Eine Reise in sich hinein und über sich hinaus – Der Kampf mit dem Dämon

Die wöchentliche Business-Kolumne von Ulrich B Wagner

Heute: Der Kampf mit dem Dämon:
Burn-Out, Volkskrankheit in Zeiten des ewigen Erfolgsversprechens

„Ach, es ist unverantwortlich, den Ehrgeiz in uns zu erwecken – einer Furie zum Raube sind wir hingegeben“
Heinrich von Kleist, Briefwechsel

Lassen Sie mich zu Beginn der heutigen Kolumne aus Stefan Zweigs Essay über Heinrich von Kleist zitieren: „Kleists Krankheiten waren wahrscheinlich mehr Flucht in die Krankheit als eigentliches Gebrest, vehemente Ruhebedürfnisse des Leibes nach den ekstatischen Überspannungen der Seele. Seine preußischen Ahnen hatten ihm eine solide, fast allzu harte Physis vererbt: sein Verhängnis stak nicht im Fleisch, zuckte nicht im Blut, sondern schwärmte und gärte unsichtbar in seiner Seele. Aber er war auch eigentlich nicht ein Seelenkranker, eine hypochondrische, misanthropisch-verdüsterte Natur. Kleist war nicht belastet, war nicht wahnsinnig, höchstens überspannt, wenn wir das Wort im sinnlichsten, wörtlichsten Sinn seines Ursprungs richtig aussprechen wollen. Kleist war überspannt im Sinne von: zu viel gespannt, er war von seinen Gegensätzen ständig auseinandergerissen und beständig bebend in dieser Spannung, die, wenn der Genius sie berührte, gleich einer Saite schwang und klang. Er hatte zu viel Leidenschaft, eine maßlose, zügellose, ausschweifende, übertreiberische Leidenschaft des Gefühls, die beständig zum Exzess drängte und doch nie in Wort oder Tat durchbrechen konnte, weil eine ebenso stark aufgetriebene und übertriebene Sittlichkeit, ein kantisches überkantisches Pflichtmenschentum mit gewaltsamen Imperativen die Leidenschaft zurückstieß und versperrte. Er war leidenschaftlich bis zur Lasterhaftigkeit bei einem fast krankhaften Sauberkeitsempfinden, er wollte immer wahr sein und musste sich doch verschweigen. Daher dieser Zustand ständiger Spannung und Stauung, diese unerträgliche Qual seelischen Auftriebs bei verpressten Lippen. Er hatte zuviel Blut bei zuviel Hirn, zuviel Temperament bei zuviel Zucht, zuviel Gier bei zuviel Ethos und war ebenso übertreiberisch im Gefühl wie überwahrhaftig im Geist. So spannte sich der Konflikt immer gewaltsamer durch sein ganzes Leben; allmählich musste der Druck zur Explosion führen, wenn sich kein Ventil auftat…… Die Natur hatte ihm eben mehr gegeben, als ein einzelner Mann für ein Leben zu ertragen vermag: so wütete die Fülle gegeneinander, und die Überdosierung ward zu Gift und Verhängnis, unendlich mehr als die schwache Rinde eines irdischen Leibes an solchen Säften und Kräften in sich bewältigen kann. Darum musste er sich selbst zersprengen wie ein überhitzter Kessel: sein Dämon war nicht das Unmaß, sondern sein Übermaß"(Stefan Zweig, Der Kampf mit dem Dämon, Heinrich von Kleist).

Kennen Sie den demokratischen US-Abgeordneten Anthony Weiner? Anthony Weiner ist der Mann, der nur wenige Stunden nach dem Dominique Strauss-Kahn vor einem New Yorker Gericht im Vergewaltigungsprozess seine Unschuld beteuerte, in einer eilig herbeigerufenen Pressekonferenz eingestehen musste, dass er schlüpfrige Nacktfotos bei Twitter eingestellt hatte und sich damit aus dem Rennen um das New Yorker Bürgermeisteramt beförderte. Dieser Ausrutscher ließ selbst seine treuesten Vasallen nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sie entgeistert rufen: "What was he thinking?"

Welchen Bogen der Kolumnist hier wohl schlagen möchte, werden Sie jetzt vielleicht denken, von unserem altehrwürdigen Dichter, Krieger und Seelensucher Heinrich von Kleist, in die profanen Abgründe des Alltags und der Politik. Vielleicht ein wenig verwegen. Oder vielleicht doch nicht? Kleist hatte kein Ventil. Darum musste er sich selbst zersprengen, mit einer Kugel, die sich der Verzweifelte mit zielsicherer Hand in den Schädel jagte. Dominique Strauss-Kahn und Anthony Weiner hatten eines, doch welches (?) und schleuderten sich eigenhändig in den Orkus aus Schadenfreude und Selbstzerstörung. Dies sind keine Erklärungen und Entschuldigungen der Verfehlungen, nur Annäherungen eine Pathologie der Lebenswelt. Einer Welt, die immer mehr überhitzt und ihre Protagonisten überspannt in imaginären Hamsterrädern gefangen hält.

Meines Erachtens haben wir es hier mit krankhaften Ausbrüchen einer allgemeinen, ganze westliche Gesellschaften durchdringenden Pathologie zu tun. Der Pathologie des ewigen Erfolgs. Einer allgemeinen Zerrissenheit angesichts sich widersprechender Anforderungen und Heilsversprechen in einer Zeit, in der Burn-Out zu einer Volkskrankheit aufsteigt, psychosomatische Beschwerden zum guten Ton gehören, und Menschen sich in unglaublicher Weise selbst ausbeuten. Es ist ein anderer Zugang, den ich an dieser Stelle wähle. Es gibt viele unterschiedliche Ursachen für das Burn-Out Syndrom, für sogenannte Blackouts und ähnliches. Doch erschloss sich mir, Stefan Zweig lesend, das Gefühl, dass dieser innere Druck der sich widersprechenden und der mit und gegeneinander kämpfenden Einstellungen, Anforderungen und Zwänge ihnen allen zugrunde liegt. Natürlich sind wir nicht Kleist. Und doch sehen wir uns in der heutigen Zeit, gerade auch durch das Mantra des ewig erfolgreich sein Müssens, enormen widersprüchlichen Zwängen ausgesetzt, die zu Überspanntheit, Gereiztheit und Selbstzerstörung führen. Ein gesunder Ehrgeiz ist die Triebfeder eines erfüllten Lebens. Doch was passiert, wenn der Ehrgeiz zur Furie wird? Der Erfolg nicht zu Zufriedenheit und Gelassenheit führt, sondern zur quälenden Kassandra, die immer wieder aufs Neue in unser Ohr flüstert, dass der heutige Erfolg vielleicht schon der Misserfolg von morgen ist, wenn wir uns nicht sofort bemühen, ihn zu übertreffen? Sei perfekt! ist der Ausruf der modernen Todesengel. Es reicht nicht aus, einfach „nur“ gut zu sein, da es scheint´s immer noch besser geht. Es reicht nicht aus, ein guter Vater, eine gute Mutter zu sein und dabei gleichzeitig noch berufstätig. Nein! Nebenbei sollen wir auch noch sportlich, intelligent, gebildet, perfekt ernährt und in wohlgeformten Körpern durch das Leben gehen.

„Unsere Zeit leidet an einer seltsamen Krankheit, die ich Aktionismus und Hektik nenne“, sagte einmal Alfred Herrhausen. Vielleicht ist es einfach mal wieder an der Zeit sich einzugestehen, dass weniger mehr ist. Das Dasein nicht nur bedeutet zu handeln. Das allein ist schon sehr bedeutsam, damit wir uns verändern, wie in der letzten Woche bereits ausgiebig ausgeführt. Wir müssen jedoch, wie Alfred Herrhausen an anderer Stelle einmal betonte, unser Handeln auch sein. Wahrscheinlich gibt es nichts Schwierigeres im Leben als da zu sein, mit sich selbst eins zu sein. Jedoch denke ich, dass wir keine andere Wahl haben als das Unmögliche zu versuchen und mit uns eins zu sein, uns als fehlbare Menschen anzuerkennen. Unser Unperfektionistisches, unsere Ecken und Kanten zu lieben, und ein wenig Barmherzigkeit an uns selbst walten zu lassen. Nur so können wir schließlich erkennen, wie schön das Leben doch sein kann.

In diesem Sinne bis nächste Woche
Ihr

Ulrich B Wagner

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Profil des Autors:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main. Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie. Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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