Steigende Ungleichheit: 20% Reallohnverlust für Geringverdiener

Seit der Jahrtausendwende sind laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die realen Nettolöhne von Geringverdienern um 16 bis 22% gesunken. Auf alle Beschäftigten gerechnet sind die Nettogehälter in Deutschland zwischen 2000 und 2010 preisbereinigt um 2,5% zurückgegangen. Demnach ist der kräftige Aufschwung seit der Jahrtausendwende laut dem DIW-Verteilungsforscher Markus Grabka bei den meisten Erwerbstätigen nicht angekommen. Beschäftigte in der höchsten Einkommensgruppe verbuchten allerdings ebenfalls nur ein leichtes Plus von rund 1%. Die Gewinne sind also – allerdings mit einem deutlichen Gefälle – nahezu an allen Beschäftigten vorbei gegangen.

Profitiert haben vor allem die Unternehmensgewinne und die Vergütungen der Vorstandsmitglieder und Manager. So legte die Vergütung der Vorstandsmitglieder 2010 um 22% auf durchschnittlich 2,9 Millionen Euro zu, während die Arbeitnehmerlöhne nach Angaben des Statistischen Bundesamts nur um 2,7% zulegten, also nur knapp über der Teuerungsrate. Die Vergütung der MDAX-Vorstände stieg ebenfalls kräftig um 18% auf im Schnitt 1,55 Millionen Euro.

Ulrich Hocker, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), warnte kürzlich vor dieser steigenden Ungleichheit und vor neuen Gehaltsrekorden: „Die Vorstandsvergütung in den DAX-Unternehmen liegt insgesamt auf einem sehr hohen Niveau. (…) Wir sind der Überzeugung, dass Managergehälter über zehn Millionen Euro per anno nicht angemessen sind. Sie können den sozialen Frieden gefährden.“ Vier deutsche Manager liegen mit rund neun Millionen Euro nur noch knapp unter dieser Marke: VW-Chef Winterkorn, Deutsche Bank Chef Josef Ackermann, Peter Löscher von Siemens und Daimler-Chef Dieter Zetsche.

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger sieht nun aktuell den Handlungsbedarf bei der Bundesregierung, der er Untätigkeit vorwirft: „Es gibt Möglichkeiten, die Löhne zu stabilisieren. Doch die Politik interessiert sich nicht dafür.“ So sollten Arbeitnehmer bei den Sozialabgaben wieder stärker entlastet werden, indem die zuletzt stark profitierenden Unternehmen künftig wieder die Hälfte der Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung übernehmen. Eine solche Rückkehr zur Parität würde den Staat zudem keinen einzigen Cent kosten, so Bofinger.

Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit wiederum fordert einen gesetzlichen Mindestlohn. Im Niedriglohnsektor gebe es inzwischen Auswüchse, „die man beschäftigungspolitisch nicht rechtfertigen kann“, so Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
 

Dieser Trend einer sich immer weiter öffnenden Schere hatte Ende 2010 bereits die internationalen Arbeitsorganisation ILO konstatiert: Demnach gab es in keinem anderen Industrieland der Erde in dem letzten Jahrzehnt eine so negative Lohnentwicklung wie in Deutschland. Die Reallöhne seien in dem letzten Jahrzehnt nur in zwei Industrieländer gesunken: In Japan (-1,8%) und in dem Schlusslicht Deutschland (-4,5%). In allen anderen Industrieländern wären die Löhne hingegen gestiegen. Allen voran die Spitzenreiter Norwegen (+25,1%), Finnland (+22,0%) und Südkorea (+18,3%). Durch die Lohnzurückhaltung seien laut der ILO zwar die deutschen Unternehmen wettbewerbsfähiger geworden und die Managergehälter explodiert, die durchschnittlichen Beschäftigten und damit auch die private Nachfrage wurden hingegen deutlich geschwächt. Die Lohnentwicklung würde sich zudem nicht an der Produktivitätsentwicklung orientieren, wodurch die Einkommen umverteilt werden: Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen steigen, während das Einkommen der Arbeitnehmer sinken. Die ILO fordert daher, eine Produktivitätssteigerung auch mit Lohnzuwächsen einhergehen zu lassen und dem Trend zu mehr Geringverdienern und Niedriglöhnen entgegenzuwirken.

Die höchsten Managergehälter werden indes nach wie vor in den USA bezahlt: Disney-Chef Robert Iger erhielt 2010 umgerechnet 21 Millionen Euro.

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