Energiewende vor Ort: Das Energiedorf Wildpoldsried

 

Wildpoldsried ist ein kleiner Ort mit rund 2.500 Einwohnern im Allgäu und hat die Energiewende schon Jahre vor der offiziellen politischen Energiewende begonnen. Und dies so erfolgreich, dass das Dorf als Vorbildgemeinde in Sachen erneuerbarer und alternativer Energien gilt. Grund genug also für die Hanns-Seidel-Stiftung, mit den Teilnehmern des Seminars „Energiekonzepte“ am 8. Oktober Wildpoldsried einen Besuch abzustatten, um die Erfolgsrezepte des Energiedorfes kennen zu lernen.

Verantwortlich für die Energiestrategie und den Erfolg der Maßnahmen zur Energiewende ist Bürgermeister Arno Zengerle (CSU). Er entwickelte die Vision des Energiedorfes Wildpoldsried und musste hierfür erst einmal die Bewohner seiner Gemeinde gewinnen. „Von Anfang an habe ich alles öffentlich gemacht“, so Zengerle nach seiner Begrüßung im neu erreichteten Dorfzentrum „Kultiviert“, wo unter einem Dach ein Veranstaltungssaal, ein Bildungszentrum, ein Kulturcafé und Gästezimmer für 55 Personen vereint sind. 1998 begann der Bürgerbeteilungsprozess mit einer Umfrage unter den Bürgern zur Entwicklung eines ökologischen Profils, diese wurde dann mit den Bürgern zusammen ausgewertet und die Zustimmung für das Projekt war überraschend hoch, beim anvisierten Bau von Windrädern sogar bei über 90 Prozent!

Das Energiekonzept der Gemeinde besteht aus drei Säulen: Regenerative Energieerzeugung und Energieeinsparung, maximaler Einsatz von Holz als ökologischer Baustoff und Schutz der Wasservorkommen mit ökologischer Abwasserbeseitigung. Dazu kommt ein Klimaschutz-Leitbild, das das Ziel hat, bis zum Jahr 2020 Wildpoldsried zu 100 % aus regenerativen Energien zu versorgen. Dabei legt die Gemeinde Wert auf regionale Wertschöpfung, Gemeinschaftsaktionen mit Bürgern, enge Zusammenarbeit mit den Vereinen, Arbeitskreisen und innovativen Firmen vor Ort sowie die regionale und überregionale Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden und Organisationen. Hinzu kommen ein Energiemanagement für alle Gebäude, Energiebildung für Kinder der 1. bis 4. Klasse und einmal im Jahr eine Energiewoche im Kindergarten, bei der die Kinder spielerisch an das Thema Energie herangeführt werden. Jüngste Maßnahme ist die Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf LED-Lampen.

Beim Strom produziert Wildpoldsried mittlerweile das Dreifache seines Bedarfs, 11 Windräder auf einem Hügel oberhalb des Dorfes stehen hierfür. An diesen Windrädern sind knapp 300 Wildpolsdrieder Bürger finanziell beteiligt, wobei die Beteiligung bei 100.00 Euro pro Person gekappt wurde, damit nicht eine oder wenige Bürger allein den Nutzen haben. Die Besichtigung dieser Windkraftanlagen im Wald oberhalb von Wildpoldsried war ein Höhepunkt des Besuches der HSS-Delegation. Nicht nur von außen konnten sich die Besucher von den Dimensionen der Windräder überzeugen, auch der Blick ins Innere war beeindruckend.

Zur Windkraft kommen weitere Maßnahmen hinzu, wie die „Dorfheizung“ aus Biomasse, die über 40 Gebäudekomplexe mit Wärme versorgt, darunter das Rathaus, das Feuerwehrhaus, Sporthallen, die Kirche, eine Seniorenwohnanlage sowie private Häuser. Lieferant der Energie ist die Biogasanlage der Familie Einsiedler, die nicht nur nur beim Bau der Windräder an vorderster Stelle dabei war, sondern auch hier als Bauherr einstieg. Die Energie aus der Biomasse wird durch ein Nahwärmenetz über ein Blockheizkraftwerk zu den Verbrauchern geleitet. Allein mit dieser „Dorfheizung“ spart die Gemeinde 220.000 Liter Heizöl und beim C0²-Verbrauch über 650.000 kg im Jahr. Dazu kommen noch drei Hackschnitzelheizungen sowie 4 Erdwärmeanlagen. Energieneutrales Bauen, der Anreiz für Passivhausbau und Plusenergiehäuser, die Dämmung von Altbauten, all dies sind weitere wichtige Maßnahmen im nachhaltigen Energiekonzept der Gemeinde. „Jedes Gebäude soll in Zukunft ein eigenes Kraftwerk bei Strom und Wärme sein“, so Zengerle.

Natürlich spielt auch die Fotovoltaik eine große Rolle im Energiekonzept der Gemeinde. 200 Fotovoltaikanlagen mit 3985 kWp (Kilowatt-Peak), 140 thermische Solaranlagen mit ca. 1900 m² sind die beeindruckenden Zahlen für diese kleine Gemeinde. Auch die Halle des örtlichen Sportvereins hat eine große Fotovolatik-Anlage auf dem Dach. Diese produziert so viel Energie, dass der Verein hiermit rund 30.000 Euro erwirtschaftet, Geld, dass zu 100 Prozent in die Jugendarbeit fließt. Interessanterweise beeinträchtigen die Fotovoltaikanlagen das Erscheinungsbild der Gemeinde kaum, wie der Blick vom Aussichtshügel verrät.

Jüngstes Projekt ist „IRENE“, ein Gemeinschaftsprojekt von Siemens, des Allgäuer Überlandwerkes, der Universität Aachen und der Hochschule Kempten. Ziel ist es, ein intelligentes Stromnetz, ein sogenanntes Smart Grid, in der Praxis zu testen.

Viele Umweltpreise hat die Gemeinde in den letzten Jahren gewonnen. So den Deutschen Solarpreis, den 1. Preis im Bayerischen Agenda-Wettbewerb, den Umweltpreis der Bayerischen Landesstiftung, den European Energy Award und jüngst in Rom den Preis „Un Bosco per Kyoto 2012“, der von der „Accademia Kronos“, einer Vereinigung vOn Wissenschaftlern aus dem ökologischen Bereich, verliehen wird.

Zwei weitere Vorträge ergänzten das Seminarprogramm. Stefan Graf, der Energieexperte des Bayerischen Gemeindetages stellte in Wildspoldsried Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Energiepolitik vor, wobei er die rechtlichen Aspekte genauso würdigte wie die Angebote von Staat und Gemeindetag. Jede Gemeinde ist Gewährleistungsträger für die örtliche Energieversorgung. Sie ist verantwortlich für Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit. Das Entscheidende ist, wie eine Gemeinde diese Verpflichtung handhabt.

Am Abschlusstag war Georg Radlinger zu Gast in Wildbad Kreuth. Der Energieexperte des Versorgers „Erdgas Schwaben“ nahm Stellung zum Energiekonzept der Bundesregierung, wobei er auch die Schwachpunkte nicht aussparte, wie die Netz- und Speicherproblematik. „Erzeugte Energie muss transportiert und gespeichert werden“, so Radlinger, sonst mache die Energieproduktion keinen Sinn. Als Zugabe stellte er zum Abschluss des Seminars seinen Dienstwagen vor, der mit Biogas betrieben wird. Auf die Frage, ob man damit von München nach Hamburg komme, verwies Radlinger auf das Netz von über 4000 Gastankstellen in Deutschland und auch im europäischen Ausland müsse man nicht fürchten, ohne Sprit liegen zu bleiben.

(Quelle: Hans Seidel Stiftung)

 

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