Gewerkschaften im internationalen Vergleich – Großbritannien

Das britische System der industriellen Beziehungen ist durch eine zurückhaltende Rolle des Staates geprägt (Prinzip des Voluntarismus). Der gewerkschaftliche Einfluss ist damit seit jeher hochgradig abhängig vom politischen Klima und von der wirtschaftlichen Situation. In den 1980er Jahren begann ein drastischer Niedergang der britischen Gewerkschaftsbewegung. Der Organisationsgrad sank von gut 50 Prozent auf das heutige Niveau von 25,7 Prozent.

Der übergeordnete Dachverband der britischen Gewerkschaftsbewegung ist der Trades Union Congress (TUC) – schottische Gewerkschaften sind im Scottish Trades Union Congress (STUC) zusammengeschlossen, der unabhängig vom TUC ist, jedoch eng mit diesem zusammenarbeitet. Die Zahl der angeschlossenen Organisationen im TUC zählt heute 54 Gewerkschaften, die insgesamt 6,2 Millionen Mitglieder haben. Vor 30 Jahren lagen die Zahl der Mitglieder noch bei rund 13 Millionen und die Zahl der dem TUC angeschlossenen Gewerkschaften bei 400. Letztere reduzierte sich vor allem durch Gewerkschaftsfusionen.

Die größte britische Einzelgewerkschaft, Unite, ging ebenfalls aus einem Zusammenschluss im Jahr 2007 hervor. Sie hat heute ca. 1,9 Millionen Mitglieder, die aus den verschiedensten Bereichen der Privatwirtschaft stammen. Die zweite große Gewerkschaft Großbritanniens ist Unison, die gut 1,3 Millionen Arbeitnehmer des öffentlichen Sektors vertritt. Unter den anderen Gewerkschaften Großbritanniens ist das Prinzip der Berufsgewerkschaft am weitesten verbreitet. Es gibt aber auch Firmen- und Branchengewerkschaften.

Im öffentlichen Sektor sind die Gewerkschaften besser verankert. Dort lag der Organisationsgrad (einschließlich Nordirlands) 2011 bei 56,5 Prozent, was vermutlich auch mit einer gewerkschaftlichen Lohnprämie von 19 Prozent zusammenhängt. Tarifverhandlungen finden hier vornehmlich auf Branchenebene statt und betreffen 67,8 Prozent der Arbeitsverhältnisse. Im privaten Sektor hingegen beträgt die Lohnprämie nur 5,1 Prozent und der Organisationsgrad liegt bei 14,1 Prozent. Typisch ist hier der Firmentarifvertrag. Im privaten Sektor sind nur 16,9 Prozent der Arbeitsverhältnisse tariflich geregelt.

Ein wichtiger Unterschied zum deutschen System der industriellen Beziehungen ist das Fehlen von Betriebsräten. Die Vertretung einer Belegschaft geschieht direkt durch sog. shop stewards, also einzelne Angestellte die gleichzeitig Gewerkschaftsmitglieder sind. Der shop steward überwacht auch die Einhaltung von Tarifverträgen.

Dies entspricht dem Prinzip des Voluntarismus, demzufolge der Gesetzgeber so wenig wie möglich in die industriellen Beziehungen eingreift, sodass Tarifregelungen auf freiwilliger Basis zwischen den Sozialpartnern ausgehandelt und umgesetzt werden. Historisch gesehen bewährte sich das Prinzip des Voluntarismus über lange Zeit – auch weil die wirtschaftliche Führungsrolle Englands im 19. und frühen 20. Jahrhundert Zugeständnisse an die Gewerkschaften erlaubte. Im Anschluss an die erste Ölkrise verschärfte sich das Klima der britischen industriellen Beziehungen in den 1970er Jahren aber deutlich. Es kam zu massiven Arbeitskämpfen und einer Radikalisierung der Gewerkschaftsbewegung, die im berühmten „Winter of Discontent“ von 1978/1979 gipfelten. Diese lang anhaltende und viele Branchen erfassende Streikwelle wandelte das öffentliche Bild der Gewerkschaften ins Negative und gilt als einer der Hauptgründe für die Wahl Margaret Thatchers zur Premierministerin im Jahr 1979.

Der sog. Thatcherismus brach die als übermäßig empfundene Macht der Gewerkschaften. Privatisierungen und eine restriktive Gewerkschaftsgesetzgebung schränkten den Einfluss der Gewerkschaften drastisch ein. Eine Folge war die Negativentwicklung der Mitgliederzahlen (Grafik). Nachdem die Labour Party im Jahr 1997 die Tories ablöste, blieb die von vielen Gewerkschaftern erwartete Rücknahme der Thatcher-Reformen aus. Einzig die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns (1999) und der Employment Relations Act (1999), der Tarifverhandlungen in Betrieben mit mehr als 20 Mitarbeitern gesetzlich absichert, können als Zugeständnisse an die Arbeitnehmerorganisationen bezeichnet werden.

Dies macht den Bruch der historischen Allianz zwischen Labour Party und Gewerkschaften deutlich. Außerdem schwächt die weiterhin eingeschränkte Verhandlungsmacht in Tarifrunden die Gewerkschaften. Um an politischem Einfluss zu gewinnen, könnten sie vermehrt zu politischen Streiks aufrufen. Die Massenstreiks gegen die 2011 von der amtierenden konservativ-liberalen Koalition beschlossenen Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor geben einen Vorgeschmack.

Weiterführende Artikel:

Gewerkschaften im internationalen Vergleich: Frankreich (Link)

Gewerkschaften im internationalen Vergleich: Niederlande (Link)

Gewerkschaften im internationalen Vergleich: Japan (Link)

Gewerkschaften im internationalen Vergleich: Schweden (Link)

Gewerkschaften im internationalen Vergleich: USA (Link)

(Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln)

 

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