Gefährlichkeit neu eingestuft: Krebserregende Wirkung des Dieselruss «entschlüsselt»

Seit Juni 2012 ist es amtlich: Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft Dieselruss als Erreger von Lungenkrebs ein. Artur Braun, Physiker an der Empa und Experte für Röntgenspektroskopie, hat massgeblich dazu beigetragen, Struktur und Zusammensetzung von Russpartikeln zu analysieren.

Feinstaub ist gefährlich – diese Erkenntnis ist nicht neu. Doch was macht am Feinstaub die Gefahr aus? Ist es nur der Dieselruss aus Motoren? Kommt die Gefahr auch vom holzgefeuerten Cheminée im Ferienhaus? Oder gar vom fettqualmenden Fritteusendunst aus dem Restaurant nebenan?

Diese nahe liegenden Fragen waren lange Zeit eine rechte Knacknuss für die Wissenschaft. Wohl liess sich russiger Feinstaub in Filtern einsammeln und die chemischen Bestandteile wurden analysiert. Doch die Frage blieb: wo genau steckt die Gefahr? Sind es die Russpartikel selbst, die Menschen krank machen? Oder sind es Giftstoffe, die der Russ mit sich trägt – wie ein vollgesogener Schwamm?

Qualm ist nicht gleich Qualm

Das norwegische Gesundheitsministerium («Norwegian Institute of Public Health») wollte der Sache nachgehen und bat Artur Braun um Unterstützung. Vor seiner Zeit bei der Empa hatte der Forscher an der Universität von Kentucky gearbeitet und dort 2002 erstmals Russpartikel mit Hilfe von weicher Röntgenstrahlung an einem Synchrotron analysiert. Ergebnis: Dieselpartikel, die unter hohem Druck und grosser Hitze im Motor «geboren» wurden, besitzen ein Gerüst aus Graphit – das ist im Röntgenlicht deutlich zu sehen. Bei Russpartikeln aus Holzfeuern, die unter milden Atmosphärenbedingungen entstanden, fehlt dieses Graphit-Gerüst. Auch die chemischen funktionellen Gruppen unterschieden sich: Im Dieselruss fanden sich Carboxylgruppen, wie sie auch an Ameisensäure- und Essigsäuremolekülen vorkommen; im Holzrauch fand Braun Hydroxylgruppen wie an Methanol und Ethanol. Qualm ist also nicht gleich Qualm.

Getrennt analysieren, vereint bekämpfen

Die norwegischen Toxikologen gingen nun einen Schritt weiter und liessen die Russpartikel mit Hilfe von Lösungsmitteln von den anhaftenden chemischen Giftstoffen bei Brauns Kollegen an der «University of North Dakota» trennen. Dann analysierte Braun die Bestandteile einzeln im Röntgenlicht: erst die «nackten» Russpartikel, danach die Lösung mit den mutmasslich Krebs erregenden Giftstoffen, die zuvor am Russ gehaftet hatten. Wieder fand Braun verschiedene funktionelle Gruppen am Kohlenstoffgerüst und konnte sie mit den Befunden seiner früheren Forschungsarbeit vergleichen.

Zugleich testeten die Toxikologen, welche Wirkung die beiden Fraktionen der Russpartikel auf menschliche Lungenzellkulturen haben. Erstmals wurde also getrennt untersucht, was am Russ so gefährlich ist. Die Studie, die kürzlich im Fachblatt «Toxicology Letters» erschien, ist nach Meinung von Braun die erste, in der die Methode der Röntgenabsorptionsspektroskopie (NEXAFS) mit Methoden der toxikologischen Forschung kombiniert worden war.

Die WHO reagiert

Das Ergebnis der Studie fiel eindeutig aus: Die «nackten» Russpartikel lösten in Zellkulturen einen genetischen Entgiftungsmechanismus aus. Die Zellen waren also angegriffen worden. Aber auch die ausgewaschenen, vorher am Russ haftenden Stoffe zeigten Wirkung: Sie verursachten Entzündungsreaktionen in den Zellen und agierten zudem als Zellgift. Zeitgleich reagierte die Weltgesundheitsorganisation WHO. Mehrere neue Studien – so auch die von Braun und seinen Kollegen aus Norwegen und den USA – hatten auf die Krebs erregende Wirkung von Russ hingedeutet und die Mechanismen hinreichend erklärt.

Nun konnte nicht mehr, wie seit 1988, von wahrscheinlicher Krebsgefahr («probably carcinogenic to humans») gesprochen werden. Die Neu-Einstufung folgte am 12. Juni 2012. Dieselruss gilt jetzt als erwiesenermassen («based on sufficient evidence») Lungenkrebs erregend; eine gewisse Wahrscheinlichkeit deutet ausserdem darauf hin, dass Dieselruss ebenfalls das Risiko von Blasenkrebs erhöht.

Röntgenforschung an der Empa – Messungen in Berkeley und Stanford

Physiker Braun wendet sich nun – nach seiner «Amtshilfe» für die Gesundheitsforschung – wieder seiner Aufgabe als Gruppenleiter in der Empa-Abteilung «Hochleistungskeramik» zu und arbeitet auch in dieser Position weiter an Synchrotronen in den USA und in Europa. Regelmässig ist er an der Strahlenquelle ALS in Berkeley (Kalifornien) und am Stanford Synchrotron (SSRL) für Messungen. Für die Empa nutzt der Experte die Methoden der Synchrotronstrahlung für die Materialforschung an Energiespeichern und -wandlern.

Derzeit ist eine weitere Veröffentlichung zum Thema Feinstaub aus Holzverbrennung in Vorbereitung, zu der Braun ebenfalls entscheidende Beiträge geleistet hat. Die Zusammenarbeit der Disziplinen wird damit nicht enden. «Das medizinisch-wissenschaftliche Potenzial der Synchrotronmethoden für die Analyse der biologischen Wechselwirkung von Zellen mit pathogenen Substanzen ist bei weitem noch nicht ausgereizt», sagt Braun.

Literaturhinweise
A. Braun, F.E. Huggins, A. Kubátová, S. Wirick, B.S. Mun, J.M.D. Mcdonald, M.M. Maricq, K.E. Kelly, N. Shah, G.P. Huffman, Towards distinguishing wood-smoke and diesel exhaust in ambient particulate matter, Environmental Science & Technology 2008, 42(2) 374-380, pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/es071260k

A.I. Totlandsdal, J.-I. Herseth, A. Kocbach Bølling, A. Kubàtovà, A. Braun, R. E. Cochran, M Refsnes, J. Øvrevik, M. Låg, Differential effects of the particle core and organic extract of diesel exhaust particles, Toxicology Letters 2012, 208 (3), 262–268, www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0378427411016018

WHO, International Agency for Research on Cancer, Press Release 213, 12.6.2012, press.iarc.fr/pr213_E.pdf

Weitere Informationen: www.empa.ch
www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0378427411016018
press.iarc.fr/pr213_E.pdf

Quelle: Sabine Voser | EMPA

Weiterführende Informationen der AGITANO-Redaktion:

Durch die Neubewertung des Gefährdungspotentials gehören Diesel-Abgase nun zu der gefährlichsten Gruppe von Karzinogenen und stehen auf der gleichen Gefährdungsstufe wie Asbest, Arsen und Senfgas. Besonders alarmierend ist dies auch für den Schiffsverkehr: Ein einzelnes Kreuzfahrtschiff stößt so viele Schwefeldioxide aus wie 37 Millionen Pkw, so viele Rußpartikel wie eine Million Pkw und so viele Stickoxide wie 420.000 Pkw – in den Katalogen der Kreuzfahrtschiffe werden die Abgas- und Rußfahnen der Schiffe allerdings aus Werbungszwecken einfach wegretuschiert. Der jährliche CO2-Ausstoß der weltweiten Handelsschifffahrt wiederum beträgt rund 1,12 Milliarden Tonnen (Stand 2008). Das entspricht einem Anteil von 4,5% der globalen Treibhausgas-Emissionen. Weiterführende Informationen und Links zu den retouschierten Kreuzfahrtschiff-Bildern finden Sie hier.

 

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