Interview mit Arthur Kempter, Anwalt für IT-Recht, zur Regelung des Internets

Im Rahmen der ACTA-Thematik konnten wir Herrn Arthur Kempter, Rechtsanwalt bei kanzlei.biz – Anwaltskanzlei Hild & Kollegen, spezialisiert auf IT-Recht, für ein Kurzinterview gewinnen.

 

1.) Würden  Sie  uns  bitte  kurz  aus  Ihrer  Sicht  erläutern,  um  was  es  sich  bei  dem ACTA-Abkommen genau handelt?  

ACTA (Anti-Counterfeiting  Trade Agreement) ist ein multinationales Abkommen – ein völkerrechtlicher Vertrag – zur Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie. Verhandlungspartner sind u.a. die Europäische Union und Deutschland. Es besteht die Besonderheit, dass ACTA sowohl durch die EU als auch durch ihre Mitgliedstaaten angenommen und ratifiziert werden muss, da es sich um ein sogenanntes geteiltes Abkommen handelt. Die Intention von ACTA ist ein Mindestmaß an Harmonisierung der Durchsetzung von Immaterialgüterrechten herzustellen, d.h. für Nationen, die ein gleichwertiges oder ein höheres Niveau der Durchsetzung von Rechten aus dem geistigen Eigentum besitzen, wird sich nichts ändern. Schutzvoraussetzungen, Inhalt und  Umfang der einzelnen Schutzrechte sollen hierbei unangetastet bleiben. ACTA ergänzt in diesem Zusammenhang das TRIPS-Abkommen (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums). Im Übrigen ist ACTA  –  für  völkerrechtliche Verträge  nicht unüblich –  unpräzise formuliert und hat primär die Interessen der Rechteinhaber im Blick.

2.) Was würde sich Ihrer Ansicht nach für den normalen Internetuser und seine Surfgewohnheiten ändern?

Meines Erachtens würde sich für den deutschen Internetuser im Wesentlichen nichts ändern.

Änderungen würden sich für den deutschen Internetuser nur dann ergeben, wenn das deutsche Recht das Mindestmaß für die Durchsetzung von Immaterialgüterrechten nach ACTA nicht erfüllen würde. Im Detail geht ACTA über das europäische Recht hinaus. Allerdings nicht im spürbaren Ausmaß über das deutsche Recht.

Aus Sicht von ACTA hat das deutsche Recht keinen Nachholbedarf für wirksame strafrechtliche und zivilrechtliche „Durchsetzungsmaßnahmen“ im digitalen Umfeld (Art. 27 ACTA). Exemplarisch seien die Unterlassungs, Auskunft- und Schadensersatzansprüche sowie die Straftatbestände des Urheberrechtes genannt (§§ 97 ff., 106 ff. UrhG). Im Übrigen kennt das deutsche Recht bereits einen Auskunftsanspruch gegen den Provider (§ 101 UrhG) und Normen gegen die Umgehung eines technischen Kopierschutzes (§§ 95 a ff. UrhG).

Der normale Internetuser wird u.U. durch die aktuell hitzig geführte Debatte und häufig, jedenfalls unpräzise, geäußerten Thesen verunsichert sein. Er mag befürchten, dass ACTA zu einer Internetzensur, Netzsperren, einem Three-Strike-Modell und zu einer lückenlosen Kontrolle des Internets durch Staat und Private führen wird. Diese Befürchtungen stützen sich zum einen (teilweise) auf bereits gestrichene Vereinbarungen, die aber keinen unmittelbaren Eingang in die finale Version gefunden haben und zum anderen insbesondere auf den unpräzise formulierten Art. 27 ACTA. Ich teile diese Befürchtungen nicht.

Art. 27 Abs. 2 in Verbindung mit der Fußnote und Abs. 3 (Hervorhebungen durch den Verfasser) ACTA.

(2) Über die Bestimmungen des Absatzes 1 hinaus gelten die Durchsetzungsverfahren der jeweiligen Vertragspartei auch bei der Verletzung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten über digitale Netze, was gegebenenfalls die widerrechtliche Nutzung von Mitteln zur Weiterverbreitung zu rechtsverletzenden Zwecken einschließt. Diese Verfahren sind so anzuwenden, dass rechtmäßige Tätigkeiten, einschließlich des elektronischen Handels, nicht behindert werden und dass – in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften der jeweiligen Vertragspartei – Grundsätze wie freie Meinungsäußerung, faire Gerichtsverfahren und Schutz der Privatsphäre beachtet werden.* *Dies umfasst beispielsweise – unbeschadet der Rechtsvorschriften einer Vertragspartei – die Annahme oder Aufrechterhaltung einer Regelung zur Beschränkung der Haftung von Internet-Diensteanbietern oder der Rechtsbehelfe gegen Internet-Diensteanbieter bei gleichzeitiger Wahrung der rechtmäßigen Interessen der Rechteinhaber. (3) Jede Vertragspartei ist bestrebt, Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben zu fördern, die darauf gerichtet sind, Verstöße gegen Marken, Urheberrechte oder verwandte Schutzrechte wirksam zu bekämpfen und gleichzeitig den rechtmäßigen Wettbewerb und – in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften der jeweiligen Vertragspartei – Grundsätze wie freie Meinungsäußerung, faire Gerichtsverfahren und Schutz der Privatsphäre zu beachten.

Die äußerst unpräzise und schwammige Formulierung, wie sie für völkerrechtliche Verträge nicht unüblich ist, regt die Fantasie an und erlaubt unterschiedliche Interpretations- und Auslegungsvarianten. Mit viel Fantasie und „bösem“ Willen könnte dies als Anregung verstanden werden, die beschränkte Haftung eines Internetdiensteanbieter derart zu regeln, dass er verpflichtet wird, den Datenverkehr seiner User lückenlos zu überwachen und ggf. Netzsperren zu veranlassen, insoweit er nicht selbst haften möchten.

Meines Erachtens findet sich für vorbenannte Interpretation keinerlei Stütze im Vertragstext. Es wird eben kein bestimmtes Durchsetzungsverfahren zwingend vorgegeben und den Vertragsparteien ein großer Gestaltungs- und Ermessensspielraum bei der Umsetzung belassen.

 

3.) Mittlerweile ist das Internet auch im geschäftlichen Bereich nicht mehr wegzudenken. Wie würde sich ACTA auf im Internet agierende Unternehmen auswirken?

Unternehmen besitzen ein großes Interesse daran, ihr geistiges Eigentum, auch im Internet, zu verteidigen und Produktpiraterie zu bekämpfen.

Jedoch ist es schwer, im Vertragstext von ACTA etwas zu finden, dass im deutschen Recht nicht bereits vorhanden ist. Daher gehe ich davon aus, dass sich für Unternehmen, die schwerpunktmäßig in Deutschland tätig sind, im Wesentlichen nichts ändern würde.

Wenn ACTA das halten kann, was es verspricht, dürfen deutsche Unternehmen allerdings darauf hoffen, ihr geistiges Eigentum in den Ländern, in denen das Schutzniveau durch ACTA angehoben wird, besser durchzusetzen. Ob ihnen ACTA  hierbei tatsächlich helfen wird, bleibt abzuwarten.

4.) Polen, Tschechien, Slowakei und ganz aktuell Lettland haben den aktuellen nationalen Ratifizierungsprozess bzgl. des ACTA-Abkommens momentan ausgesetzt. Ist das Ihrer Meinung nach ein Resultat aus einem Umdenken der Regierungen, eine direkte Konsequenz aus durchaus heftigen Protesten oder ist diese Unterbrechung dem intransparenten Entstehungsprozess des Abkommens geschuldet? Oder gibt es eine ganz andere Begründung?

Über die innenpolitischen Vorgänge Polens, Tchechiens, der Slowakei und Lettlands erlaube ich mir kein Urteil.

Richtig ist allerdings, dass die Öffentlichkeit den Verhandlungsprozess über ACTA als intransparent und undemokratisch wahrgenommen hat und dies zu heftigen Prozessen führte.

Allerdings geht aus der Drucksache 17/186 der Bundesregierung hervor, dass sie als Beobachter an den Verhandlungen teilnahm, informiert wurde und Einfluss auf die EU-Kommission nehmen konnte. Das deckt sich mit „Memo on transparency during the ACTA negotiations“ der EU. Außerdem bedarf ACTA der Zustimmung durch das Europäische Parlament und die Parlamente der Mitgliedstaaten. Ferner hat sich in der aktuellen Debatte gezeigt, dass gesellschaftliche Gruppen Einfluss auf ihre Parlamente nehmen konnten.

ACTA wird zum Anlass genommen, das aktuelle System des geistigen Eigentums in Frage zu stellen. Die in der Vergangenheit stetig verbesserte Durchsetzung von Rechten aus dem geistigen Eigentum, insbesondere das Urheberrecht, wird als Bedrohung für Wissenschaft und Kultur wahrgenommen. Besonders hitzig werden die Diskussionen um Generika geführt. Es wird befürchtet, dass ACTA diese Grundsatzentscheidung zu Gunsten der Rechteinhaber zementiert. Ich begrüße solch eine Debatte, aber auf wahrer Tatsachengrundlage. Jedenfalls in Deutschland wird ACTA das aktuelle System der Immaterialgüterrechte nicht „zementieren“. Zum einen erfüllt das deutsche Recht die von ACTA aufgestellten Mindestanforderungen und zum anderen ist es für die Verhandlungspartner möglich, von ACTA zurückzutreten.

Meines Erachtens liegt es nahe, dass lediglich das Ergebnis der Proteste für die Entscheidung des Europäischen Parlaments abgewartet und nach Abebben der Proteste der Ratifizierungsprozess fortgesetzt wird.

 

5.) Mit SOPA, PIPA, ACTA und im pazifischen Raum TPPA haben Regulierungsabkommen mittlerweile schon fast Konjunktur. Wie erklären Sie sich die momentane globale Offensive bzgl. der Regelung des digitalen Raumes?

SOPA (Stop Online Piracy Act) und PIPA (Protect IP Act) haben zwar u.a. das geistige Eigentum im Internet zum Gegenstand, sind aber keine multinationalen Abkommen, sondern nationale Gesetzesvorhaben der USA. Über das TPPA-Abkommen (The Trans-Pacific Partnership Agreement) lässt sich aktuell nur spekulieren.

Es besteht ein erhöhtes, grenzüberschreitendes Regelungsbedürfnis, da das geistige Eigentum besonders schutzbedürftig und auch besonders werthaltig ist und im Internet ein immaterielles Gut sehr schnell und einfach grenzüberschreitend verletzt werden kann.

Im Gegensatz zum Eigentum kann ein immaterielles Gut, wie ein Urheberrecht oder eine Marke, sobald es veröffentlicht ist, von jeder Person ohne Zustimmung des Rechteinhabers genutzt und verwertet werden. Eine Verletzung des geistigen Eigentums setzt keinen physischen Eingriff voraus, wie beim Eigentum.

Nicht umsonst hat die EU mehrfach klargestellt, dass der Erfolg des Binnenmarktes wesentlich vom Schutz des geistigen Eigentums abhängt. Das geistige Eigentum ist die Triebfeder für Innovation und das kreative Schaffen. Mark Getty nennt es deshalb zutreffend „das Öl des 21. Jahrhunderts“.

Dies führte nicht nur in jüngster Zeit zu einer Vielzahl an europäischen Regelungen. Exemplarisch sei die sogenannte Enforcement-Richtlinie genannt.

6.) Das Auswärtige Amt hat die Weisung zur Unterzeichnung von ACTA zurückgezogen. Was bedeutet das für den weiteren Ratifizierungsverlauf?

Der Ratifizierungsprozess ist in Deutschland auf Eis gelegt, d.h. zunächst wird ACTA nicht dem Bundestag zur Zustimmung vorgelegt und der Bundespräsident wird das Abkommen nicht bestätigen. Damit ist ACTA weder für die Bundesrepublik Deutschland noch für unsere Bürger verbindlich. Unsere Justizministerin möchte hierzu zunächst die Ansicht der EU abwarten. Ich gehe davon aus, dass nach Abebben der Protestwelle gegen ACTA und nach einer etwaigen positiven Stellungnahme des Europäischen Parlaments, der Ratifizierungsprozess in Deutschland fortgesetzt wird.

Fraglich ist aber, ob hierdurch ein Inkrafttreten von ACTA verhindert wird. ACTA muss bis Mai 2013 von mindestens sechs Verhandlungsparteien ratifiziert werden, um in Kraft zu treten. Nach einer gemeinsamen Pressemitteilung der beteiligten Nationen, unterzeichneten Australien, Kanada, Japan, Korea, Marokko, Neuseeland und Singapur das Abkommen. Die EU berichtet in diesem Zusammenhang, dass bereits die EU und 22 Mitgliedsstaaten ACTA unterzeichneten aber wohl noch nicht ratifizierten.

Wir bedanken uns bei Ihnen für das aufschlussreiche Interview.

 

Das Interview führte Sebastian Mosig (Redaktion AGITANO).

 

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