durch Ziel und Sinn. Leitbilder sind Orientierung, sie sind, auf Grund der mit ihnen verbundenen Verpflichtung, darüber hinaus sinnstiftend. So weit so gut. Aber wie geht es nun weiter mit dem Leitbild an sich?

 

Leitbilder werden nämlich nicht einfach dadurch lebendig, dass sie herunter gebetet oder geprügelt werden. Leitbilder sind Verpflichtungen zum Handeln. Hier steht, aufgepasst, die nächste Hürde im Raum bereit: das Loslassen. Das Vertrauen des Managements, diese erste grobe Struktur und Orientierung zu übergeben, also das Bekenntnis zum Team, sprich die frühzeitige Integration aller Beteiligten in den Veränderungsprozess. Eine frühzeitige Transparenz über die Orientierung und das Verständnis in die heterogenen, sich teilweise widersprechenden Anforderungen einzelner Bereiche und Menschen im Unternehmen. Noch einmal: Der erste Schritt besteht in der Idee, der Organisation, der Vision und der Motivation Aller. Übrigens: An dieser Stelle scheitern bereits 50% aller Veränderungsprojekte. Sollte diese Hürde überwunden worden sein, müssen diese Fragen heruntergebrochen werden auf die einzelnen Bereiche und jeden einzelnen Mitarbeiter:

 

Was bedeutet das für Sie?

Arbeiten wir 24 Stunden daran?

Und wenn nein, warum nicht?

Und falls nein, was können wir ändern?

Womit?

Wer macht was und bis wann?

 

Und bitte keine Ausflüchte. Keine gewohnten Ausreden, keine Schuldzuweisungen, keine Bedenkenträgerei, keine Lügen, kein Verschweigen, keine Rechenschaftsberichte. Stattdessen sag, was möglich ist, sag, was du brauchst, sag, wann und mit wem, und lass uns gemeinsam handeln. Das ist deine Chance deine Stelle nicht nur effizienter, sondern auch das Miteinander wenig spannungsgeladener zu gestalten. Das ist deine Pflicht.

 

Sie glauben, das ist unmöglich? Ich sage nicht nur, dass es möglich ist, sondern ich persönlich bin der Meinung, dass dies auch der einzige Weg ist, Veränderungsprozesse zum Erfolg zu führen. Hierzu gehört jedoch der Mut, Konflikte offen auf den Tisch zu bringen, das Verständnis für die Bedürfnisse und Restriktionen des Anderen, sowie die Bereitschaft, über den eigenen Tellerrand zu blicken und sich als Ganzes zu verstehen. Lassen Sie diesen Prozess anfänglich durch einen externen Berater moderieren und denken Sie immer daran: Amateure hoffen, Profis handeln, wie Garson Kanin einmal sagte.

 

 

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Profil des Autors:

 

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie. Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

 

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

 

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