Reduzierung statt Überforderung: Wie sich Geschäftsmodelle vereinfachen lassen

Kleine Unternehmen und Startups haben einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Sie sind flexibel und können schnelle Entscheidungen treffen. Großunternehmen hingegen kranken oft an überkomplexen Strukturen, die Innovationsprozesse verlangsamen. Gerade wenn die Umweltkomplexität steigt, unterliegen viele dem Trugschluss, auch ihre Geschäftsmodelle komplexer machen zu müssen. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall, wie Michael Mollenhauer im AGITANO-Interview schildert.

 

Einfachheit und Flexibilität sind das neue Kapital: Michael Mollenhauer über moderne Geschäftsmodelle

Sie plädieren dafür, Geschäftsmodelle zu vereinfachen und Komplexität im Unternehmen zu reduzieren. Worin liegt der Vorteil für die Firmen?

Firmen profitieren in zweierlei Hinsicht von geringerer Komplexität. Zum einen können Unternehmen mit weniger Hierarchieebenen schneller Entscheidungen treffen, weil sie flexibler auf neue Herausforderungen reagieren können. Sie können deshalb kreativer und innovativer arbeiten. Zum anderen sparen vereinfachte Geschäftsmodelle bares Geld: Eine Studie der Simplicity Partnership und der Warwick Business School bezifferte den Verlust, den die größten Unternehmen durch zu komplexe Strukturen jährlich erleiden, auf jeweils eine Milliarde US-Dollar.

Warum ist es für Unternehmen so schwer, Komplexität zu reduzieren?

Wir leben in einer Umwelt, die immer komplexer wird: Abhängigkeiten und internationale Verflechtungen nehmen zu, politische Regulierungen schaffen Anforderungen, die es zu erfüllen gilt, und nicht zuletzt beschleunigen sich auch durch technologische Neuerungen und Umbrüche wie die Digitalisierung die Märkte. Extern steigt die Komplexität also. Auf diese Herausforderungen reagieren Unternehmen häufig, indem sie auch intern neue Strukturen und Prozesse einführen – zusätzlich zu den alten. Das ist der falsche Weg: Wenn neue Strukturen und Prozesse eingeführt werden, dann sollten Unternehmen immer überdenken, ob das wirklich notwendig ist. Wenn ja, dann muss an anderer Stelle Ballast abgeworfen werden. Nur so gelingt es, die Komplexität zu begrenzen. Was häufig übersehen wird: Führung von Organisationen beruht auf sozialer Einflussnahme. Die organisational vorstrukturierte Machtbasis (durch Legitimation, Bestrafung, Belohnung) hat sich als deutlich weniger erfolgseffektiv erwiesen als faires Verhalten und vertrauensbasierte Führung.

Bisher ging es vor allem um die interne Organisation des Unternehmens. Sollten Unternehmen auch bei ihren Produkten nach dem Motto „Weniger ist mehr“ wirtschaften?

Auf jeden Fall. Unternehmen wie Apple, Aldi oder Alphabet (früher Google) machen vor, wie man mit einem reduzierten Geschäftsmodell erfolgreich ist. Kunden wollen kein Überangebot. Sie wollen eine klar umgrenzte Produktpalette, die auf ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Um das zu leisten, müssen Unternehmen ihre Zielgruppe genau kennen.

Aldi versucht derzeit mit der Kampagne „Einfach ist mehr“ neue Kunden zu gewinnen. Apple produziert seit Jahren ein sehr reduziertes Produktangebot, wenn man das Sortiment mal mit anderen Tech-Unternehmen wie Samsung oder Nokia, das mittlerweile ja kaum noch relevant ist, vergleicht. Belohnt wird Apple dafür regelmäßig mit langen Schlangen vor den Shops. Und Alphabet verabschiedet sich radikal von Unternehmenssegmenten, die nicht den gewünschten Profit bringen.

Umsatzstärke ist also keine Frage von möglichst vielen verschiedenen Produkten, sondern basiert auf der Qualität eines begrenzten Angebots.

Wie gelingt es Unternehmen in der Praxis, ihre Geschäftsmodelle zu vereinfachen?

Eine Management-Faustregel lautet: Immer wenn irgendwo etwas Neues eingeführt wird – sei es ein Produkt, ein Prozess oder eine Strukturebene – muss an anderer Stelle etwas abgeschafft werden. So vermeiden Unternehmen, dass sie sich zu sehr aufblähen und bleiben schlank und flexibel.

Insgesamt sind Patentlösungen aber wie immer schwierig. Wenn Unternehmen expandieren, dann führen sie oft neue Hierarchieebenen ein. Mehr Entscheidungsebenen führen aber dazu, dass sich Prozesse verlangsamen. Deshalb sollten solche Umstrukturierungen stets von einem Reflexionsprozess begleitet werden, der die Frage stellt: „Brauchen wir das wirklich?“. Oft sind informelle Prozesse die bessere Wahl. Oder aber bestehenden Strukturen werden mehr Kompetenzen übertragen. Beispielsweise können Team- oder Projektleiter mehr Entscheidungsbefugnisse bekommen.

Ich kann nur an die Unternehmen appellieren: Die Zeiten, in denen Wachstum bedeutete, auch Personal und Strukturen intensiv auszubauen, sind vorbei. Das Kapital von Unternehmen besteht heute darin, schnell und innovativ zu sein. Das gelingt besser, wenn keine festgefahrenen und aufgeblähten Strukturen die Entscheidungswege hemmen.

Herr Mollenhauer, ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.

Das Interview mit Michael Mollenhauer, Partner und Vorstand der mmc AG, führte Dr. Katja Heumader, Redakteurin AGITANO.

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