Mit Verlaub, Herr Präsident, …

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.

   Heute:   Mit Verlaub, Herr Präsident, …
Oder warum wir nicht mehr vertrauen können

„Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“
(Joschka Fischers legendärer Zwischenruf vom 18.10.1984, an den damaligen Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen gerichtet, nachdem dieser den Abgeordneten Jürgen Reents ausgeschlossen hatte, weil er Helmut Kohl als „von Flick freigekauft“ bezeichnet hatte.)

Wer an dieser Stelle von mir einen Seitenhieb auf unseren Bundespräsidenten vermutet, ist ein arger Schelm. Ich kann nämlich das Gerede um und über Christian Wulff ebenso wie ebenselbiges über Krisen im Allgemeinen und im Speziellen (siehe meine Kolumne von der letzten Woche) selbst nicht mehr hören, lesen, fernsehen und werde es daher tunlichst unterlassen, in diesen ermüdenden Kanon einzustimmen, in dem ich auch noch meinen Senf auf das Würstchen streiche. Schluss, aus und vorbei!

Lassen Sie uns lieber über Allerweltsthemen wie Vorbilder und Vertrauen sprechen. Ich denke, dies ist unverfänglicher und auch nicht so abgedroschen.

Vorbilder. Wir alle haben sie. Der eine mehr, der Andere weniger. Sie leuchten im Rampenlicht der Scheinwerfer oder fahren mit Autos im Kreis und viele kennen wir nur vom Hörensagen und den Medien. Doch einige, und ich denke wohl die vertrauenswürdigsten, können oder konnten wir auch wirklich anfassen. Sie bringen uns das Laufen, das Sprechen und das kleine 1 x 1 des Lebens bei, die Vorbilder der ersten Stunden und der ersten Jahre unseres Lebens.

Vorbilder prägen unsere Sicht auf die Welt, sie zeigen uns, wie wir was zu verstehen haben. Kurz: Sie erklären uns die Welt und darüber hinaus, wie wir uns verstehen, und wie wir von anderen verstanden werden möchten.

Vorbilder sind keine Abbilder. Sie sind etwas, das wir uns vornehmen. Sie sind uns Richtschnur und Ankerpunkt, eine Beschreibung des persönlichen Projekts Zukunft aus der Sicht unserer gegenwärtigen Situation und des momentanen Umfeldes, das uns umgibt und prägt. Es gibt selbst gewählte Vorbilder, altersabhängige Vorbilder, Vorbilder für dies und jenes, Vorbilder für das Große und Ganze, und es gibt Ämter und Positionen, denen von sich aus eine Vorbildfunktion innewohnt, und somit den, der es bekleidet, zwangsläufig dazu verpflichtet, ein ebensolches Vorbild zu sein. Wer A sagt, muss nun mal auch irgendwann einmal B sagen.

Für alle Vorbilder gilt jedoch die untrügliche Gewissheit: Wer als Vorbild dienen möchte, darf keinesfalls diejenigen enttäuschen, die sein vermeintliches Bild vor sich hertragen, denn der Schlag, den sie ihren „Gläubigen“ verpassen, ist ein doppelter: Sie bringen sich selbst als Vorbild in Misskredit, was im Umkehrschluss das Ende ihrer Vorbildfunktion bedeutet, und zerstören zudem in der Regel auch noch ein Weltbild, ein Verständnis dessen, was uns ausmacht, was uns umgibt und welches uns Sicherheit in Zeiten der Unsicherheit schenkt. Kurzum: Sie zerstören unser Vertrauen.

Vertrauen: Der Stoff, der alles zusammenhält, wie Ludger Heidbrink in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT in seiner Buchbesprechung des im vergangenen Jahr erschienen Buches Die Praxis des Vertrauens (Martin Hartmann, Suhrkamp 2011) titelte. Vertrauen, so könnte man sagen, ist der Stoff, der unsere Welt zusammenhält. Ohne Vertrauen würden keine Geschäfte zustande kommen, gäbe es keine Freundschaften und hätten wir längst den Glauben in die Politik aufgegeben (ebenda).

Wir vertrauen dort, wo wir uns entlasten wollen, uns Fähigkeiten und Kenntnisse fehlen oder Kontrollen zu aufwendig sind. Dies gilt in Allerweltsfragen bis hin zu existentiellen Entscheidungen.

Glaubwürdigkeit und angenommene Rücksichtnahme sind die Voraussetzungen dafür, dass wir anderen das eigene Vertrauen schenken. Vertrauen geht deshalb nicht gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen voraus, sondern entsteht erst in sozialen, politischen und ökonomischen Praktiken, die wir für vertrauenswürdig halten. Es ist deshalb sinnlos, wenn Politiker und Manager von der Bevölkerung mehr Vertrauen einfordern, ohne die eigene Glaubwürdigkeit zu stärken. Vertrauen lässt sich weder erzwingen noch deklarieren, sondern beruht auf dem Bewusstsein, von demjenigen wichtig genommen zu werden, dem man vertraut… Gerade weil Vertrauen enttäuscht werden kann und Menschen als Kooperationswesen verletzbar sind, bilden Wertschätzung und Respekt unverzichtbare Fundamente sozialer Vertrauensverhältnisse (Ludger Heidbrink, DIE ZEIT Nr.4/2012)

Machen Sie sich an dieser Stelle gerne selbst Ihre Gedanken. Ist es vielleicht doch ganz anders, und zwar so, wie ein alte Volksweisheit besagt: Beziehungen schaden nur dem, der keine hat, oder doch so, wie der alte Lenin es einmal ausdrückte: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. In manchen Dingen bestimmt.

Wie auch immer, die Sehnsucht ist noch da, eine unstillbare Sehnsucht nach Größe, nach Menschen, die in ihrem Leben vieles richtig gemacht haben, denen wir vertrauen können. Menschen die der berühmte Fels in der Brandung sind. Menschen zu denen wir ruhigen Gewissens aufschauen können. Menschen die uns beruhigen können, denen wir glauben und vertrauen können, egal was auch kommen mag.

In diesem Sinne: Ehre, wem Ehre gebührt oder wie der weise Matthias Claudius einmal anmerkte:

Die größte Ehre, die man einem Menschen antun kann, ist die, dass man zu ihm Vertrauen hat.

Ich wünsche uns Allen auf alle Fälle wieder echte Vorbilder und Vertrauen in uns und insbesondere auch in die Menschen, die unsere Geschicke lenken.

Ihr Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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