Kolumne: Weihnachts-Grippe

… aus der Kolumne von Claus-Peter Schaffhauser: Weihnachts-Grippe

Wie jedes Jahr wollten wir familientechnisch bedingt, wieder als Großfamilie im Schwarzwald verbringen. So der Plan.

Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Um meiner Tochter Rosalie ein schönes Weihnachtsfest bei bester Gesundheit garantieren zu können, habe ich sie bei ihrer Erkältung aufopferungsvoll gepflegt und versucht, ihr die Wünsche von den Augen abzulesen. Den reden konnte sie nicht mehr. Da war nur ein bellender Husten, der von Erstickungslauten begleitet wurde. Eine Woche durfte sie nicht in die Schule gehen. Sie litt stumm. Grippe. Freute sich aber über die zusätzlichen Ferien. Wenn sie genug Kräfte gesammelt hatte, schickte sie mich rum, dies und jenes zu besorgen. Hunderte von Wärmflaschen wurden gemacht, um den armen geschundenen jungen Körper bei Laune zu halten und um das Frösteln zu vertrieben.

Alle fünf Minuten musste Rosalie den Zustand ihrer Krankheit am Fieberthermometer ablesen: „Papa, ist 38, 5 Fieber?“ – „Ja, das ist Fieber! Nicht so hoch, aber damit kann man nicht in die Schule gehen. – Ein Tag fieberfrei sollte schon dazwischen sein.“

Wie ich diese Woche überstanden habe? Ich weiß es nicht.

Weihnachten rückte immer näher. Die Geschenke waren verpackt und eingetütet. Wir konnten also starten. Gleich am Freitagnachmittag nach der Schule sollte es losgehen. Man will ja schließlich etwas von Weihnachten haben..

Schon am Montag hatte ich einen etwas kratzigen Hals. Klare Sache: Zu viel geredet – zu wenig getrunken. Am Mittwochmorgen fühlte ich mich fröstelig, am Nachmittag hatte ich Schüttelfrost, hatte 38,5 Fieber und bellte wie ein Seelöwe. – Noch machte ich mir aber keine Gedanken, da ich ein 24-Stunden-Killer-Immunsystem habe – seit Jahren schon.

Grippe

Am Donnerstag wachte ich total zerschlagen und nass-geschwitzt auf: INFLUENZA, Spanische Grippe, jedenfalls etwas sehr, sehr ernstes. – Meine Frau war irgendwann ins Gästezimmer geflohen.

Im Fünf-Minuten-Abstand kontrollierte ich meine Fieberschübe. Konstant zwischen 38 und 38,5. – Ich fragte meine Tochter Rosalie, ob ich mit 38,5 zu Hause bleiben dürfte? Sie antwortete: „Papa, Du arbeitest doch sowieso von zu Hause!“ – Ja das fügte sich ideal und Termine hatte ich auch keine mehr.

Ich fragte Rosalie, ob sie mir etwas zu trinken bringen könnte, mein Buch aus dem Wohnzimmer, eine Wärmflasche. Die Antwort von Rosalie war eindeutig: „Da hab ich keinen Bock drauf. Ich will mal nicht Krankenpfleger werden. Das ist der Mama ihr Job!“ – Wie viel Liebe, Fürsorge und Angst um den armen kranken Papa konnte ich da raushören?!

Am nächsten Tag sollte es losgehen. Ich stellte meine Mitfahrt ernsthaft in Aussicht. Aber da war nichts zu machen.

Wir beschlossen noch einen Tag zuzugeben und am 1.Feitertag zu fahren – ist ja auch viel entspannter. Würde es eben bei uns Bescherung geben. – Da hatten wir aber die Rechnung ohne Rosalie gemacht. „Weihnachten, ohne Christbaum geht nicht! Da mach ich nicht mit!“ – Es war inzwischen Heiliger Abend, es wurde langsam dunkel und damit die Chance noch einen Christbaum zu ergattern gleich „Null“.

Aber Not macht ja bekanntlich erfinderisch. – Wir klingelten bei unseren Nachbarn, der Familie Brandl, und schilderten unser Problem. Innerhalb von einer Minute war die Lösung da. Eine eingepflanzte Zypresse – mit Topf fast zwei Meter hoch, musste als Ersatz reichen. Nach kurzem Maulen akzeptierte auch Rosalie die Lösung. Der Baum wurde geschmückt und sah einfach toll aus.

Ich raffte mich für eine Stunde auf. Wir hatten wunderschöne Weihnachten. Alle waren glücklich und zufrieden. – Am nächsten Tag sollte es aber definitiv losgehen. Ich konnte mir für mich nur eine Fahrt im großen Mercedes-Kombi von Hohenadl vorstellen. Der schöne schwarze mit den Vorhängen und dem netten Kreuz drauf. Ich beschloss die nächsten drei Tage alleine zu überleben. – In meinem Kopf lief das Bild eines alten Inuit ab, den man mit einer letzten Makrele auf einer Eisscholle aussetzt.

Ich war mir sicher, ich würde meine Familie nie wieder lebend sehen. – Ich richtete die wichtigsten Unterlagen auf dem Schreibtisch: Kaufvertrag vom Haus, Lebensversicherung, Rentenunterlagen etc. – Legte mich ins Bett und wartete auf den Tod.

Ich sah plötzlich meinen ersten Arbeitsplatz wieder, das Leben lief wie ein Film nochmals vor meinen Augen ab: Siemens Hoffmanstraße – Bereich N OD VE RZ 3 Operatornummer 078. Es waren die Tage vor der Einführung des Informatikstudiums. Und ich war Terminaloperateur im Dreischichtbetrieb. Die Welt und alle Frauen standen mir offen. Theoretisch jedenfalls, da es da einen jungen Mann mit einer ganz ausgefeilten Technik gab, der die Damen im „Lochsaal“ gerne mal auf einen Cafe einlud. Und er schwieg hinterher wie ein Grab. – Er hatte, glaube ich, noch nicht einmal einen Colt, in dessen Griff er seine Eroberungen einkerbte. Agnes war drei Köpfe größer als Norbert und mit Uli befreundet. Macht nichts. Norbert hatte innere Größe und keine Skrupel. Agnes konnte beim „Mayer“ (unserer ausgelagerten Kantine) dreckige Witze erzählen, um 6:00 Uhr morgens Bier trinken und hatte eine sagenhafte Lache und sie hatte jetzt Norbert. Und ich fand sie doch auch so süß. So grausam kann das Leben sein, so einsam der Tod.

Gott sei Dank wachte ich aus meinem Alptraum auf. Schweiß gebadet, wackelig in den Knie. Und allein. Um mich herum nur das ewige Eis des Polarkreises.

Natürlich bin ich letzten Endes doch nicht gestorben – aber so knapp war es schon ewig nicht mehr. – Langsam geht es mir wieder etwas besser. Langsam. Wahrscheinlich kann ich in ein, zwei Monaten auch schon wieder telefonieren, sprich arbeiten.

Ich sollte mal wieder Norbert anrufen. Er ist jetzt glücklich mit Andrea verheiratet.

Anita, Agnes, Andrea …… weit hat er es nicht gebracht im Alphabet.

Ihr Claus-Peter Schaffhauser

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Zum Autor:

Claus-Peter Schaffhauser

Claus-Peter Schaffhauser war in mehreren Unternehmen verschiedener Branchen (Elektronik – Siemens, Informationstechnologie – HP, Befestigungstechnik – HILTI) in unterschiedlichen Führungspositionen tätig (u.a. EDV, Logistik, Vertrieb, Revision). Er berät seit 17 Jahren Kunden verschiedener Branchen in der Optimierung von Logistikprozessen (Lieferantenanbindung, Aufbau- und Ablauforganisation, Reklamationsmanagement) und in der Baustellenlogistik (Optimierung letzte Meile). Claus-Peter Schaffhauser spricht Deutsch und Englisch. In seiner Freizeit schreibt er Kolumnen und arbeitet als Künstler.

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