Glück in Zeiten der Krise … . Ein Versuch über das scheinbar Unmögliche

Wir streben alle danach. Die Rede ist vom Glück. Doch was ist das überhaupt und warum ist es in Zeiten wie diesen nicht lediglich Wert, sondern dringend notwendig darüber nachzudenken? Kolumnist Ulrich B Wagner hat sich über diese und viele weitere Fragen Gedanken gemacht – und Antworten gefunden. Lesen Sie diese in seinem heutigen Beitrag von QUERGEDACHT & QUERGEWORTET.

Warum in die Ferne streifen … , wenn das Gute … ? Glück … ?

Glückliche Menschen leben nicht länger. Glück per se wirkt auch nicht, allein, über Jahre hinweg sorgsam gehüteten Illusionen zum Trotz, gesundheitsfördernd und damit zwangsläufig auch lebensverlängernd, wie eine Forschergruppe an der University of New South Wales in einer Studie mit 700.000 Frauen herausfand. Verbitterung, miese Laune, Hass und Bitterkeit per se verkürzen es demnach auch nicht im Umkehrschluss signifikant.

Verwechslung von Ursache und Wirkung

Die Forscher gehen davon aus, dass in früheren Untersuchungen Ursache und Wirkung nicht vernünftig ausgemacht wurden. Sie kommen zum Ergebnis, dass der Zusammenhang vollständig dadurch erklärt werden kann, dass kranke Menschen und jene mit ungesunden Gewohnheiten häufiger unglücklich sind – und eben auch häufiger früh sterben. „Krankheit macht Menschen unglücklich. Aber Unzufriedenheit allein macht Menschen nicht krank“, zitiert spiegel-online die Hauptautorin der Studie, Bette Liu von der University of New South Wales in Australien.*

Was ist uns das Glück?

Ist Glück dann doch nur eine Illusion? Brauche ich es überhaupt, wenn es mein Leben nicht verlängert? Was ist uns das Glück? Eine leidige Frage angesichts der Komplexität der aktuellen Herausforderungen, Krisen und Bedrohungen? Altlinkes Geplänkel, adoszelentes Aufbegehren im Frühsommer des Seins? Glück … ?

Wo ist es verortet? Wo beginnt das Streben danach und wo mag es wohl enden? Müßige Fragen angesichts dessen was uns umgibt? An was gesundet die Welt, am deutschen Wesen wohl eher nicht oder doch? Die romantische Ontologisierung des Volksgeistes mit der ihr inhärenten kranken Vorstellung eines richtig oder falsch, einer guten oder schlechten Identität.

Dinge, Gefühle, Menschen, Staaten bekommen ihren Wert, ihre Berechtigung und ihren Sinn aus den Beziehungen heraus, die sie zueinander bilden und nicht als Wert per se. Sie entwickeln ihre Sinn erst in der Beziehung zu, aber auch untereinander: in einem Gefühl der Gemeinsamkeit, einem Austausch, einer Ein-und Abgrenzung, dem ein Kontakt vorausgehen muss.

Es ist der Austausch, das gelebte Leben, …

Denken Sie nur an Borghes Apfel: Der Geschmack des Apfels liegt nämlich bekanntlich nicht im Mund des Essenden und nicht im Apfel selbst, sondern er entsteht durch den Kontakt der beiden zueinander. Auch Glück ensteht als ein solches, als ein Streben. Es kann daher als ein fragiles Kunstwerk bezeichnet werden, das sich jederzeit kurzfristig wieder auflösen kann. Das Glück besitzt eine Form der Volatiliät, die es mit der Freiheit an sich gemein hat.

Eine Einsicht, die wohl auch die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika vor Augen hatten. In der Unabhängigkeitserklärung**, die Grundlage der amerikanischen Verfassung, bildet das pursuit of Happiness festschrieben: »We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed, by their Creator, with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty, and the pursuit of Happiness.«

Es ist der Austausch, das gelebte Leben, die praktizierte Freiheit, das verinnerlichte demokratische Grundverständnis, das durch das Wir, den Einklang mit dem/den signifikanten Anderen ensteht. Der Mensch strebe nunmal nach Glück als höchstem, so Aristoteles, was dem Leben im rein biologischen Sinne wohl Schnuppe ist. Doch im großen und Ganzen wohl dann doch auch wieder nicht, wenn man davon ausgeht, dass Tugendhaftigkeit und glückselige Gemütsruhe eineindeutig miteinander verbunden sind.

Worauf beruht das Wir?

„Wir schaffen das!“, sagte Angela Merkel. Doch welches Wir könnte sie im Auge gehabt haben? Der Philosoph Tilman Borsche schrieb im PHILOSOPHIE MAGAZIN (Ausgabe 02/2016): „Jedes WIR zieht Kreise um ein sprechendes ICH. Doch wer spricht hier zu wem und dann auch noch in welcher Form?“

Was ist des Pudels Kern? Was bildet uns ein sprechendes Ich? Freiheit, Glück, Demokratie und Grundsicherung? Oder noch nur ein durch romantische Wahnvorstellungen entsprungenes „deutsches oder wie auch immer geartetes völkisches Wesen“, das in einem ewigen Widerstreit zu und mit „anderen völkischen Wesen“ steht und an dessen Ende der Stärkere, der vermeintlich einzig Wahre, steht?

Beruht das Wir auf diesen Grundwerten oder die Grundwerte und ihre Interpretation auf diesem Wir? Sind sie lebens-, überlebensfähig ohne Austausch, ohne kommunikatives Handeln, Transfer, Fort-, Um- und Weiterschreibung? Oder sind sie gar multidimensional und multikausal, wechselseitig miteinander verbunden?
Sind sie reine theoretische Konstruktionen oder einem gelebten, (pro)aktiven Tun und Handeln geschuldet: Der Bereitstellung von Möglichkeits- (Lebens-) Räumen?

Gerade in der Ausdehnung des Wir, des Miteinanders, beruhen mit Gewissheit die großen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Was mag wohl passieren, wenn dieses sich wieder schlagartig zurückzieht. Wohin wird uns diese „reflexhafte Kontraktion des Gemeinwesens“, des Wir an sich führen? Bestünde nicht gerade auch in der weiteren Ausdehnung des Wir, nicht auch eine Ausweitung des Möglichkeitsraums, in dem die Lösung verborgen sein könnte?

Die Gewalt ist zutiefst dumm

Vielleicht ist es ein Glück für uns, dass Angela Merkel es wagt: das Wir. Ein Wir, dass auch die Flüchtlinge samt ihrer Konstruktion der Wirklichkeit, ihrer Bilder, ihrer Hoffnungen und Ängste in die Lösung der Probleme miteinbezieht.

Komplexe Probleme lassen sich nunmal nur durch Austausch, durch Diskurs, durch ein offenes Miteinander, ein kollaboratives Handeln im interdisziplinären Kontext lösen, wie es der derzeitig viel diskutierte Ansatz des Design Thinking verdeutlicht oder der sensationale Beleg für Einsteins Relativitätstheorie als nunmehr Gravitationswellen, die Krümungen der Raumzeit, durch über 1.000 gemeinsam forschende Wissenschafler gefunden wurde, beweisen.

Wer sind Wir? Die Arschlöcher in Clausnitz, die Anhänger der PEGIDA, der AFD mit Sicherheit nicht! Mit Gewissheit steckt in jedem Wir, wie auch in jedem Ich ein Arschloch verborgen, doch zum Glück können die meisten Menschen dieses asoziale und antisoziale Verhalten kontextuell begrenzen und uns sich auch wieder auf das Wesentliche eines lebendigen Wirs einigen. Denn, „Gewalt entstellt, was sie vergewaltigt, sie entreißt dem Ding
seine Form und macht daraus nichts als ein Zeichen ihrer eigenen Wut. Die Gewalt ist zutiefst dumm“, wie Jean-Luc Nancy betonte.

Wir dürfen keinen Menschen aus der Alltäglichkeit herausheben

Glück findet sich nicht in der Ferne der Welt, es ist in unseren Alltag eingebunden, es entsteht im Hier und Jetzt ohne ADAC und sonstige vermeintliche Sicherheiten des Seins.

Wir haben daher dem armen Flüchtlingskind, dass in der Türkei im vergangenen Jahr strandete, keinen wahren Gefallen getan, als wir es ins Außeralltägliche emporhoben und dieses Pressefoto wie eine Monstranz vor unseren Augen herumtrugen. Es verstellt uns die Sicht darauf, dass es Alltag ist, dass es kein Einzelfall ist, sondern nur einer unter tausenden. Wir haben es aufgeladen mit Emotionen, die im täglichen Umgang mit den vielen anderen Flüchtlingen nicht nur sinnvoller, sondern auch „lebendiger“ eingesetzt wären.

Eine Botschaft, die aber niemand hören wollte, als Ai Weiwei sich Ende Januar diesen Jahren auf Lesbos in Gedenken an den kleinen kurdischen Jungen Aylan Kurdi in den Strand legte. Ein Akt, mit dem er nicht nur dem Jungen einen hohen künstlerischen Respekt zollte, sondern ihn und damit auch die Tausenden und Abertausenden anderen Kinder wieder ins öffentliche Bewusstsein rückte.

Wir dürfen Menschen nicht abstrahieren, sie zu gefühlosen Zahlen erkalten lassen, in dem wir eines aus der Alltäglichkeit herausheben. Alles ist mit allem verbunden, was nicht nur Anhänger der Chaotheorie, sondern auch Biologen, Mediziner und Phiolosophen gerne bestätigen. Wir sollten endlich lernen diese Verbundenheit auch wieder zu leben. Der kleine Aylan ist ein Teil von uns. Ein Teil derer, die Menschen sind und andere Menschen, bei allen möglichen Unterschieden und Differenzen, doch auch als ihresgleichen begreifen und nicht als nackte Zahlen aus einem fernen, fremden Reich, das unserem Wesen nicht entsprechen kann ….

Erst dann kann das Bild eines Strandes per se, vielleicht auch wieder das unbeschwerte Gefühl von Glückseligkeit ausstrahlen, zu dem es vormals im Stande war.

In diesem Sinne, wünsche ich uns Allen ein neues Wir, bevor uns andere zu einem Wir verwandeln, dass uns selbst zu Flüchtlingen werden lässt.

Ihr Ulrich B Wagner

*Vgl.: Weber, N.: Glück verlängert nicht das Leben, zuletzt abgerufen am 22.02.2016 um 18:45 Uhr.

** Vgl.: Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika, Volltext auf Englisch, zuletzt abgerufen am 22.02.2016 um 18:54 Uhr.

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