Hurra, wir leben noch!?

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.

    Heute:  Hurra, wir leben noch!?
ein Versuch über die Vergänglichkeit, in Erinnerung an Christoper Hitchens

In one way, I suppose, I have been “in denial” for some time, knowingly burning the candle at both ends and finding that it often gives a lovely light. But for precisely that reason, I can’t see myself smiting my brow with shock or hear myself whining about how it’s all so unfair: I have been taunting the Reaper into taking a free scythe in my direction and have now succumbed to something so predictable and banal that it bores even me.
(Christopher Hitchens, in der amerikanischen VANITY FAIR, September 2010)

Liebe Seele, trachte nicht nach dem ewigen Leben, vielmehr schöpfe das Mögliche aus.
(Pindar: Dritte pythische Ode)

Vor mir auf dem Tisch liegt die aufgeschlagene Biografie „The Hitch – Geständnisse eines Unbeugsamen“ von Christopher Hitchens (Blessing, 2011), die ich gerade erst vor einigen Tagen zu meinem Geburtstag geschenkt bekam, und die ich seit dieser Zeit kaum von meiner Seite weichen lasse. Ein voller Aschenbecher, Espressotassen, ein Wust von Notizen und darüber schwebend, ächzend und Kreise drehend, die große Frage: Willst Du wirklich Anfang Januar eine Kolumne über Tod und Vergänglichkeit schreiben?

Sei’s drum! Aus den Gedanken komme ich, scheint’s, im Moment sowieso nicht heraus. Vor mir immer noch die Biografie. Der zornige Intellektuelle, Kolumnist, Kritiker, Schriftsteller und überzeugte Atheist verstarb Mitte Dezember an einer Lungenentzündung in Folge seines Krebsleidens. Auf dem Außenband der deutschen Ausgabe steht ein Zitat von Ian Mc Ewan: „Wenn es Hitchens nicht gäbe, man müsste ihn erfinden.“ Er war ein streitbarer Geist, ein Provokateur, ein Beweger und Aufreger. Zeit seines Lebens rüttelte er an den Grundfesten, hinterfragte, klagte an und informierte. Sein geistreicher Zynismus und der unbeugsame Wille zur Wahrheit waren die Motoren dieses großen Geistes. Für mich ein Vorbild, auch wenn ich ihm persönlich in seiner Rechtfertigung des Irakkrieges nicht folgen konnte. Er ging über seine Grenzen hinaus, nicht nur geistig, sondern mit Haut und Haaren. Seine damals spektakuläre Anklage mit der Aktion, in der er sich als Versuchsperson dem Waterboarding unterzog, einer Folter- und Versuchspraktik des amerikanischen Geheimdienstes, war spektakulär.

Doch dies soll keine Kolumne allein über Christopher Hitchens werden, wie der geneigte Leser vielleicht später noch bemerkt. Aber, was sein muss, das muss nun mal sein. Daher möchte ich zum Abschluss meiner Erinnerungen an Christopher Hitchens, oder „The Hitch“, wie ihn seine Freunde nannten, kurz einen seiner Freunde und Weggefährten zu Wort kommen lassen: Christopher Hitchens was a wit, a charmer and a troublemaker, and to those who knew him well, he was a gift from, dare I say it, God….. He was a man of insatiable appetites—for cigarettes, for scotch, for company, for great writing, and, above all, for conversation. That he had an output to equal what he took in was the miracle in the man. (Graydon Gardner, Herausgeber der VANITY FAIR am 15.Dezember 2011)

Er ist ein großes Vorbild, wo immer er sich jetzt auch gerade herumtreibt.

Veranlasst zu dieser Kolumne haben mich insbesondere auch, wie Eingangs erwähnt, seine Ausführungen zum Thema Tod in seiner Biografie, in denen er in Anlehnung an William Dunbars Refrain Mortis conturbant me (die Angst vor dem Tod peinigt mich), aus den Trauerversen Lament for the Makers, ausführt: … und ich würde keinem trauen, der nicht schon Ähnliches empfand. Doch man stelle sich vor, wie zum Kotzen das Leben wäre, und wie schnell es das würde, erführen wir, dass es nie ein Ende habe (Hitchens, The Hitch, S.28).

Mich persönlich haben diese Zeilen tief bewegt und auch sehr zum Nachdenken gebracht. Vielleicht ist ja vieles, was wir heute Burn-out, Stress oder Depressionen nennen, oder auch der ganze Irrsinn und Wahn des ‚24 Stunden-Online-Menschen‘ des 21. Jahrhunderts schlicht und einfach des mangelnden Bewusstseins über die Vergänglichkeit geschuldet, und dadurch Ausdruck mangelnder Demut, Gelassenheit und der Anerkennung bzw. Unterscheidung falschen Scheins. In unserer für immer Jung Gesellschaft, der angeblich grenzenlosen Möglichkeiten, des Verschwindens des Alters bzw. der Stigmatisierung und Ausgrenzung von Altern und Tod, verschwindet nämlich auch sehr schnell und quasi nebenbei die Konzentration auf das Wesentliche im Leben. Frei nach dem Motto: Das hat ja noch Zeit!…

Nicht ohne Grund gibt es seit der Antike sogenannte Vanitas Symbole in der Kunst, meist Totenköpfe, ablaufende Sanduhren, abbrennende Kerzen, die den Menschen dies immer wieder verdeutlichen sollten (Vanitas aus dem lateinischen leerer Schein, Nichtigkeit, Eitelkeit, Prahlerei und Misserfolg, ist Ausdruck für die jüdisch-christliche Vorstellung von der Vergänglichkeit alles Irdischen vgl. Buch Kohelet im Alten Testament: Es ist alles eitel).

Wir müssen uns deswegen nicht gleich wie viele mittelalterliche Denker und Künstler einen Totenkopf auf den Tisch legen. Ich denke es reicht schon, sich im Andenken derer, die uns schon verlassen haben, sich selbst ein paar Gedanken über die eigene Vergänglichkeit, im Sinne meines Eingangszitats von Pindar, zu machen, damit wir für uns selbst, ganz persönlich, herausfinden, was unser Leben lebenswert macht, und nicht erst kurz vor dem Showdown mit dem Sensenmann, wenn uns bereits die Schläuche aus all unseren Körperöffnungen hängen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Mut zu sich Selbst und Ihren Träumen

Ihr Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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