…mit Jürgen Richter, Geschäftsführer der Beratungsagentur Catalyso

Der Unternehmensberater, Trainer und Coach Jürgen Richter ist Geschäftsführer der Beratungsagentur Catalyso. Mit über 30 Jahren Führungserfahrung in verschiedenen Bereichen und über 20 Jahren Tätigkeit in der Industrie (vor allem in der Softwareindustrie) hat sich Jürgen Richter einen breiten Wissens- und Erfahrungshorizont in der Unternehmensführung angeeignet. Als studierter Historiker und Theologe mit großem politischem und gesellschaftlichem Interesse verfügt er zudem auch über die Basis, über den Tellerrand der eigentlichen Unternehmensführung hinauszusehen. (Den Audio-Podcast finden Sie hier.)

 

Schönen guten Tag Herr Richter. Sie sind erfolgreicher Coach und Berater. Ist das richtig?

 

Eigentlich liebe ich das Wort „Coach“ nicht so sehr, obwohl das, was ich tue, viel mit Coaching zu tun hat. Es geht immer darum, Menschen zu bewegen, um Dinge und Unternehmen voranzubringen. Auch als Berater komme ich eher von der praktischen Seite dessen, der 30 Jahre Führungserfahrung aus den unterschiedlichsten Bereichen hat, davon 20 Jahre in der Softwareindustrie. Ich trage nicht von außen Weisheiten ins Unternehmen, sondern ich mobilisiere das Wissen der Menschen im Unternehmen. Sie sind es, die am Ende des Tages die Lösungen finden, nicht ich.

 

Bitte beschreiben Sie kurz Ihre berufliche Tätigkeit. Worauf liegen Ihre Schwerpunkte?

 

Der Schwerpunkt ist immer die Führung. Ich unterstütze Unternehmen bei der Bewältigung von Führungsaufgaben. Im Kern geht es um zwei Themengebiete:

a)    Humane WERT-Schöpfung:
Dabei geht es darum, Unternehmen attraktiv zu machen, für alle, die zu ihrem Erfolg beitragen, allen voran die Mitarbeiter. In den kommenden Jahren werden nur solche Unternehmen überleben, denen es gelingt, die richtigen Menschen zu finden, an sich zu binden und auch jenseits der 50 noch fit zu halten. Der demografische Wandel, die sprunghafte Zunahme psychischer Erkrankungen und die, nicht zuletzt unter dem Einfluss sozialer Netzwerke, völlig veränderte Sozialisierung der nachwachsenden Generation stellen Herausforderungen dar, denen sich vor allem mittelständische Unternehmen heute noch viel zu wenig stellen. Einzelne Coaching-Programme oder Maßnahmen im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagement arbeiten schwerpunktmäßig an den Symptomen und die einschlägigen Berater versuchen meist, ihre Produkte zu verkaufen. Ich setze hier früher an, bei der Ursachenbewältigung und die beginnt beim Menschen und der Frage der Unternehmensethik.

b)    Prozesse, Organisation und IT:
Prozesse sind der Blutkreislauf des Unternehmens, Organisation und IT die Organe; wie das griechische Wort „Organon“ sagt, die Werkzeuge. Ich unterstütze Unternehmen dabei, sich so aufzustellen, dass sie moderne Werkzeuge, vor allem IT nutzbringend einsetzen können, sowie die richtigen Werkzeuge zu finden und einzuführen. Konkrete Themen sind zum Beispiel die Durchführung von Softwareauswahlverfahren, das Aushandeln von Lizenz- und Projektverträgen, die Durchführung von Projekten, die Bewältigung von Krisenprojekten, die Durchführung von IT- und Projektaudits und andere Dinge mehr, die damit zu tun haben.

 

Was ist für Sie das Wichtigste bei Ihrem Coaching? Worauf arbeiten Sie mit Ihren Klienten hin?

 

Wie gesagt, ich bezeichne mich ungern als Coach. Aber die Form, in der ich meine Arbeit tue, ist, Prozesse im Unternehmen zu begleiten. Meist sind das natürlich in irgendeiner Form Veränderungsprozesse. Mir kommt es darauf an, dass Lösungen und Veränderungen aus dem Unternehmen selbst heraus initiiert und getrieben werden. Ich sehe mich als den, der hier Impulse setzt, eine gewisse Führung gibt und dafür sorgt, dass das Wissen genutzt wird, das im Unternehmen vorhanden ist und oft nicht beachtet wird. Keinesfalls sehe ich mich als den Lösungsbringer, der dem Unternehmen sagt, was für das Unternehmen gut ist und was es zu tun hat.

 

Was denken Sie, schätzen Ihre Kunden an Ihnen am meisten?

 

Genau das und, dass am Ende das Ergebnis herauskommt, das sie sich erwartet haben; manchmal sogar noch etwas mehr. Integrität, Loyalität und Disziplin sind vielleicht noch ein paar Eigenschaften, die dazu gehören.

 

Welche Marketinginstrumente haben sich für Sie persönlich als die erfolgreichsten herausgestellt?

 

Das beste Marketing für mich treiben inzwischen meine Kunden und teilweise auch Geschäftspartner, mit denen ich es in der Vergangenheit zu tun hatte. Freilich nutze ich auch Unterstützung um Termine zu vereinbaren oder rufe gelegentlich bei Firmen an, wenn ich aus dem Markt Hinweise erhalte. Aber das mit Abstand meiste Geschäft kommt über mein Netzwerk und meinen Ruf.

 

Welche Tipps können Sie anderen für ihre Karriere mit auf den Weg geben? Gibt es etwas, was Sie rückblickend vielleicht doch anders anpacken würden?

 

Authentisch sein und das tun, was man wirklich will. Lassen Sie sich nicht verbiegen und machen Sie zu jeder Zeit Ihren Willen und Ihre Vorstellungen deutlich. Das heißt nicht, dass man mit dem Kopf durch die Wand rennt und keine Kompromisse eingeht. Aber verbiegen Sie sich niemals. Wenn Sie das tun, was Ihnen am meisten liegt und was sie mit vollster Überzeugung tun, dann sind Sie auch erfolgreich und bleiben leistungsfähig. Leistung zeigt sich übrigens nicht an der Anzahl der Wochenarbeitsstunden, auch, wenn es in manchen Führungsetagen gerne gesehen wird, dass Leute sich die Nachtstunden um die Ohren hauen und verschleißen. Lassen Sie die links liegen. Sonst begegnen Sie ihnen unter Umständen bei Ihrem Therapeuten wieder.

 

Sie haben schon viele Unternehmen und Unternehmer beraten und gecoacht. Wie sieht für Sie nun die ideale Unternehmensstruktur aus? Können Sie ein paar positive Beispiele nennen?

 

Entscheidend ist nicht die Struktur, sondern die Kultur. Wenn Sie stimmt, dann passt die Struktur – fast – automatisch. Erfolgreich sind Unternehmen, die den Menschen achten, in denen eine Kultur des Miteinanders herrscht, des Respekts, der Offenheit und der Verlässlichkeit im Umgang miteinander. Gerade neue Manager erliegen oft dem Irrtum, dass eine Veränderung der Organisationsstruktur das Erste ist, um ein Unternehmen nach vorn zu bringen. Veränderung fängt beim Menschen an. Sitzt er im Boot und rudert in die richtige Richtung, funktioniert es auch. Die Funktion der Struktur und der Organisation ist lediglich, den Rahmen zu geben, in dem der Mensch sich entfalten kann und ihn bei der Bewältigung seiner Aufgaben zu unterstützen anstatt ihn zu behindern. In vielen Unternehmen ist eher das Letztere der Fall. Dadurch werden Motivation und Kreativität blockiert. Erfolg haben Unternehmen langfristig immer dank ihrer Menschen und manchmal trotz ihrer Struktur.

 

Gibt es viele Klienten, die als vornehmliche Eigenschaft eine „Beratungsresistenz“ aufweisen? Haben Sie deswegen auch schon einmal Klienten abgegeben?

 

Selbstverständlich gibt es viele beratungsresistente Firmen, beziehungsweise Führungskräfte. Aber die werden dann meist gar nicht erst Kunde – und die möchte ich auch nicht als Kunden. Ich will nur Kunden, die auch zu mir passen und das sind solche, deren ethischer Anspruch mit meinem synchron ist.

 

Mal angenommen, Sie treffen den Bundeswirtschaftsminister – was würden Sie sich für den Standort Deutschland und die deutsche Wirtschaft von ihm wünschen?

 

Was ich von ihm erwarten würde gilt nicht nur für den Wirtschaftsminister, sondern auch für seine Kollegen in der politischen Verantwortung:

1.    Die ehrliche Aussage, dass auch durch Zuwanderung unser demografisches Problem nicht zu lösen sein wird. Deutschland hat nicht das Problem, sich über zu viel Zuwanderung Gedanken machen zu müssen, sondern über die Abwanderung, die bereits heute, vor Allem bei den qualifizierten Kräften stattfindet. Das heißt freilich nicht, dass wir jetzt die Grenzen unkontrolliert jedem öffnen sollten. Wir müssen zugleich eine Antwort auf die gesellschaftlichen Fragen finden.

2.    Die ehrliche Aussage, dass unser Rentensystem auch bei einem Renteneintrittsalter von 67 bereits mittelfristig nicht mehr funktionieren wird. Wir werden trotzdem fünf Millionen mehr Rentner haben. Heute kommen noch etwa vier Erwerbstätige auf eine Person im Rentenalter. 2050 werden es nach der heutigen Altersrelation noch zwei sein. Das bedeutet unter anderem:
–    Wir werden in Zukunft länger arbeiten – auch über 67 hinaus.
–    Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen nicht mit 50 bereits so verschlissen sind, dass sie am Erwerbsleben nicht mehr teilhaben können.
–    Wir werden im Laufe unseres Lebens nicht nur etliche Male den Arbeitgeber wechseln, sondern auch den Beruf.
–   Wir, das heißt auch die Unternehmen, müssen in die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern auch noch jenseits der 50 investieren.
–   Wir brauchen flexiblere Zeitmodelle – Arbeitszeit, Teilarbeit, Altersarbeitszeit
–   Alle Beteiligten müssen dazu überkommene, starre Denkmuster über Bord werfen.

3.    Die ehrliche Aussage, dass auch unser Gesundheitssystem so nicht mehr tragfähig ist. Das gilt nicht zuletzt, weil die Bevölkerung immer älter wird und ältere Menschen mehr medizinischer Betreuung bedürfen. Das bedeutet unter Anderem dass das Solidarsystem auf breitere Beine gestellt werden muss. Die Schweiz, deren System nach Ansicht der einschlägigen Lobbyisten auf Deutschland nicht übertragbar ist, könnte hier Pate stehen. Übrigens – geht nicht, gibt’s nicht. Das zeigt, was Herr von Guttenberg in kurzer Zeit im Hinblick auf unsere Bundeswehr in Bewegung gesetzt hat.

4.    Die Einsicht, dass mehr Geld und Familienförderung nicht mehr Kinder bedeutet. Der Mensch verhält sich wie die Natur: Die Reproduktion ist dann am höchsten, wenn die Existenz bedroht oder unsicher ist. Das zeigte sich bei uns nach dem 2. Weltkrieg, nach dem 30-jährigen Krieg und es zeigt sich heute in den am stärksten notleidenden Gebieten Afrikas. Abgesehen vom schieren Instinkt, liegt eine der Ursachen sicherlich darin, dass die Versorgung von alten und kranken Menschen gerade unter solchen Rahmenbedingungen unmittelbar an ihre eigene Nachkommen- und Verwandtschaft gekoppelt ist. Durch unsere Sozial- und Versicherungssysteme sind die Generationen im Hinblick auf die Versorgung, vor allem der Älteren und Kranken, weitgehend entkoppelt. Hier ist Kreativität gefordert, ohne dass deswegen wieder ein Zurück ins finstere Mittelalter stattfindet. Das wird aber unausweichlich kommen, wenn wir nicht zügig den Tatsachen ins Auge sehen.

Das wäre es im Prinzip. Den Rest fordern schon die Vertreter der jeweiligen Lobbys von unseren Politikern.

 

Herr Richter, vielen Dank für das Gespräch.

 

Sehr gerne.

 

(Das Interview führte Marc Brümmer von der AGITANO-Redaktion.)

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