Hoffenheim spielt in der Schilfgras-Bundesliga

… aus der wöchentlichen Kolumne von Dr. Franz Alt.

Über 20 Jahre lang – seit 1992 mein Buch „Schilfgras statt Atom“ erschienen war – habe ich davon geträumt. Jetzt – Ende März 2012 – wurde die Vision Realität. In Hoffenheim, 26 Kilometer südöstlich von Heidelberg, steht ein Leuchtturm der modernen, dezentralen Energiewirtschaft: Die bundesweit größte, mit Schilfgras betriebene Nah-Wärme-Heizanlage.

Die Familie Hess, Bauern in der dritten Generation, betreibt das Schilfgras-Heizkraftwerk in der Kraichgau-Gemeinde. Etwa 700 Personen beziehen von hier ihre Wärme. Damit steht Hoffenheim auf Platz eins in der Miscanthus-Bundesliga so wie der  der TSG Hoffenheim als einziger Dorf-Verein seit 2008 in der Fußball-Bundesliga spielt. Der wissenschaftliche Begriff für Schilfgras ist Miscanthus Giganteus.

Gerademal 100 Meter ist das Biomasse-Heizzentrum vom Kirchturm und damit von der Dorfmitte in Hoffenheim entfernt. Die zentrale Lage garantiert kurze Leitungswege und relativ wenige Rohre zu den etwa 70 Privathäusern, die von hier aus mit Wärme versorgt werden. Hinzu kommt aber auch noch der Kindergarten, die Schule, das Heimat-Museum sowie Gewerbebetriebe wie Metzgerei, Gärtnerei und Bäckerei im 3.200-Seelen-Dorf. Insgesamt beziehen 2012  etwa 700 Personen bereits ihre Wärme aus dem Schilfgras-Kraftwerk.

Manche im Dorf reden auch vom Elefantengras, das aber in Ostafrika wächst. Deshalb titelte die regionale „Rhein-Neckar-Zeitung“: „Elefantengras bringt kuschelige Wärme in den Ortskern.“ Das Hoffenheimer Schilfgras kommt aber aus Ostasien, hauptsächlich aus China und Japan. In Japan werden an jedem Herbst sogar Schilfgras-Feste gefeiert – eine Art Ernte-Dank.

In Asien wird Schilfgras bislang vor allem als Baumaterial genutzt. Hauptsächlich im erdbebengefährdeten Japan hat sich das biegsame und zugleich robuste Schilfgras als Baumaterial hervorragend bewährt.

„Unsere Energiequelle ist die Sonne, gespeichert in Energiepflanzen, im Umfeld von fünf Kilometern in Hoffenheim“, sagt Markus Heß von der Bioenergie Hoffenheim GmbH als er Ende März 2012 etwa 100 Bauern, Wissenschaftler und Bürgermeister auf seinem Hof begrüßt. Ein Zelt musste extra aufgestellt werden, weil der Besucherraum im Nah-Wärme-Zentrum viel zu klein war.

„Unsere Anlage“, sagt Jungbauer Markus Heß im grünen Pullover und blauen Jeans seinen Gästen „kann vielfältige Brennstoffe verarbeiten. Neben Schilfgras auch noch Stroh und Holzhackschnitzel, aber gelegentlich auch Heu, Pferdeäpfel oder Gärreste.“

Auf  circa 30 Hektar hat die Familie Heß im milden Kraichgauer Hügelland Schilfgras angebaut – rund ums Dorf. Die anspruchslosen Gräser sind perennierend, das heißt sie wachsen Jahrzehnte lang, alle Jahre wieder, ohne dass neu gepflanzt werden muss. Pro Hektar werden pro Jahr 15 bis 20 Tonnen Trocken-Biomasse geerntet. Das sind etwa fünfmal mehr als bei Raps. Deshalb ist Schilfgras-Anbau ökonomisch weit effizienter als Raps oder Flachs. Im Gegensatz zu den heimischen C3-Gräsern ist China-Schilf eine C4-Pflanze.

Das heißt: Es entstehen nach der Photosynthese vier Kohlenstoff-Atome pro Molekül. Deshalb kann  die Pflanze auch nachts wachsen, weil sie sogar in der Dunkelheit CO2 verarbeiten kann.

Schilfgräser brauchen durchschnittlich Wasser, aber viel Sonne und Wärme und wachsen deshalb auf Höhen über 400/500 Meter auch weit weniger schnell als in den milden Kraichgau-Höhen zwischen 150 und 250 Metern über dem Meer.

 

Voller Stolz erklärt Markus Heß seinen Gästen, dass er seinen Kunden 2012 die Wärme gegenüber Erdöl oder Erdgas um 25 % preisgünstiger anbieten kann. „Und unser Angebot ist im Gegensatz zu Erdöl oder Gas noch umweltfreundlich“.

Die Bioenergie Hoffenheim GmbH erspart dem Dorf Jahr 350.000 Liter Heizöl und damit mehrere tausend Tonnen Treibhausgase. Selbst die Asche, die beim Verbrennen im Kraftwerk anfällt, geht als natürlicher Dünger im Acker der Landwirte wieder in den Kreislauf der Natur zurück.

Die Miscanthus-Pflanze, davon konnten sich Heß´ Gäste bei der Ernte mit einem Mais-Häcksler überzeugen, wird ab dem zweiten Erntejahr zwischen drei und vier Metern hoch. Obwohl also Schilfgras bis zu fünfmal mehr Biomasse ergibt als Raps, fragt der Chef der Landesanstalt für Pflanzenbau in Baden-Württemberg, Klaus Mastel, in Hoffenheim: „Warum bauen unsere Bauern in Deutschland erst 3.000 Hektar Schilfgras an, aber bis zu einer Millionen Hektar Raps?“

Diese Frage stelle ich mir seit 20 Jahren. Vielleicht hilft der Erfolg von Hoffenheim beim Durchbruch. Und vielleicht brauchen konservative Bauern etwas länger bis sie sich auf etwas Neues einlassen. Aber nach dem Durchbruch sind Konservative oft auch beständiger.

Wenn Landwirte wirklich Energiewirte werden wollen, werden sie lernen müssen, energieeffizient zu arbeiten und anzupflanzen. „Schilfgras statt Raps“ und weg von der Monokultur Mais könnte eine Lehre aus den letzten Jahren sein. Die Natur meint immer Vielfalt und nicht Einfalt.

Der Ertrag von Schilfgras ist sehr hoch. Sie ist die schnellst wachsende Pflanze der Welt.

In den USA werden bereits Schilfgräser auf 200.000 Hektar angebaut. In Japan sind es noch mehr. Die Pflanze ist langlebig und pflegeleicht, sie wird im März oder Mai nahezu trocken geerntet, sie erfordert bei jahrzehntelanger Ernte nur einmaligen Anbau, sie garantiert konstante Biomasse-Kosten über viele Jahre, ist umweltfreundlich, erfordert lediglich im ersten Jahr nach der Anpflanzung minimale Pflanzenschutzmittel. Alles andere regelt die Natur, die Lösungen für alle unsere heutigen Energie- und Klimaprobleme vorgesehen hat.

Wir müssen wieder lernen, der Natur über die Schulter zu schauen und mit ihr anstatt gegen sie zu arbeiten. Es gibt viel zu tun – pflanzen wir´s an. Schilfgras in den Tank! So ersparen wir dem einzelnen Kunden wie der gesamten Volkswirtschaft jedes Jahr enorme Kosten.

„Unser Grundsatz“, sagt Markus Heß zum Abschied, „ist, dass wir im Kreislauf der Natur arbeiten. Dann brauchen wir in Hoffenheim weder Öl aus Arabien noch Gas aus Sibirien. Alles wächst direkt vor unserer Haustür. Und die Arbeitsplätze und die ökonomische Wertschöpfung findet ebenfalls in der Region statt.“

Am selben Tag hat die Bundesregierung bekanntgegeben, dass Deutschland im Jahr 2011 für Öl- und Gasimporte 85 Milliarden Euro ausgegeben hat. Welch ein ökonomischer und ökologischer Unsinn! Und der potenziert sich in den nächsten Jahren durch steigende Ölpreise noch. Hoffenheim kann überall werden.

Mehr Infos: www.bioenergie-hoffenheim.de

Quelle: © Franz Alt 2012

 

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