Ostern 3.0 … oder: die fabelhafte Welt der Amelie

Da Ostern vor der Tür steht, erscheint Ulrich B Wagners wöchentliche Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET DAS WORT ZUM FREITAG“ bereits am heutigen Gründonnerstag. In seinem aktuellen Beitrag widmet er sich diesem Feste. Das scheint auch bitter nötig. Inzwischen weiß mehr als ein Drittel der Deutschen gar nicht mehr, warum es überhaupt gefeiert wird.

Dialog zwischen dem an Glasknochen leidenden Maler Rymond Dufayel und der fabehaften Amelie angesichts des Gemäldes „Das Frühstück der Ruderer“ von Pierre Auguste Renoir:

Amelie:Dieses Mädchen auf dem Bild mit dem Wasserglas, vielleicht sieht sie gerade so abwesend aus, weil sie gerade an jemanden denkt.

Der Maler:An jemandem auf dem Gemälde?

Amelie:Nein eher an einen Jungen, der ihr woanders begegnet ist. Sie hat das Gefühl, als wären sie sich ein wenig ähnlich.

Der Maler:Sie meinen, sie stellt sich lieber eine Beziehung mit jemanden vor, jemanden der abwesend ist, als eine Bindung einzugehen mit den Anwesenden?

Amelie: Na vielleicht tut sie auch alles um das Kuddelmuddel im Leben der Anderen in Ordnung zu bringen.

Der Maler:Was ist mit ihr? Was ist mit dem Kuddelmuddel in ihrem Leben? Wer wird sich darum kümmern?

Amelie:Das kann warten. So lange kümmert man sich besser um etwas anderes als um einen Gartenzwerg.

Die fabelhafte Welt der Amelie

Ich sah mich beklommen um: Gegenwart, nichts als Gegenwart. […] Jetzt wusste ich: die Dinge sind ganz und gar das, was sie scheinen …

Jean-Paul Sartre, Der Ekel

Die Unausweichlichkeit der Kontingenz lauert überall um uns herum. Jean-Paul Sartre hat ihr in seinem Meisterwerk Der Ekel ein Denkmal gesetzt. Doch davon vielleicht ein anderes mal mehr. Oder auch nicht.

Es ist ja immerhin Ostern! Was bitte schön? Ostern?

Es ist so ein Ding mit den Dingen um uns herum. Angesichts diesem nunmehr akut vor unserer Tür lauernden Problem, mag die Kontingenz sich doch die Füße platt treten. Jetzt ist erst einmal Ostern. Wenn es nur so einfach wäre. Laut einer Umfrage, in der es darum ging, was Ostern eigentlich ist und was an Ostern gefeiert wird, mussten immerhin mehr als ein Drittel der Mitbürger passen.

Willkommen in der schönen neuen Welt. Alles ist schnell und noch schneller geworden, hat sich verändert. Wer bitte schön soll da auch noch den Überblick behalten? Und dann auch noch das vermaledeite Hasenfest. Warum verdammt nochmal drei Tage lang Karnickel feiern, hatte sich wohl vor Jahren so manch Verbraucher gedacht, als er die Werbung der Buchgruppe Thalia mit dem Hasen sah, der so schöne Geschenkideen zum Hasenfest anbot.

Auf zum Osterhasen-Rasen!

Naja, irgendwie ist der Rammler ja auch süß, und immerhin bringt er in der Regel auch noch was mit. Ähnlich wie die geflügelten Jahresendengel oder der bimmelnde weißhaarige Coca-Cola Opa, der immer so schön zu den neuesten Hits rockt.

„Hefegebäck für das Osterhasenfest“, so die Überschrift im Rezeptteil einer Frauenzeitschrift, ist da noch eine mildere Version angesichts der neuen Media-Markt Kampagne, in der zum Osterhasen-Rasen eingeladen wird. Die Hasen-Rennen werden live um 20:12 Uhr auf den Fernseh-Sendern RTL, Super RTL, RTL Nitro, VOX, N-TV, Sat.1, ProSieben, Kabel Eins und Disney Channel ausgestrahlt. Doch damit nicht genug: Die Live-Bilder laufen auch im Internet auf Mediamarkt.de, Bild.de und auf der Youtube-Startseite. Media-Markt sorgt zudem von 20:07 bis 20:20 Uhr für Vor- und Nachberichterstattung im Web (siehe hierzu auch: Live-Werbung: Media-Markt lädt zum Osterhasen-Rasen).

Ich dachte, ich lese nicht richtig!

Hasenfest, Osterhasenfest, Osterhasen-Rasen??? Es gab schon viele Versuche, das Osterfest umzuwandeln. Eigentlich war Ostern, ich kann mich auch irren, immer eine Zeit, in der die erwachende Natur, die Freude am Leben und auch die Hoffnung (die Hoffnung stirbt bekanntlich ja glücklicherweise erst am Schluss) der Auferstehung gefeiert wurde – all diese Dinge habe ich bisher auf die eine oder andere Weise auch immer wieder gern mitgefeiert.

Okay, die Osterverunstalter stehen in einer guten Tradition. Nehmen Sie beispielsweise nur den guten alten Josef Stalin. Der befahl, Ostern abzuschaffen, und die Menschen stattdessen arbeiten zu lassen, um das hehre Plansoll besser erfüllen zu können. Von den Nazis ganz zu schweigen die aus dem Osterfest in alter germanischer Tradition schlicht wieder die Wintersonnenwendfeier machen wollten. Umsatz, Umsatz über alles! Der Rest ist, angesichts der sich seit Januar vor Schokohasen und sonstigem Konsumfetischen biegender Verkaufstische, eh sch*** egal.

Zu allem Überdruss ist es ja mit dem Hasen auch noch so ein Ding. Denn der Osterhase gehört nämlich nicht nur irgendwie so zu unseren österlichen Bräuchen. Seit frühen Zeiten ist er ein Symbol der Fruchtbarkeit und Zeugungskraft. Und nicht nur er. Immerhin kann eine gestandene Häsin bis zu zwanzig Junge pro Jahr zur Welt bringen. Was ja auch irgendwie, unsere Urahnen, die alten Schlawiner, waren ja auch nicht blöd, zum Fest des Lebens und der Auferstehung gut passt und auch nebenbei so den einen oder anderen angenehmen Nebeneffekt mit sich bringt.

Herr Hase: Der Rettungsanker in der Not

Wie wir Kindern waren, wurde uns ja auch erzählt, dass der Osterhase die Eier im Garten versteckt. Und während wir Bälger, zur Freude und Belustigung der Erwachsenen, zum Ostereiersuchen ausschwärmten, gaben wir ihnen damit die Gelegenheit, es den putzigen Häschen gleichzutun. Ein wunderschönes Spiel! Insbesondere wenn es draußen mal wieder nass und kalt ist. Selbst wenn der gute alte Herr Medizinprofessor, Georg Franck von Franckenau, Gott hab ihn selig, bereits 1678 mahnte, dass der Glaube an den Osterhasen eine Fabel sei, die man nur Simpeln und Kindern aufbinde. Doch keine Panik an dieser Stelle. Renommierte Psychologen halten dies mittlerweile für genauso unbedenklich, wie den Glauben an den Weihnachtsmann.

Ostern entgleitet uns. Und doch ist das eine oder andere vielleicht noch immer da und taugt, selbst für den einen oder anderen, säkularisierten Menschen wie meine Person, für die der gute alte Herr Hase den Glauben manchmal unauffindbar versteckt hat, als Rettungsanker in der Not.

An Ostern nämlich, folgen wir wir hier wenigstens kurz der christlichen Traditionen, erleben wir in kürzester Zeit, nämlich in den fünf Tagen zwischen Gründonnerstag und Ostermontag, wenn wir es zulassen, zumindest symbolisch von tiefster Trauer und extremem Verlust bis hin zur größten Freude alle tiefgreifenden Emotionen, und lernen so vielleicht, dass beides einander nicht nur bedingt, sondern, wie die einführend erwähnte Kontingenz, untrennbar zu unserem Erdendasein dazugehört.

Zeit: Nutzen wir sie wirklich?

Aber vielleicht will uns Ostern ja auch auf diese Weise den Umgang mit unserer Zeit anmahnen. Nutzen wir sie wirklich? Machen wir das Richtige mit ihr? Können wir wahrhaftig der modernen Beliebigkeit des Zeitbegriffs widerstehen? Ich bin auch nicht wirklich gläubig und gefastet habe ich leider – zum Leidwesen der Waage im Bad – auch nicht. Alles wandelt sich mit der Zeit und bleibt auf seine Weise doch immer gleich.

Vielleicht wäre es ja zu Ostern mal an der Zeit, von den virtuellen Versuchungen zu fasten und den einen oder anderen Menschen, den die Kontingenz, wenn in letzter Zeit vielleicht auch nur noch in den virtuellen Räumen des Worl Wide Webs, in unser Leben gespült hat, wieder leibhaftig zu sehen oder uns schlicht und ergreifend auch einmal mit vollem Bewusstsein den Menschen zuzuwenden, die anwesend sind, statt mit den Abwesenden über unsere Smartphones zu kommunizieren.

Das wahre, das echte Leben kann nicht warten

Echte Bindung gelingt nämlich in seiner schönsten Form nur mit Anwesenden. Das wahre, das echte Leben kann nicht warten. Das Glück, die Freude, Genuss und Leidenschaft bedarf der Gegenwart und des hundertprozentigen Gegenwärtigseins. Denn die Vergangenheit ist längst vorbei, die Zukunft unvorhersehbar. Es gilt ihn, den Kairos, am Schopfe zu packen, und wenn es nicht sofort gelingt. Sei’s drum. Es ist es wert.

Denn auch hierfür steht Ostern. Ostern ist immer auch Hoffnung. Auch wenn diese Hoffnung manchmal extremen Schwankungen unterliegen mag. Manchmal kommt sie zu früh, und manchmal scheint sie angesichts unseres Gefühlschaoses zu spät dran zu sein. Glauben Sie mir aber eines: Melden tut sie sich dennoch immer wieder. Es kommt nur drauf an, dass wir dann auch wirklich anwesend sind.

In diesem Sinne wünsche ich uns Allen schöne Ostertage.

Ihr hoffnungsfroher Ulrich B Wagner

Über Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner, irrsinn, das positive denken
(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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