Gott ist tot: Über den Verlust der Glaubwürdigkeit in der entopiatisierten Gesellschaft

Gott ist tot – doch was machen wir daraus? Im heutigen Wort zum Freitag in „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET“ denkt unser Kolumnist Ulrich B Wagner über die verqueren Dynamiken unserer vernetzten Zeit nach. Was ist Glaube und was ist wirklich noch glaubhaft? Gerade die Präsidenten und aktuelle Kandidaten haben erstaunlich viel mit dem inzwischen verstorbenen King of Pop zu tun.

Die Hand, die uns (fest-) hält

Es mag sein, dass wir, als Gemeinschaft aber auch als Einzelner, wie durch Zauberhand  in der ewigen Wiederkehr des Gleichen, wie ich es bereits in der vorangegangenen Kolumne zur Diskussion stellte, gefangen zu sein scheinen. Doch diese ist eher einer Spiralbewegung oder einem Hamsterrad geschuldet.

Was verbindet, was gibt Hoffnung, was Sinn in einer Welt, die im ökonomischen Bereich aus der heutigen Perspektive scheinbar fast mühelos sich durch die Aufgabe alter (Denk-) Schablonen nicht nur neue Handlungs- und Möglichkeits-, sondern auch neue Wahrnehmungsräume geschaffen hat?

Alles mag nicht nur, sondern hat mit Gewissheit auch, jenseits aller gängiger Determinanten und Messgrößen, seinen Ankerpunkt, seine Verordnung und Ordnung von Zeit, Raum – und damit aber auch seinen Preis. In welcher Währung sich dieser Preis bei jedem Einzelnen oder jeder Gemeinschaft niederschlägt, bleibt damit jedoch weiterhin offen.

Nur was dann?

Netzwerke, multidimensionale Variablenräume, die unsere Lebens-, unsere Wirtschaftswelt nicht bloß beeinflussen, sondern auch lenken und bestimmen, sind seit Langem fast in aller Munde. Doch entwickeln die aus ihr herauszugehenden neuen Gemeinschaften immer noch eine Lebendigkeit und Wahrhaftigkeit, die mit Avataren und der Kälte virtueller Kommunikationsräume vergleichbar ist.

Fragen, die bleiben

Wie entsteht jedoch Gemeinschaft, die nicht nur Identität, sondern auch Sicherheit in wahrlich unsicheren Zeiten zu bieten in der Lage ist?

Familie, Glaube, Heimat?

Nichts bleibt, alles ist im Fluss.

Durch Zufall ist mir die Tage, beim wöchentlichen Stöbern im öffentlichen Bücherschrank vor meiner Bäckerei, ein Buch mit einer Reihe von Kolumnen von Julie Burchill aus der zweiten Hälfte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (Julie Burchill über Prince / Pop / Elvis / Kommunismus / Madonna / Hausfrauen /Annie Lennox / Feminismus / Michael Jackson / USA / Sade / Die Pille / Lennon / Fußball / Heuschrecken u.a.) in die Hände gefallen. Einverstanden, mag der eine oder andere Kenner der guten Dame und ihrer Biografie Verdammt ich hatte Recht nun einwenden, nur was bringt uns das?

Nicht viel natürlich auf den ersten Blick, wenn man es nicht aufschlägt, von Verständnis an dieser Stelle erst einmal ganz zu Schweigen.

Die klügste Frau in Beschreibung

Julie Burchill, unter Freunden auch gerne als Winston Burchill und klügste Frau Englands mit der alttestamentarischen Botschaft Hiobs (Hiob, 32, a) beschrieben: „Die Hochbetagten sind nicht immer weise, noch wissen Greise stets, was recht ist“. Sie schrieb in ihrer Laufbahn hauptsächlich über Musik, Trends und die damit verbundenen Szenen, Grüppchen und Menschen; aber dann auf S. 38 der deutschen Ausgabe eine Kolumne mit dem bemerkenswerten Titel „Lieber glaubwürdig als tot – better Cred than Dead“, deren Anfang es schon in sich hat:

Du willst also Credibility? Nun, die kostet was.
Zahl mal gleich an – in Augenrändern.

Credibility ist das, was Medienmenschen anstelle von Zeugnissen, Hypotheken und Sportabzeichen haben. Sie wird auf viele mysteriöse Arten angehäuft – und verplempert;

… sie kann aus tiefster Seele kommen oder das Meisterwerk eines Visagisten sein.

Glaubwürdigkeit!?

Was bedeutet uns heute noch dieses fast anachronistisch, aber auch anheimelnde Wort?

Ist es nicht erst recht, wie vieles Andere auch heutzutage, komplett aus der Zeit gefallen?
Sinnlos? Bedeutungslos und ohne Bindekraft?

Glaubwürdigkeit in Vernetzung

Wie entsteht Glaubwürdigkeit in Netzwerken, in virtuellen, aber auch in analogen Welten? Ist es nur der gleiche Traum, die gleiche Vision, die gleichen, geglaubten Heilsversprechen – die Glaubwürdigkeit, zu etwas klebstofflastigen, verbindenden, anbindenen, Vertrauen und Sicherheit bietenden, werden lassen – vergleichbar mit der Liebe oder dem Gefühl intensiver Nähe?

Alles fordert Natürlichkeit, natürliche Zitronen, Tomaten, Sex etc….

Doch Glaubwürdigkeit?

Gott ist tot oder auch nicht. Wer weiß?

Er war in der Regel ein Beweis an letzter Gemeinsamkeit – oder doch nicht (siehe die Reformationskriege, wobei wir auch schon wieder nicht bei dem einen, sondern den vielen, einzelnen Göttern der Monotheisten wären)?

Wie wir mit der Situation umgehen (sollten?)

Versöhne die Bilder, sagte mal ein weiser Mann und wenn du schon mal dabei bist, schaffe auch gleich noch schnell eine multilinguale, multidimensionale, multikulturelle Definition von Glaubwürdigkeit jenseits von Michael Jackson und den 80er Jahren samt ihren Wiederauferstehungen wie Trump und Co. Oder, um es in den Worten von Julie Burchill über Michael Jackson (1985 sic!!!!) auf den Punkt zu bringen:

Der glaubwürdigste Mensch ist seltsamerweise ein gewisser Michael Jackson, ein sehr reicher Popstar; sein Schwarzsein hebt seinen behämmerten Megastarruhm auf, und sein enormer Reichtum wird dadurch relativiert, dass er sich versteckt, mit Tieren redet und sich selbst Schmerzen zufügt, sein Geld scheint ihn nicht glücklich gemacht zu haben; er ist ein armer Sack h.c. … Aber seine Neurosen, die im Moment nur dazu dienen, ihnen für die Mandarine der Coolness interessanter zu machen, scheinen bösartig zu wuchern, und eines Tages wachen wir sicherlich alle auf um festzustellen, dass Michael Jackson zum ersten verrückten, schwarzen Millionär der Welt geworden und völlig peinlich ist.

Es ist ein langer, stürmischer Weg zur Glaubwürdigkeit, aber das ist Credibility, die Presseinfo der Seele – gullible’s travails.   

Michael Jackson hat sich mittels Opiate ins Jenseits befördert und hierfür bewahrt. Wer weiß?

Gott ist Opium fürs Volk.

Trump, der große Zauberer der „neuen“ Geldlichkeit und ihrer vermeintlichen Heilversprechen hat es bei Gott auf den amerikanischen Präsidentenstuhl geschafft, ein verrückter, ewiger Yuppie – und völlig peinlich.

Was brauchen wir noch, um zu begreifen, dass es wohl vielleicht doch mal an der Zeit sein könnte, Credibility neu zu definieren, auch um Freiheit und Gleichheit, nicht ohne Brüderlichkeit (siehe hierzu auch die aktuelle Wahl in Frankreich) versprechen zu müssen.

Ihr

Ulrich B Wagner

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?