ONE, oder: Das gemeine Leben der neuen ZwischenRäumler

Grenzen, die erstarren, verschwimmen und überwunden werden – was ist das Ziel der Reise innerhalb des Raumes? Unser Kolumnist Ulrich B Wagner betrachtet im heutigen Wort zum Freitag in „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET“ genau diese Grenzziehungen und nimmt Einheitlichkeit, Einheit und das Wandeln zwischen den Räumen genauer unter die Lupe. Denn wenn wir genau hinsehen, verschiebt sich unsere Perspektive auf die einzelnen Fragmente und eben jene Linien, die die Teile und Räume von einander zu trennen scheinen.

 Wo ist die Grenze, wie weit kannst du gehen
Verschweige die Wahrheit, du willst sie nicht sehen
Richtig ist nur was du erzählst
Benutze einzig, was dir gefällt

FEHLFARBEN, Songtext aus dem Album „Monarchie und Alltag“

Das Sein im Widerschein

Es gibt Liedzeilen, Worte, Schlagworte, Strophen und Bilder, die einem, jedem Einzelnen von uns, nicht nur zu Ankerpunkten, Erinnerungs- und Verortungspunkten in seinem Leben werden. Ob nun mit Anderen gemein, oder doch, am Ende des Tages, auf dem Weg nach Hause, heim (?) von wo auch immer, nach der Arbeit, der Party vielleicht; und dann doch gemeinsam allein.

Es sind… ? Wer weiß? Doch sie sind nicht gedacht. Sie lassen sich nicht zwingen, erzwingen, und scheinen bloß, wie vieles von uns, Geschichten, geschichtslos. Ein Blinzeln im Spiegel, verloren im Lauf, keine Geschichte mit Anfang und Ende, nicht das einmal, nur Splitter, ein Ausschnitt vielleicht, Mosaike, Bruchstücke des AndersSein.

Von punktueller Bedeutung

Sehnsuchtspunkte. Sicherheit vielleicht?

Ein Gestern, die klare Zeit, ein fester Raum in Mitten des Rauschens, des Verschwimmenes, der Auflösung, des Verschwindens des Eigenen, des Selbst vielleicht sogar.

Doch wann kommen sie dann plötzlich? Warum und woher?

Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, den meine Mutter noch nicht weggewaschen hat, hieß es bei FEHLFARBEN einmal vor langer Zeit in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in einem Lied. Ist er es vielleicht, der Schleier, der Staub des Alten, des nicht mehr und des noch nicht. Des Gleichzeitigen des Ungleichzeitigen, das uns die Wahrnehmung des schon Anderen, des Neuen so unmöglich macht. Ein Wischen über die Gläser des Sehens, des Wahrnehmen des Ganzen im Großen wie im Kleinen, das uns verlangt, den Mut des Einzelnen loszulassen – um sich auf das Neue einzulasssen?

Bedeutung, die zugeschrieben ist

Bilder, Worte, der Klang eines Refrains, ob nun mit einem Sinn oder doch als sensuelles Feuerwerk des Gestern, der anderen Zeit: Vorbilder, Verkehrszeichen des Eigenen, Verortungspunkte des EINEN im sozialen Raum.

Was sind sie uns? Grenze vielleicht? Doch welcher Art?

Geschichten, Erzählungen, gelesen, gehört, gepredigt, erzogen, erzwungen, in unschuldigem Vertrauen als Wirklichkeit, als Echtes, als Wahres, als Schönes und Gutes – glaubt?

Sie waren meist vor mir, nicht bloß vor meinem Gesicht. Nein, vorher schon meist. Kein Auge, kein Sehen, kein Hören, kein Fühlen, nur Ahnung vielleicht, ein Damals, eine Reihung und Einreihung vielleicht, ein Miteinander in Raum und Zeit.

Heimat vielleicht? Familie? Der signifikante Andere vielleicht?

Sinn (-haftigkeit)

Kein einsamer Anfang, kein zufälliges Erscheinen des Einen, des Selbst. Verortung und Platz, Erwartung und Sinn im freien, in seiner Weite erschreckenden Freiheit des(r) Sinn(e):

Des eigenen Sinn.

Wer war es, wer ist es? Wer Zeuge des Echten? Nicht nur der Geschichten, der Geschichte vielleicht, der einen, der deinen, der meinen, der Unseren vielleicht sogar.

Was ist uns gemein? Nicht wer, sondern was. Nicht böse gemein.
Nicht Gemeinheit; Gemeinsamkeit, Sicherheit,  Einssein, Einheit vielleicht?

Doch was ist das Gemeine, der Alltag vielleicht, der tägliche Trott, die Veralltäglichung des Außeralltäglichen, die Niederungen, Erniedrigungen des Heiligen bloß?

In / Zwischen – Räumen

Auch Worte sind Bilder bloß, aus alter, längst vergangener Zeit.

Nur das, nur Einschränkung, Verbot oder doch auch mehr?

Möglichkeitsräume, Verbinder, Vermittler, Türsteher des Gemeinsamen, Grenzen, Kontrollpunkte, Schranke, Eintritt und Austritt, Knechtschaft, Unterdrücker des Eigenen, des Besonderen, des Einzigartigen vielleicht?

Ein Blick nur im Neuen, im Flüssigen, dem neuen Gemein schon zeigt:

Das Wort gemein bezeichnet ursprünglich eine Eigenschaft, die mehrere Menschen gemeinsam besaßen (Beispiel: „all diesen Leuten ist die Muttersprache Deutsch gemein“). Es ist verwandt mit dem lateinischen communis/commune und dem englischen mean (bzw. indirekt common).

Außerhalb dieser und weiterer feststehender Wendungen wird es heute umgangssprachlich oft als Synonym für ‚bösartig‘ (im Sinne von hinterhältig) verwendet.

Bei Tier- und Pflanzentaxa bedeutet gemein, dass diese Art für die Benenner die bekannteste war beziehungsweise keine besondere (sie als Einzigartigkeit) Merkmale hat.

Dem Schein entgegen

Vielleicht ist es das, was uns heute tagtäglich – nicht nur in dem einem, dem Anderen, in Teilen, in Bruchstücken, Mosaiken, Zerrbildern, Auflösungen, Verschwimmungen, Verwischungen und unter dem Grauschleier des Gestrigen – entgegenscheint.

Das Neue.

Nicht nur für uns Selbst. Für Alle, im Großen und Kleinen, für die Großen, die Kleinen, die Jungen, die Alten, die Starken, die Schwachen, die Armen, die Reichen, die Gläubigen, die Ungläubigen, die Meinen, die Deinen.

Unser, unser neues gemeines Leben, ein neues ONE.

Ein neues, gemeines ONE

Kein Selbstverständliches, kein alles Gleichschaltendes, den Einzelnen bevormundendes, begrenzendes; ein forderndes ONE, dem Einzelnen, dem einzelnen Sein nicht in Stein, sondern im echten Leben, als ein volatiles Rauschen, als Me(h)er, auch als ein mehr des Einzigartigen, des eigenen Sein.

Nicht Schuld- und Entschuldigungspunktpunkt der eigenen Passivität, des eigenen Lassens und Unterlassens. Nicht ewige Gewissheit, sondern im Austausch des Einen, des Besonderen mit dem Anderen, dem anderen Einzigartigen, dem eigenen und fremden Selbst erwacht: Freiheit zu Sein, zu Leben, zu Werden im Großen, um dann vielleicht eine Heimat zu finden.

Freiheit, setzt frei, verlangt uns Einzelne, nicht in Geschichten, in Nacherzählung und Predigt, im eigenen Sein, dem Fühlen des einen und des anderen. Des Innen und des Außen. Nicht grenzenlos, sondern in einem offenen Austausch der Bilder, einer Grenzziehung des Selbst in der Kommunikation mit dem Anderen, die ihre Grenzen in der Würde und Freiheit des Anderen erkennt.

Ein Gefühl für das Gefühl

Vielleicht fühlen, ja, wissen wir es bereits. Im Kleinen, in der kleinsten Gemeinschaft, der Liebe, der Freundschaft vielleicht wie es U2 einmal in einem Lied beschrieb:

Is it getting better?
Or do you feel the same?
Will it make it easier on you now?
You got someone to blame

You say, one love, one life
When it’s one need in the night
One love, we get to share it

…….

Well it’s too late tonight
To drag the past out into the light
We’re one but we’re not the same
We get to carry each other, carry each other
One!


(Quelle: YouTube)

Jeder von uns ist Grenzgänger, der eigenen Grenzen, der Grenzen der Gemeinschaft, der Völker, Staaten, der Welt. Grenzen sind eine soziale Ressource. Sie geben Sicherheit, Vertrauen, Möglichkeits- und Unmöglichkeitsraum. Wir brauchen sie um in Ruhe zu arbeiten, zu leben und ohne Schaden nicht nur zu überleben, sondern fortzuleben.

An den Grenzen des Raumes

Doch ohne sie zu überwinden, sie herauszufordern, ob nun im Kleinen oder Großen, entsteht kein Platz für das Neue, die Veränderung, die das Leben zum wahren, dem echten, gefühlten und nicht nur selbst erfühlten, sondern selbsterfüllten Leben macht.

Wie es der Wiener Soziologe Roland Girtler in seinem Buch Abenteuer Grenze: Von Schmugglern und Schmugglerinnen, Ritualen und „heiligen“ Räumen so wundervoll einmal beschrieb.

Vielleicht ist es ja auch das, was uns Alle, jeden Einzelnen von uns, so mit Angst – Angst vor uns selbst, den Anderen, dem Fremden, der Zukunft, nicht unserer allein, sondern der gemeinen Zukunft – erfüllt. Wer weiß?

Grenzgänger, Grenzgängerin, Schmuggler und Schmugglerin zu sein.

Einzigartige ZwischenRäume

Uns trotz des angeblichen totalen Eindringens des Öffentlichen ins Private, uns, jeder von uns, im Austausch mit den Anderen, seine ZwischenRäume, seine Privatheit und seine heiligen Räume zu wahren, die ihr/ihm und den Ihren Raum, nicht nur Schutz und Sicherheit zur Entfaltung der eigenen Möglichkeiten bietet, sondern sie auch zu etwas Besonderem, ja Einzigartigen erwachsen lassen.

Wer weiß?

Vielleicht ist es auch das, was mich an den Arbeiten des Frankfurter Künstlers Gregor Wald so fasziniert: Dieses Bruchstückhafte, Getrennte, Abgtrennte und Mosaikhafte, das mit der Entfernung und Ausweitung des Raums und des Blicks zu einem gemeinen Bild einem ONE sich versöhnt.

Ihr

Ulrich B Wagner

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?