Schnauze voll von Krise?!

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.

Heute:    Schnauze voll von Krise?!
Oder warum sich hinter dem ständigen Gerede darüber unsere eigentliche Krise zu verbergen scheint…

Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen
(Winston Churchill)

Der Kapitän geht als einer der ersten von Bord, während sich der Luxusliner Costa Concordia gemächlich zur Seite neigt, und die Wochenzeitschrift DIE ZEIT titelt in ihrer aktuellen Ausgabe: Ein Traum versinkt.

Alles hat seine Zeit, seinen Kontext, seinen Verständnishintergrund und bekommt durch die Augen der Betrachter seine eigene zeitgeschichtliche Relevanz und Couleur. Manchmal werden diese Ereignisse aber auch zu gesamtgesellschaftlichen Sinnbildern, nicht immer direkt, jedoch zumindest in indirekter Form, durch zeitliche oder räumliche Nähe zu dem sie begleitenden.

So auch in diesem Fall. Nur wenige Zeilen entfernt Evelyn Fingers Ausführungen zum andauernden Krisengerede und liebgewonnen Untergangsszenarien mit dem Titel: Beruhigt Euch! Droht uns auch noch das Ende der Demokratie? Kleine Polemik gegen das ewige Gerede vom Weltuntergang.

Wenn auch von Beruhigung bei mir keine Rede sein kann, so kann auch ich sie, wie so viele von uns, nicht mehr hören, lesen, geschweige denn ertragen: Die ewige Litanei der Krise.

Seit einer gefühlten Ewigkeit wird sie von unterschiedlichsten Interessenvertretern wie eine Monstranz landauf und landab getragen, von der Klimakrise, Bildungskrise, Kinderkrise, Schulkrise, Energiekrise, bis hin zur Finanz- und Bankenkrise, von unseren eigenen oder fremden Liebes- und Beziehungskrisen ganz zu schweigen.

Vielleicht ist ja auch gerade das ständige Herunterbeten der Krise(n) die eigentliche Krise, in der wie uns derzeitig befinden?

Sie ist schal geworden, sie schmeckt nach nichts, und vor allem: Sie ändert nichts! Sie hat nicht nur ihren Reiz, sondern, was noch schlimmer ist, ihre Alarmfunktion, ihren aufrüttelnden Charakter verloren: Wir sind nämlich über die Zeit fast unbemerkt nicht nur resistent geworden, sondern haben darüber hinaus auch noch eine krankhafte Resilienz entwickelt.

Es ist fast, als wäre das Daugeplapper über die Krise(n) nicht mehr als eine bloße Attitüde. Wirklich ernst scheint das pseudoapokalyptische Gerede sowieso keiner mehr zu nehmen. Längst überfällige Entscheidungen werden verschleppt und ausgesessen, bis letztendlich auch die kollektive Angstlust zu verschwinden scheint. Das Ende der Gemeinschaft, der sozialen Ordnung erscheint fern, das Krisensabbernde Siechtum dagegen hält an. Für Hoffnung gibt es in den selbst gewählten Rückzugsorten scheinbar noch genügend Raum (woraus sie sich dort auch immer nähren mag), für echtes Handeln, Verhandeln und persönliche Anstrengungen dagegen kaum.

Es war der deutsche Soziologe Wolfgang Sofsky, der bereits 2010 in einem Artikel für die WELT AM SONNTAG (Die Freude am Untergang, 04/2010) sehr treffend anmerkte: Verfallskonzepte schließen die Naherwartung des Endes aus. Sie sind Krankheitsbilder der Gegenwart, Diagnosen chronischer Hinfälligkeit. Damit kann man sich abfinden. Ist es nicht ein besonders Vergnügen, der Lust am Verfall zu frönen, die frei ist von Mühsal und Verantwortung? Alte Gesellschaften zeigen oft Merkmale der Dekadenz. Die Bewohner klammern sich an Traditionen und Besitzbestände. Sie pflegen den Kult des Gedächtnisses; obwohl sie kaum etwas haben, worauf sie stolz sein könnten. Das gründliche, höchste Interesse hat sich aus ihrem Leben verflüchtigt. Ziele haben sie aufgegeben. Ihr Bedürfnis ist befriedigt. Alles soll so bleiben, wie es ist. Solche Gesellschaften sind eine politische Nullität. Im Niedergang bleibt ihnen nichts, was sie gewinnen könnten. Sie haben kein Projekt, keine Zukunft.

In solchen Zuständen kollektiver, geistiger Umnachtung ist es dann auch nicht mehr weit, die Krise oder Götterdämmerung der Demokratie auszurufen, wie in letzter Zeit häufiger geschehen.

Die Tatsache, dass genau zu diesem Zeitpunkt hier in Frankfurt, ganz in der Nähe der historischen Paulskirche, (dem Ort der ersten frei gewählten Volksvertretung der deutschen Lande), ein Ausstellungsprojekt zwischen dem Exzellenzcluster Die Herausbildung normativer Ordnungen der Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem Frankfurter Kunstverein mit dem Titel: DEMONSTRATIONEN. VOM WERDEN NORMATIVER ORDNUNGEN, ihre Türen geöffnet hat, hat für mich daher etwas Erfrischendes und Mut Machendes.

Es reicht nämlich nicht aus, lapidar festzustellen, dass ab einem gewissen Grad des Misstrauens der Gesellschaftsvertrag als Grundlage unserer Demokratie nicht mehr funktionieren kann (wie einige Vorstandschefs gewarnt haben), wenn daraus keinen Handlungen abgeleitet werden. Wir leben zu selbstverständlich und blind in einer sozialen Ordnung, einem System, dass auf der Grundlage eines freiheitlich getroffenen Regelwerks ausgehandelt wurde und, wie es im Ausstellungskatalog weiter heißt,: Sichtbar wird es (das System, Anm. des Verfassers) meist erst, wenn die Begründungen und Rechtfertigungen nicht mehr überzeugen können und Menschen auf die Straße gehen, um ihren Zweifeln in Form von Protest Ausdruck verleihen. Demonstrationen. Vom Werden normativer Ordnungen spürt diesen lebendigen Momenten des Aushandelns und der kommunikativen Auseinandersetzung um normative Ordnung nach.

Wenn Dinge sichtbar werden, sind sie daher nicht automatisch eine Krise, sondern lebendige Momente, die Chancen zur Veränderung bieten. Nicht nur für jeden einzelnen von uns, die wir in diesem vermaledeiten Krisensiechtum zu lebendigen Toten zu verkommen drohen, sondern auch Lebenschancen für ganze Gesellschaften, für eine Anpassung ihrer sozialen Ordnung und des damit verbundenen Regelwerks.

Ich für meine Person kann daher nur hoffen, dass sehr viele Menschen, diese Ausstellung besuchen, und dass sie ihnen die Kraft, den Mut und auch den Willen zur Veränderung schenkt.

In diesem Sinne beende ich auch meine heutige Kolumne mit der denkwürdigen Aufforderung unseres Altbundeskanzlers Willy Brandt: Besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will.

Ihr Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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