…mit Manfred J. Hoefle über Managerismus und Unternehmensführung

Begriffsdefinition „Managerismus“: Managerismus bezeichnet eine Fehlentwicklung der Unternehmensführung und Managementkultur, die durch die Vereinnahmung des Unternehmens durch ein angestelltes Management, eine einseitige Kapitalmarktorientierung und Distanz zu den Mitarbeitern gekennzeichnet ist; sie kommt vor allem in börsennotierten Publikumsgesellschaften vor.

Ausprägung: Kurzfristdenken, vorrangige Gewinnmaximierung, Überdehnung, Wachstumssucht, Haftungsvermeidung, exzessive Vergütung, Karrierefixierung, Selbstüberschätzung und Selbstdarstellung, Verschiebung von Lasten auf die Gemeinschaft, nicht gelebte Corporate Governance und mangelnde gesellschaftliche Bindung sind typische Ausprägungen. Das Ganze steht im Gegensatz zu verantwortungsvoller Unternehmensführung. (Zum Audio-Podcast.)

 

Guten Tag Herr Hoefle. Sie verfügen über vielseitige und langjährige Erfahrungen im Management und in der Beratung von Großunternehmen. Sie haben nun mit „Managerismus“ eine unabhängige Initiative ins Leben gerufen, die sich – vereinfacht gesprochen – mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Managern beschäftigt. Begleitend haben Sie auch ein gleichnamiges Buch geschrieben. Bitte erläutern Sie uns den Kerngedanken der Initiative.

Kurz und knapp: Es geht uns darum, die Managementkultur zu verbessern. Das geht vor allem Großunternehmen an, insbesondere viele große Publikumsgesellschaften, weil dort die Realität am wenigsten mit einer verantwortungsvollen Unternehmensführung übereinstimmt. Und das ist der Fall, obwohl dauernd die Rede von Corporate Governance – auf gut deutsch Unternehmensaufsicht oder von Compliance, also der Befolgung von Gesetz und Regeln – die Rede war und ist. Es steht jedoch außer Zweifel, dass es auch gut geführte, verantwortungsvolle Publikumsgesellschaften gibt. Zu Beginn möchte ich erst einmal auf den Begriff „Managerismus“ zu sprechen kommen. Damit ist eine Fehlentwicklung gemeint, in der das angestellte Management die Unternehmen – drastisch gesagt – „ausnutzen“, sich dem Kapitalmarkt extrem unterordnen und zu den Mitarbeitern große Distanz halten, sie gar instrumentalisieren. Typisch für Unternehmen dieses Typus sind Kurzfristdenken, Gewinnmaximierung, Überdehnung, die Sucht nach Wachstum, Vermeidung persönlicher Haftung, exzessive Vergütung; und typisch für diese Manager ist die reine Fixierung auf ihre Karriere, sich zu überschätzen und sich ständig in den Mittelpunkt zu stellen.

Warum gerade jetzt diese Initiative? Haben Sie durch Ihre vielfältigen Erfahrungen in diesem Bereich den Eindruck, dass sich das Problem in den letzten Jahren verschärft hat? Dass sich so zu sagen der Mikrokosmos gewisser Manager noch weiter von der Realität eines Gesellschaftsvertrages und ihrer entsprechenden Verantwortung entkoppelt hat?

Die Initiative ist schon einiger Zeit im Gange, allerdings in sehr kleinem Rahmen. Angefangen hat es schon vor der Finanz- und Wirtschaftskrise. Da war der Managerismus schon zum Greifen nahe. Zunächst haben wir in Denkschriften das Ausbreiten einer „Planwirtschaft“, das oft unüberlegte Outsourcen – da gab es übrigens ein typisches Herdenverhalten – und eine laxe Corporate Governance kritisiert, nach den Ursachen gesucht und Vorschläge zur Therapie gemacht. Wir haben den medizinischen Begriff von Krankheiten verwendet und daher von Pathologien deutscher Unternehmen gesprochen, die kuriert gehören.

Das Problem hat sich schon seit langem ausgebreitet: In Deutschland reicht es im Großen und Ganzen in die Jahre zurück, als einige Konzerne die Kapitalmarktorientierung übernahmen (Stichworte: Shareholder Value und Geschäftswertbeitrag) und sich das Management nach amerikanischem Muster zu verhalten begann und ebenso bezahlt werden wollte. Um es zu personalisieren: Ein Exponent war der aus den USA zurückgekehrte Chef von Daimler, Jürgen Schrempp. Der neue Markt war auch eine grandiose Übertreibung, die in dieses Muster passt. Seit etwa zwei Jahren ist es zu einer teilweisen Korrektur gekommen. Zuerst, weil viele Manageristen nicht mehr von der Partie sind: so die glamourösen Herren Esser, Middelhoff, Schrempp, Schumacher, Kleinfeld, Zumwinkel. Und dann: Weil an so mancher Stelle eine Rückbesinnung auf solides Verhalten stattgefunden hat. Die Rolle des Ehrbaren Kaufmanns erhielt wieder Auftrieb, Werte wurden wieder mit Führung in Verbindung gebracht, bei der Besetzung von Vorstandsposten wurde wieder mehr auf Charakter und Einordnung geachtet. Reinhard Mohn, der legendäre Bertelsmann-Chef, bekannte, dass er der Eitelkeit an der Unternehmensspitze nicht immer genügend Beachtung geschenkt habe; zu diesem Fehler stand er und korrigierte ihn auch alsbald. 

Mit dem Imageverlust der Mächtigsten aus der Finanzbranche im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007-2009 war ja die Hoffnung auf eine Mäßigung der egomanischen Verhaltensweisen verbunden. Ist diese Hoffnung Ihrer Meinung nach berechtigt, oder hat sich diese durch das wieder erstarkte Selbstbewusstsein vor allem bei den führenden Investmentbanker wieder zerschlagen? Ich möchte kurz den Starinvestmentbanker und Vorstandschef der britischen Großbank Barclays, Bob Diamond, mit seiner Aussage von Mitte Januar 2011 zitieren, als er die Zurückhaltung bei den Bonuszahlungen für Banker bereits für beendet erklärte: „Es gab für uns die Phase des Bedauerns und der Entschuldigungen. Damit muss nun Schluss sein!“ Haben also die wenigen aber mächtigen Negativbeispiele, die damit ihre verantwortungsbewussten Managerkollegen diskreditieren, wieder die Oberhand gewonnen? 

Die Finanzbranche ist bekanntlich ein besonderer Fall. Dort wird ja nicht mit Gütern gearbeitet, in vielen Fällen, insbesondere im Investmentbanking, der schnelle Gewinn gesucht, wozu alle Hebel recht sind: Hauptsache man kann Deals machen, die Risiken anderen aufbürden, mit Leveraging den Einsatz von Eigenkapital minimieren und damit den eigenen Vorteil, den Bonus in die Höhe treiben. An Bekenntnissen von Mitschuld von Bankern, gierig und realitätsfremd gewesen zu sein, fehlte es wahrlich nicht; so von Alexander Dibelius, dem bestvernetzten Investmentbanker, dem Geschäftsverantwortlichen bei Goldman Sachs hierzulande. Vor weniger als zwei Jahren hat er noch von einer notwendigen „kollektiven Demut“ gesprochen. Wer hat in letzter Zeit davon was gemerkt, oder von Ihm noch was gehört? Die Taktik ist dieselbe wie aus dem Standardrepertoire von PR-Beratern: Verspätet Reue zeigen, Besserung geloben und diskret weiter machen wie bisher, ein paar kleine Zugeständnisse eingeschlossen. Wo hat sich jemand aus der Finanzbranche mit nicht vorgehaltener Hand zu Wort gemeldet? Zu wenig wurde nach meinem Dafürhalten auch die unheilvolle Rolle der großen internationalen Beratungsfirmen, Rating Agenturen und auch Business Schools thematisiert. Geradezu bizarr ist der jüngste Fall von Insiderhandel in den USA. Da haben laut Anklage der US-Börsenaufsichtsbehörde SEC der Ex-Chef und ein Partner von McKinsey ihr Wissen als Aufsichtsrat und Berater an einen Hedgefond verkauft. Wenn so etwas passiert ist, kann man nicht ohne Grund davon ausgehen, dass es kein singulärer Fall war und ist. Kritisch sehe ich auch die Rolle der Business Schools. Eigentlich sollten sie laut dem ersten Rektor der Harvard Business School, aus den Studenten bessere Bürger und kultivierte Geschäftsleute mit breiter Erfahrung machen. Vor der Krise wollte die Mehrheit dieser Studenten in den Finanzbereich und in das Beratungsgeschäft und sie sind auch dort gelandet. Aber dass die Cleversten nur nach dem schnellen Geld streben und Consultants und Investmentbanker kongenial Deals fabrizieren, kann auf lange Sicht nicht gut gehen. Der Niedergang der amerikanischen Industrie ist hier Beweis genug. Nach meiner Meinung sollten die Business Schools in berufsbegleitende Akademien umgewandelt werden. Ein zukunftsorientiertes Land braucht mehr Ingenieure und IT-ler und weniger MBAs.

Warum wehren sich die durch die Negativbeispiele diskreditierten ehrbaren Manager nicht? Warum sprechen sich nicht mehr Manager und Führungspersönlichkeiten für eine Wertekodex und ethische Richtlinien aus? Oder finden diese bloß keinen Eingang in den Main-Stream? Wenn ja, warum?

Trotz allen Geredes von Offenheit wehren sich die sogenannten „anständigen Kollegen“ nicht; lieber wird ein allgemeiner Imageverlust in Kauf genommen. Keiner will den Anfang machen, keiner der Erste sein. Ein namhafter Vertreter einer Großbank gab mir gegenüber zu, dass es „jemand“ machen müsste. Wie soll sich dann was dauerhaft ändern, wenn grobes Fehlverhalten nicht geächtet wird? Die Verbände und Vereinigungen machen es nicht. Die Medien sind den Fällen meist auch nicht auf der Spur, sie preisen überschwänglich den Aufstieg und begleiten mit Häme den Fall. Hilfreich ist das auch nicht. Auf der Webseite von „Managerismus“ prangern wir solche Fälle an, nennen auch Personen. Wir halten das für richtig, für eine Bürgerpflicht. Die Dinge nur als „systemisch“ zu qualifizieren, reicht nicht. Wer aber kritisiert, sollte auch loben können. Darum werden die vorbildlichen Fälle herausgehoben. Deutschland ist reich an guter Managementpraxis, im Mittelstand wie Trumpf oder Krones oder auch in Stiftungsunternehmen wie Bosch oder Bertelsmann oder in großen Publikumsgesellschaften wie BASF und SAP und viele andere mehr. Das sollte man nicht vergessen, dort sollte man in die Schule gehen.

Was für Möglichkeiten bieten sich Ihrer Meinung nach dem einzelnen Otto-Normal-Bürger, in dieser Thematik für mehr Gerechtigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Nachhaltigkeit einzutreten?

Was ich empfehlen kann: Nicht nur im Bekanntenkreis reden und lamentieren, auch nicht unbedingt Leserbriefe schreiben. Dafür gezielt auf Verantwortliche, in der Politik auf Abgeordnete und Minister, auf Redakteure, Verbandsvertreter etc. zugehen oder ihnen schreiben, auf Hauptversammlungen das Wort ergreifen. Gemeinsam erreicht man (viel) mehr; darum Gleichgesinnte, Engagierte suchen und sich mit ihnen vernetzen, dann kann man auch nicht mehr als „Querkopf“ und Kritikaster abgetan werden. Und schließlich auch die Dinge nicht umschreiben, sondern klar beim Namen nennen.

Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen, wie ist das Feedback, das Sie seit Beginn dieser Initiative mit Ihren Mitbürgern einerseits und mit Managern andererseits gemacht haben?

Von den Mitbürgern und von Kollegen bekommen wir viel Zustimmung. Wenig von den Medien, weil sie ungern zugeben, dass ihnen was entgangen ist oder es für ihren Auftrag ansehen. Wenig oder nur bedeckt von Managern, die in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Was mich an einer offenen Gesellschaft manchmal zweifeln lässt, ist die Erfahrung, dass es viele gibt, die im kleinen Kreis vehement zustimmen, sich aber nicht trauen, eine schriftliche Stellungnahme abzugeben, wohlverstanden von Leuten, die Führungsverantwortung hatten. Besonders freut mich, wenn ich auf Umwegen erfahre, dass zum Beispiel ein renommierter Mittelständler die Budgetierung aufgegeben hat, wenn zahlreiche Unternehmen sich mit Outsourcing befasst haben, von politische Seite nunmehr unisono die Bedeutung der Produktion für den Standort Deutschland hervorgehoben wird, ein Managerkreis sich intensiv mit Robustheit befasst oder ein Arbeitskreis sich mit Haftung von Managern befasst. Uns geht es um die „Mover“ und „Shaker“, also Leute, die sich für andere engagieren. Erfreulich ist auch, dass sich der Begriff Managerismus / Managerist für die besagte Fehlentwicklung durchsetzt. Was willkommen wäre? Wenn in den Medien „Manageristen“ öffentlich gemacht würden, nach der Devise „Schlechtes meiden und vermeiden“.

Mal angenommen, Sie wären Berater des Bundeswirtschaftsministers – was würden Sie sich für den Standort Deutschland von ihm wünschen? Oder gibt es ein anderes Ministerium, dem Sie noch drängendere Empfehlungen geben würden?

Da fallen mir vier Punkte ein. Erstens, ein allgemeiner Punkt: Sich ständig für die Wertschöpfung, die Höherqualifizierung in einem Hochlohnland wie Deutschland einsetzen. Zweitens, ein kritischer Punkt: Die Größe bestimmter Unternehmen beschränken, sogar einen Rückbau, eine Verkleinerung auf den Weg bringen. Drittens: Unternehmerische Talente, das ist ein echter Engpass, fördern und sie im Lande behalten, ja sogar ins Land (zurück-) holen. Ausländische Studenten in den technischen Fächern sind eine besonders wertvolles Reservoir. Und, viertens: Generell einfacher, pragmatischer werden. Die vielen Förderprogramme zusammenstreichen, auf viele „Dazwischengeschaltete“ verzichten, mehr wie Mittelständler denken und handeln und weniger in „Big Business“. Der große Philosoph Sir Karl Popper sprach vom Leben als „Problem lösen“, das gilt analog auch für die Politik.

Herr Hoefle, vielen Dank für das Gespräch!

Sehr gerne.

 

(Das Interview führte Marc Brümmer von der AGITANO-Redaktion.)

 

(Siehe auch die Videoaufzeichnung von Erwin Pelzig und dem ehemaligen BDI-Präsidenten Hans Olaf Henkel über die deutsche Hall of Shame für Manager.)
 

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