Interview: „Die Solarindustrie befindet sich in einem Teufelskreis“

In den letzten Wochen und Monaten machten politische Streitigkeiten über die Solarförderungen Schlagzeilen. Dr. Matthias Fawer, Analyst der Bank Sarasin, skizziert im Expertengespräch die aktuellen Entwicklungen der Solarbranche.

Herr Fawer, wie schätzen Sie die Situation der Solarbranche ein? Wie wird es in den nächsten Monaten und Jahren weitergehen?

Die Kürzungen der Vergütungssätze sind momentan das brennende Thema der Solarindustrie – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien, Frankreich und anderen Regionen. Die Solarindustrie befindet sich in einem Teufelskreis von Überkapazitäten, Preisdruck und Reduktion der Vergütungssätze und dieser wird sich in den kommenden Monaten noch verstärken. Das Positive dabei ist, dass sich Solarstrom sehr viel schneller zu wettbewerbsfähiger Stromerzeugung hin bewegt, als man erwartet hatte. Wenn man sich zum Beispiel die deutschen Vergütungssätze anschaut, ist man schon sehr nahe an den normalen Netzstrompreisen für Endkunden. Das bedeutet, dass man dann auch politisch eine gewisse Entschärfung erwarten darf. Im Moment sind wir noch in einer schwierigen Übergangsphase, aber vielleicht kommen wir schon 2013 allmählich in eine neue Phase von nicht mehr subventioniertem Solarstrom.

Die Rede ist von einem erneuten Rekordzubau in diesem Jahr in Deutschland. Wer sind danach die großen Gewinner und Verlierer? Wen wird die Zeit danach besonders hart treffen?

Wir haben das in unserer Solarenergiestudie auch thematisiert und „Fitness der Solarunternehmen“ genannt; mit Fokus auf Zell- und Modulhersteller. Dabei ging es vor allem um die Kostenstruktur, mit der man trotz sinkender Preise doch noch eine gewisse Rendite erzielen kann. Wichtig ist auch ein internationaler Vertrieb, um neue, zukünftige Märkte bedienen zu können. Ebenfalls immer wichtiger werden an dieser Stelle ökologische und soziale Nachhaltigkeitsaspekte in Bezug auf die gesamte Produktionskette. Wenn man da als global agierendes Unternehmen entsprechend positioniert ist, hat man gute Chancen auf Dauer auf dem internationalen Markt zu bestehen.

Wie lange dauert diese Phase der Konsolidierung noch an? Was sind Ihre Prognosen?

Wir haben schon einige Insolvenzen erlebt und die Konsolidierung in der PV-Industrie ist noch in vollem Gange. Es geht schlussendlich darum, dass sich wieder ein besseres Gleichgewicht zwischen Produktionskapazitäten einerseits und der Nachfrage nach Installationen andererseits ergibt, sodass wirklich wieder Renditen erzielt werden können. Momentan sind die Überkapazitäten einfach zu groß. Man munkelt, dass einige Akteure mitunter sogar ihre Produkte unter Kostenniveau anbieten. Das ist ein rechter Verdrängungskampf, der momentan stattfindet.

Wie schätzen Sie die Marktentwicklung auf internationaler Ebene ein?

Generell sehen wir einen Trend in Richtung einer breiteren geographischen Streuung der Solarindustrie. Die Konzentration auf bisherige Kernmärkte wie Deutschland oder Italien nimmt ab.

Es wird ganz klar neue Märkte mit mehr als 500 Megawatt installierter Leistung pro Jahr geben, wie zum Beispiel England, Griechenland, Belgien, aber auch auf der globalen Ebene wie Indien, Kanada, USA, China, Südafrika, um nur einige zu nennen.

Gerade in Europa sind wir in starker Opposition gegenüber großen Freiflächenanlagen. Der Trend geht in Europa daher in Richtung Aufdachanlagen. Aber auch da steckt ein großes Potenzial. Gerade Industriedächer bei denen 500 bis 1.000 Kilowatt umgesetzt werden können, sind sehr interessant und die Projektentwicklung geht eindeutig in diese Richtung.

Wie wird sich der Wechselrichtermarkt im Zuge des Preisgefälles entwickeln? Welche Bereiche werden in Zukunft besonders wichtig sein?

Wechselrichter werden sicherlich auch noch zunehmend unter Preisdruck geraten. Bisher sprach man eher vom Preisdruck auf Module. Aber je günstiger diese werden, desto kleiner wird ihr Anteil an den Kosten des Gesamtsystems. Das heißt natürlich, dass langfristig auch die anderen PV-Komponenten wie Wechselrichter, Kabel und Befestigung zusätzlich unter Druck stehen werden. Andererseits wird es neue Anforderungen an die Wechselrichter bezüglich der Stromeinspeisung geben, so dass die Qualitäts- und Leistungsmerkmale zunehmend wichtiger werden. Die Kunden werden weiterhin bereit sein, für hohe Qualität zu bezahlen und mit wachsenden technischen Anforderungen behält ein Premiumprodukt auch künftig seinen Platz.

Die Medien sprechen aktuell nur über eine vermeintliche, umfassende Produktionsverlagerung nach China und werfen damit alle Unternehmen in einen Topf. Wäre es nicht klüger, zwischen Massen- und Nischenproduktion zu differenzieren? Welchen Sparten räumen Sie besonders gute Chancen ein?

Längerfristig besitzen internationale Unternehmen mit einer globalen Distribution und eventuell auch Produktion, mit mindestens drei Standorten in USA, Europa und Asien eine gute Ausgangsposition. Diese drei großen Märkte wird man auch in Zukunft mit lokal erzeugten Produkten beliefern können.

Auch Wechselrichter werden sich in diese Richtung entwickeln, vor allem wenn man von einem wachsenden asiatischen Endkundenmarkt ausgeht. Zwar ist in diesem Bereich die Konkurrenz von chinesischen Wechselrichtern noch vergleichsweise klein, aber diese wird mit Sicherheit zunehmen.

Bei Standardprodukten werden wir sicherlich eine Abwanderung nach Asien beobachten können. Für Anbieter von Nischen- und Qualitätsprodukten werden sich auch in Zukunft überall – auch in Europa – die nötigen Chancen bieten.

Für wie hoch halten Sie die Chancen deutscher und Schweizer Unternehmen, sich auf Dauer auf dem internationalen Markt zu behaupten?

Für deutsche und Schweizer Unternehmen eröffnen sich die größten Chancen mit qualitativ hochwertigen Produkten oder solchen mit Nischenanwendungen. Man kann davon ausgehen, dass mit einem Qualitäts- beziehungsweise einem technologisch sehr effizienten Produkt weiterhin von Europa aus der gesamte Markt beliefert werden kann. Momentan sind die Rahmenbedingungen sehr innovationsfeindlich und vor allem am günstigsten Preis ausgerichtet. Das wird sich aber ändern, wenn die Branche wieder wettbewerbsfähig wird und neue Innovationen entscheidend sind.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview wurde zur Verfügung gestellt von Sputnik Engineering und auf Cleanenergy Project veröffentlicht.

 

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