Leistungsdruck: Handbremse ziehen und STOP sagen

Menschen in Führungspositionen leiden oft unter Leistungsdruck und Mobbing. Bringt man die gewünschte Leistung nicht, so wird man schnell von der Position „entsorgt”. Babak Rafati, ehemaliger FIFA und Bundesliga Schiedsrichter, weiß, wovon er spricht. Er hielt dem Druck nicht mehr stand und wollte sich 2011 in einem Hotelzimmer das Leben nehmen. Mit gesammelten Mut hat er es aus diesem Tief geschafft und unterstützt nun als Mentalcoach Betroffene mit motivierenden und inspirierenden Reden. Sie können ihn auf der Corporate Health Convention am 11.05.2016 von 10 bis 11 Uhr mit seinem Vortrag „Ich pfeife auf den Tod” antreffen.

Interview mit Babak Rafati über Leistungsdruck

Hallo Herr Rafati, was glauben Sie, ist der Grund, dass zahlreiche Menschen ihren Druck und sogar Mobbing schweigend erdulden?

In Zeiten der Globalisierung, Dynamisierung und Drei-Ellenbogen-Gesellschaft, sprich immer weiter, schneller und höher, sind wir Menschen leider oftmals Gefangener der Gesellschaft und übergeben ihr unser Gesicht, damit sie aus uns das macht, was wir glauben zu sein.

Der Grund ist das Bedürfnis nach Anerkennung in der Gesellschaft, insbesondere im Beruf. Daher entfernen wir uns nach und nach von unseren Werten wie Anstand, Moral, Respekt und Wahrhaftigkeit und nähern uns den sogenannten gesellschaftlichen Werten wie Macht, Anerkennung und Geld. Es geht um den Konkurrenzkampf. Bei dieser Selbstkonfrontation zwischen internen Werten und externem Druck entsteht Stress, wenn der Erfolg mal ausbleibt. Da wir gelernt haben, dass wir nur bei Leistung etwas wert sind, obwohl wir mehr als nur unser Erfolg sind, bekommen wir Angst unseren Arbeitsplatz zu verlieren und schweigen aus Existenzangst! Es gibt Druck, oftmals wird mit Mobbing nachgeholfen und dadurch wird man geschwächt.

Beim Mobbing wird man zum Spielball, dabei schwindet die Kraft, nicht wissend wohin die Reise geht, aber ahnend, dass es höllisch sein wird. Eine Dramaturgie des von sich selbst entfernen setzt sich in Gang. Man ist nicht mehr Handelnder, sondern Behandelter. Eine gefährliche Entwicklung.

Was geht in Menschen vor, die ihrem beruflichen Druck in keiner einzelnen Sekunde des Tages entfliehen können?

Die Frage nach dem ständigen Warum verlagert das Denken von der rationalen auf die emotionale Ebene. Wir werden ohnmächtig und handlungsunfähig und verlieren unseren Selbstwert. Die Suche nach der Anerkennung und das Gefühl der Zugehörigkeit im Beruf erzeugt, dass man ständig in ein Denkmuster verfällt und versucht keine Fehler mehr zu machen, was aber genau ins Gegenteil ausschlägt und der Absturz somit an unvorstellbarer Dynamik gewinnt.

Dabei überschreitet man Grenzen und ignoriert eigene Schwächen und verliert die Balance und das Gleichgewicht. Man ist nicht mehr in seiner Mitte, sondern fremdgesteuert.

Welche Auswirkungen hatte diese massive Erschöpfung auf Ihre berufliche Leistungsfähigkeit?

Ich war nicht mehr in der Lage meine Leistung abzurufen. Ständig beschäftigte ich mich mit den Mobbingattacken meiner Führungskräfte und konzentrierte mich nicht mehr auf das Wesentliche. Das Kleinmachen und die gezielt persönlichen Attacken schossen mir immer wieder wie ein Zeitraffer durch den Kopf, z.B. durch Aussagen wie „Das Geschäft verbrennt Leute und wir müssen gucken was wir mit Dir machen“ oder „Jeder darf einen Fehler machen nur Du nicht, Babak.“

Dadurch gingen immer ein paar Prozent Leistungsvermögen verloren. Ich ignorierte Körpersignale. Das Schlimmste war die Bestätigung meiner Kollegen, dass man mich systematisch mobben will und das riss mir endgültig den Boden unter den Füßen weg, weil Schamgefühle aufkamen. Ich fühlte mich allein und wertlos.

Woran merkt ein Mensch: „Jetzt muss ich etwas tun, sonst ist es zu spät“?

Die Symptome waren bei mir Schlaflosigkeit, Antriebslosigkeit, Selbstzweifel, Schuldgefühle, panische Angst Fehler zu machen, Gedankenkino und Isolation. Alltagsübliche Tätigkeiten können nicht mehr wie üblich bewältigt werden. Die Beziehung zu sich selbst und zu den Mitmenschen wird kühl und gleichgültig. Die Gefühle werden niedergedrückt, daher stirbt die Selbstliebe und die Nächstenliebe ab. Man wird egoistisch und fokussiert sich nur noch auf sein Problem. Bei mir dauerte dieser Prozess 18 Monate an.

Wenn das Wohlbefinden über einen längeren Zeitraum gefährdet ist, sollte man die Handbremse anziehen und STOP sagen. Der Satz: „Ich kann nicht mehr, ich brauche Hilfe“ ist nicht schwach oder feige, sondern stark und verantwortungsbewusst und fast immer der erste Meilenstein zu einem glücklichen Leben.

Wie können sich Menschen vor ständigem Leistungsdruck schützen?

Ich habe nach meiner Heilung Strategien entwickelt, damit ich nie wieder gestresst bin. Leistungsdruck entsteht, weil wir es zulassen. Niemand ist in der Lage uns zu verletzen, nur wir selbst lassen es zu. Somit ist es eine Folge unserer eigenen Erwartungshaltung und wenn wir diese nicht mehr erfüllen treiben wir uns selbst in die Abwärtsspirale, niemand anders.

Achtsamkeit, Resilienz, Selbstwertgefühl, Eigenverantwortung, eigene Grenzen und Schwächen akzeptieren, diese zulassen und sich eingestehen, das ist stark! Gerade Männer sollten über Schwächen und Gefühle sprechen können und sich diesbezüglich ein Beispiel an Frauen nehmen, die es optimal managen und durch Sprechen intuitiv Anker werfen. Männer, wir dürfen weinen!

Welchen Rat können Sie Menschen geben, die unter enormem Leistungsdruck oder sogar unter Mobbing leiden?

Wenn jemand erschöpft ist, sollte er sich professionellen Rat beim Hausarzt oder einem Psychologen einholen. Auch Angehörige sollten nicht zögern mitzuwirken. Aber viel wichtiger und gesundheitsbewusster ist die Prävention. Aus eigener Erfahrung eine Geschichte dazu, wie man es verhindern kann:

Ein Profifußballer kontaktierte mich über meine Homepage und wollte von mir als Mentalcoach betreut werden. Er sagte mir: „Mein Trainer, meine Mitspieler, die Medien, die Auswechselbank, der Spielerberater, die ständige Unruhe in der Beziehung durch den Stress…“ Ich fragte ihn: „Jetzt erzähl mir doch mal etwas von Dir…“

Er schmunzelte…Nach einigen Monaten habe ich ihn dann gefragt: Und was sagt Dein Trainer? Er antwortete nur: „Das ist mir Sch… egal, ich bin allein verantwortlich für meinen Weg und schaue somit nur noch auf mich.“ Er hat nun einen Stammplatz und gerade eine Vertragsverlängerung unterzeichnet.

Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit statt sich von anderen unter Druck setzen zu lassen. Daher gilt: „Gesunde Reaktion auf ungesunde Umstände.“

Herr Rafati, vielen Dank für das Gespräch und viel Spaß auf der Corporate Health Convention.

Das Interview führte Oliver Foitzik, Gründer der FOMACO GmbH und Herausgeber des Wirtschafts- und Mittelstandsmagazins AGITANO.

 

Über Babak Rafati

Mobbing, Leistungsdruck, Führungsposition
„Wenn das Wohlbefinden über einen längeren Zeitraum gefährdet ist, sollte man die Handbremse anziehen und STOP sagen.“ (© Babak Rafati)

Babak Rafati, Bankkaufmann in Führungsposition, war viele Jahre FIFA & Bundesliga-Schiedsrichter im Profi-Fußball bis er sich 2011 vor einem Bundesligaspiel in einem Hotelzimmer das Leben nehmen wollte. Heute ist er Referent & Mentalcoach in der freien Wirtschaft und auf Führungskongressen und gibt seine Expertise an Unternehmen europaweit weiter. Er genießt laut zahlreichen Redneragenturen ein Alleinstellungsmerkmal auf dem Markt, da er als Betroffener aus der Praxis berichtet. Die Themen: Leistungsdruck, Mobbing, Burnout sowie Stressprävention und betriebliches Gesundheitsmanagement. Ein hochaktuelles Thema in der heutigen Arbeitswelt, insbesondere auf der Führungsebene bei dem Rafati die verblüffenden Parallelen zwischen Spitzensport und Wirtschaft aufzeigt.

Sein Buch mit dem Titel Ich pfeife auf den Tod schlug in der Öffentlichkeit hohe Wellen, da er schonungslos über gesellschaftliche Tabuthemen berichtete. Im November 2015 folgte im Bayerischen Rundfunk (BR) ein Dokumentarfilm zu seinem Fall in der Reihe Lebenslinien mit dem Titel „Nach dem Spiel“.

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