Interview mit Norbert Geyer, Spezialist für IT-Recht, zum Thema ACTA

Im Rahmen der ACTA-Thematik konnten wir Herrn Norbert Geyer, Rechtsanwalt bei Röhl Dehm & Partner Rechtsanwälte, spezialisiert auf IT-Recht, für ein Kurzinterview gewinnen.

 

1.) Würden Sie uns bitte kurz aus Ihrer Sicht erläutern, um was es sich bei dem ACTA-Abkommen genau handelt?

Beim sog. ACTA Abkommen (=Anti-Counterfeiting Trade Agreement) handelt sich um ein geplantes Handelsabkommen zur internationalen Durchsetzung von Immaterialgüterrechten. Umgangssprachlich wird es auch oft als „Anti-Piraterie-Abkommen“ bezeichnet. Die Sanktionen sollen sowohl auf zivilrechtlicher, als auch auf strafrechtlicher Ebene greifen. Allerdings ist das Abkommen zum jetzigen Zeitpunkt noch sehr schwammig formuliert – die genauen Auswirkungen lassen sich noch schwer abschätzen. Allgemein lässt sich sagen, dass die am Abkommen teilnehmenden Länder sich zu gegenseitiger Zusammenarbeit und zu weitreichenden Maßnahmen in allen Bereich des IP-Rechts (Recht des geistigen Eigentums) verpflichten. Zahlreiche neue Strafvorschriften und Sanktionsmöglichkeiten betreffend aller Bereiche des Rechts des geistigen Eigentums (IP-Recht) und weitreichende Ermächtigungen zur weitergehenden Kontrolle des Internets sind angedacht und könnten je nach Auslegung des Abkommens umgesetzt werden. Dies wird von den Rechteinhabern (z.B. Musik- und Filmindustrie) natürlich sehr begrüßt, von zahlreichen Internet-Usern aber als Einschränkung ihrer Grundrechte aufgefasst. Ausgeweitet werden könnte auch die Zusammenarbeit der Zollbehörden, was zu verschärften Grenzkontrollen führen könnte.

2.) Was ist Ihrer Meinung nach die Intention der EU bzgl. ACTA?

Offizielles Ziel von ACTA ist die Schaffung gemeinsamer Standards zur Bekämpfung von IP-Rechtsverletzungen v.a. im Internet. Durch die unterschiedlichen Regelungen und Sanktionen in den einzelnen Ländern ist bisher eine wirksame Bekämpfung nur schwer möglich.
Vieles, was durch ACTA geregelt werden soll, findet sich bereits im Deutschen Recht. Allerdings würde im Bereich Internet ein völlig neues System von staatlichen Maßnahmen zur Nutzerüberwachung und zur Verfolgung und Bestrafung auch eigentlich Unbeteiligter geschaffen werden. Je nach Auslegung des Vertragstextes und der Handhabung der darin enthaltenen „kann“-Bestimmungen sind auch weitreichende Auswirkungen im "Digitalen Umfeld" für die Grundrechte von Internetnutzern denkbar. Es läßt sich z.B. eine faktische Abschaffung oder zumindest starke Beschränkung des Providerprivilegs, des Rechts auf Informationelle Selbstbestimmung und des Grundrechts auf Kommunikationsfreiheit und Informationsbeschaffung herauslesen. Auch eine extensive Ausdehnung der Haftung von Internetunternehmen jeder Art ist denkbar. Zudem kann eine unkontrollierte Datensammlung und Weitergabe dieser Daten an alle Staaten des Abkommens abgeleitet werden – ohne erkennbare Regelungen zum Datenschutz.

3.) Polen, Tschechien und Slowakei haben den aktuellen nationalen Ratifizierungsprozess bzgl. des ACTA-Abkommens momentan ausgesetzt. Ist das Ihrer Meinung nach ein Resultat aus einem Umdenken der Regierungen, eine direkte Konsequenz aus durchaus heftigen Protesten oder ist diese Unterbrechung dem intransparenten Entstehungsprozess des Abkommens geschuldet? Oder gibt es eine ganz andere Begründung?

Die Stimmung in den einzelnen Ländern lässt sich natürlich schlecht von außen bewerten. Meiner Ansicht nach führen die zahlreichen Proteste aber dazu, dass sich weite Teile der Bevölkerung überhaupt erstmal mit dem genauen Inhalt und den möglichen Auswirkungen beschäftigen. Diese Strömungen lassen sich natürlich von der Politik nicht gänzlich ignorieren. Zudem muss man sehen, dass das Abkommen in äußerst kleinen Ausschüssen ausgehandelt wurde – der Großteil der Politiker wird sich erst durch die jetzigen Proteste mit dem Inhalt dieses umstrittenen Abkommens vertraut machen. Ein weiterer Grund ist bestimmt die enorme Intransparenz der Regelungen und der Entstehungsgeschichte und die zahlreichen schwammigen Formulierungen.

4.) In den USA sind, der landläufigen Meinung nach, ACTA-ähnliche Gesetzesvorhaben, nämlich SOPA und PIPA, in der Diskussion. Sehen Sie zwischen diesen drei Entwürfen Schnittmengen?

Natürlich gibt es da Schnittmengen: sämtliche Abkommen wollen im Bereich Urheberrecht größere Überwachung, die Abschaffung von Haftungsprivilegien und rein präventive Maßnahmen zum Vorgehen gegen mutmaßliche Verletzer – auch ohne konkrete Belege.
Die Entwürfe differieren hauptsächlich darin wie präzise bestimmte Maßnahmen benannt sind.

5.) SOPA und PIPA sind nach einem globalen Protesttag, an dem sich u.a. auch Google und Wikipedia beteiligten, vorerst auf Eis gelegt worden. Viele US-Politiker haben sich von den ursprünglichen Vorhaben distanziert. Könnte sich ähnliches auch weitreichend innerhalb der EU abspielen? Und wie sehen Sie die Chancen, dass SOPA und PIPA noch die Gesetzesreife erreichen?

Ähnliches könnte auch in der EU geschehen, insbesondere durch das EU Parlament veranlasst. Dennoch werden die den Entwürfen zu Grunde liegenden Ideen nicht einfach verschwinden. Viele Maßnahmen werden sich mit Sicherheit dann in anderen Abkommen finden – vielleicht dann besser versteckt und nicht als ein Maßnahmenpaket geschnürt.

Wir bedanken uns bei Ihnen für das aufschlussreiche Interview.

 

Das Interview führte Sebastian Mosig (Redaktion AGITANO).

 

Weitere Artikel zum Thema ACTA:

1.) Interview mit Dr. Thomas Petri, Datenschutzbeauftragter Bayerns, zum Thema ACTA

2.) Proteste, Diffamierungen und Demokratie – ACTA, TPPA und die Zerschlagung der digitalen Freiheit

3.) Tschechien, Slowakei und Polen setzen Ratifizierung von ACTA aus

4.) Kommentar: ACTA und das Internet

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?