Gauchos, Buletten, Sonnenschein: Über Gutmenschen am Strand

… aus der wöchentlichen Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET  – Das Wort zum Freitag“ von Ulrich B Wagner. Nachdem in Der gläserne Deutsche. Über Vertrauen und Freundschaft in Zeiten der NSA unter anderem die Frage gestellt wurde, ob es rechtens ist, was sich der Deutsche durch die Freunde aus Übersee alles gefallen lassen muss, geht es heute um den Gutmenschen und den mangelnden Mut zu sich selbst.

Gutmenschen sind ein Fluch. Auch sie tun gute Taten.
Aber sie tun es auf eine Weise, die ihre Mitwelt
manchmal schier um den Verstand bringt.“

Oscar Wilde

Ein Asket ist ein schwächlicher Charakter, der der Versuchung erliegt, sich ein Vergnügen zu versagen.“

Ambrose Gwinnet Bierce

Des interessiert mi ois net, der Scheißdreck. Weltmeister samma. Den Pott hamma …“

Thomas Müller auf die Frage einer kolumbianischen Reporterin zum goldenen Schuh

Vergrämte und unbefriedigte Spaßbremsen

Wochen der Begeisterung, der kollektiven Hysterie gingen vergangenen Sonntag mit dem gekrönten Fußballmärchen dieser einzigartigen deutschen Mannschaft zu Ende. Zielstrebigkeit, Zusammenhalt, Bescheidenheit und Mut heißen die Ingredienzen dieses Fußballtraums. Und dann das! Unsere Siegerbuben veralbern vor einem Millionenpublikum und vor historischer Kulisse die Gauchos. Schön war’s.

Wären da nicht all die Gutmenschen landauf und landab. All die verbitterten, vergrämten und unbefriedigten Spaßbremsen mit ihren mageren, welken Zeigefinger und Moralpredigten. All das passt perfekt in eine Welt, in der Der Stern vor kurzem auf seiner Titelseite predigte, die vegane Küche sei „gesund“ und „frisch“.

Gewissenlos und brutal

Tierrechtsbewegungen, militante Vegetarier und Veganer setzen die Unterscheidung von uns Fleischfressern in Mensch und Tier mit Sexismus und Rassismus gleich. Die neusten Forschungen zur Gefühlswelt von Pflanzen werden jedoch geflissentlich unterschlagen. Tierliebe hat für mich manchmal auch etwas sehr befremdliches. Ich denke, dass zur Tierliebe immer auch ein gewisses Maß an Enttäuschung von den Mitmenschen gehört. Tiere sind immer lieb, anhänglich, verspielt, schön und geheimnisvoll. Manche unsere tierlieben Zeitgenossen kommen mit ihren Ersatzpartnern besser klar, als mit ihren Mitmenschen. Von den krankhaften Ausuferungen bis hin zum Katzenyoga ganz zu schweigen.

Wir Fleischfresser jedoch sind einfach nur ignorante Mörder. Gewissenlos und brutal.

Freude und Spaß? Sehr verdächtig!

Ich für meine Person habe im Laufe der Jahre die Grenzen meines Charakters anerkennen müssen. Enthaltsamkeit und Askese sind nicht ganz mein Ding. Doch ist sie, genau wie der Vegetarismus, so alt wie die Menschheit. Alles, was irgendwie nach Freude und Genuss riecht wird angeprangert. So gesehen ist Fleischgenuss wie Sex – unendlicher Quell von Freude und Sinnlichkeit und unendlicher Anlass sich selbst und andere zur Selbstkontrolle zu ermahnen.

Nahezu alles taugt zur Moralhudelei in diesem Land. Warum sind unsere Jungs auch nicht mit in Demut zum Boden geneigten Köpfen vor dem Brandenburger Tor erschienen und haben sich dann unter Tränen bei den besiegten Argentiniern entschuldigt, von den Brasilianern ganz zu schweigen. Freude und Spaß sind in unsren Landen irgendwie immer sehr verdächtig.

„Ich glaube an das Pferd“

Von unserer Freude und Erleichterung und von den Vorzügen des Internets und unserer Handys ganz zu schweigen. In nicht enden wollender Gleichmütigkeit wird von den Vorzügen und den Wohltaten des Offline-Seins palavert. Dabei ist die Faszination dieses Offline-Seins genauso veraltet und nervig wie die unbewiesene Mähr des gesunden, fleischlosen Essens.

So wird uns gerne zur „digitalen Diät“ geraten. Mich persönlich interessiert der ganze Salmon nicht, denn er entstammt meines Erachtens der gleichen Geisteshaltung wie dem berühmten Ausspruch unsres letzten Kaisers Wilhelm II. : „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.“

Von Gutmenschen den Spaß nicht verderben lassen

Nein, die Vorzüge der neuen digitalen Welt stehen nicht für Entmündigung, Kontrollverlust und Sucht, geschweige denn kappen sie uns den letzten Draht zur Realität. Sie haben uns neue Realitäten eröffnet. Sie machen uns frei und bereiten darüber hinaus auch Spaß und unendliche Möglichkeiten der Kommunikation mit unseren Mitmenschen.

Ich lass mir den Spaß am Leben, am Genuss und allen anderen Freuden des Lebens von unsren Spaßbremsen nicht verderben. Ich halte es daher mit Arthur Schnitzler: „Du fragst mich, was soll ich tun? Und ich sage: Lebe wild und gefährlich!“

In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr Mut zu uns selbst.

Ihr Ulrich B Wagner

Über Ulrich B Wagner:

Ulrich B Wagner
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema  „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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