Neue Köpfe braucht das Land! Oder doch im Gleichschritt dem Untergang entgegen?

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.
Heute: Neue Köpfe braucht das Land!
Oder doch im Gleichschritt dem Untergang entgegen?

Der Konformitätsstil entwickelt eine neue Art von Moral, eine neue Art des Über-Ichs. Aber bei der neuen Moral handelt es sich nicht um das Gewissen humanistischer Tradition, und das neue Über-Ich entspricht auch nicht der Vorstellung vom autoritären Vater. Tugendhaft sein heißt, angepasst sein und so sein wie die anderen. Lasterhaft sein heißt, sich unterscheiden.
Erich Fromm, Wege aus einer kranken Gesellschaft

Ich möchte mir den Schädel an den Mauern einrennen, die mich vor mir selber trennen
Hermann Hesse, Brief an den Vater

Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann
Francis Picabia

Wo sind sie hin, die Menschen mit Ecken und Kanten, Männer wie Frauen, die noch polarisieren können, die provozieren, die auf- und anregen? Menschen, die schlicht und einfach etwas bewegen und in Bewegung zu versetzen in der Lage sind? Menschen, die keine Angst davor verspüren, sich gegen den gegelten und weichgespülten Mainstream zu stellen, wie groß der Aufschrei der Entrüstung und der entgegenwallende Konformitätsdruck auch sein mag?

Gerade heute, in diesen schnelllebigen Zeiten, in denen die eine Krise die andere unaufhörlich abzulösen scheint, in der auf der einen Seite immer mehr und schnellere Veränderungen eingefordert werden und am Ende dann doch alles beim Alten zu scheinen bleibt, sind diese Menschen wichtiger denn je.

Neue Ideen, neue Erfolge, echte Veränderungen und Verbesserungen entstehen nun einmal nicht aus dem Denken und Handeln von gestern. Sie bedürfen des freien Blicks über die Grenzen des Bestehenden hinweg, des mutigen und angstfreien Querdenkens, vielleicht auch des Anfangs chaotisch wirkenden, kreativen Verknüpfens unterschiedlichster Fachrichtungen, Meinungen und Ansätze.

Unsere derzeitige Welt sieht jedoch anders aus: Es soll sich zwar etwas verändern, aber dann bitte am Ende doch so bleiben wie es war. Wir flickschustern an den Problemen herum, stopfen Löcher, treten auf Blasen im Teppich, nur um sie an anderer Stelle wieder hervortreten zu lassen.

Wir gleichen hierin dem Betrunkenen aus Paul Watzlawicks Erzählung „Der verlorene Schlüssel und mehr desselben“ (Paul Watzlawicks, Anleitung zum Unglücklichsein, 1983), der unter einer Straßenlaterne seinen Schlüssel sucht. Ein Polizist hilft ihm schließlich bei der Suche. Als der Polizist jedoch nach langem Suchen wissen will, ob der Mann sicher sei, den Schlüssel hier verloren zu haben, antwortet jener: „Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.“

Bis heute wurden beispielsweise die Verursacher der Finanz- und Wirtschaftskrise weder rechtlich noch finanziell zur Verantwortung gezogen. Stattdessen müssen europäische Rentner, Studenten, Arbeitslose und auch die Arbeitnehmer öffentliche Sparprogramme ertragen, die ihnen Regierungen aus sogenannten Fachleuten geschrieben haben.

Kontinuierlich wird der Druck auf die, die weiter hinten in der Schlange stehen, die sich keine Lobbyarbeit leisten können, die angeblich nicht „systemrelevant“ sind, wie unsere Großbanken und Investmenthäuser, erhöht.

Sie sind zum Zuschauen, zum Erleiden und Erdulden verurteilt und schlendern, nach nunmehr Jahren der größeren und kleineren sozialen und ökonomischen Krisen und durch fadenscheinige Lösungsversprechen depressiv gemacht, wie der Panther in Rilkes Gedicht hinter den sich immer höher auftürmenden Gitterstäben der Ausgrenzung entlang.

„Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein.“ (Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris)

Ganze Nationen, auch das Land der Dichter und Denker, erlahmen verschreckt und angepasst. Ein durchgängiger Konformitätsdruck in Unternehmen, Universitäten, in der Politik und den Medien, der jedes Ausscheren aus der Reihe rigoros bestraft und abwatscht. Echte Bemühungen und Bestrebungen, aus dem Schlamassel ein für alle Mal herauszukommen, sehen auf jeden Fall anders.

Es sollte daher schon ein wenig verwundern, aber auch ein Aufruf sein, wenn gerade die eher konservative FAZ in ihrer Sonntagszeitung vom Dezember letzten Jahres titelt: Stellt endlich die Systemfrage!

Es muss ein Ruck durch unsere Reihen gehen, der uns aus der schleichenden Lähmung befreit, uns provokant, innovativ und mit mehr Kreativität an die anstehenden Aufgaben herangehen lässt. Mutig, unerschrocken und mit mehr Bereitschaft, das Kind auch einmal beim Namen zu nennen, direkt, unverschleiert, auch auf die Gefahr hin, dass man anfänglich aneckt und verstört.

Lassen Sie mich dahingehend mit Che Guevara enden, der einmal treffend formulierte: Lassen Sie uns mutig sein und das Unmögliche wagen. Unser Leben, unsere Zukunft und unsere Kinder werden es uns danken.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr Mut zum Anderssein.

Herzlichst Ihr Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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