Steuergerechtigkeit als Zukunftsinvestition – Kommentar von Prof. Dr. Gert G. Wagner

Der Kommentar von Prof. Dr. Gert G. Wagner, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), gibt die Meinung des Autors wieder. Der Beitrag wurde in dem Wochenbericht des DIW Berlin 28 / 2012 veröffentlicht.
 

Bis heute wird der Behauptung kaum widersprochen, dass die Staatsausgaben zu hoch sind. Umsetzbare Vorschläge, wo wirklich eingespart werden kann, gibt es allerdings nicht, sieht man von Einschnitten im Sozial- und Gesundheitsbereich ab. Völlig ausgeblendet wird, dass unser Vorschul- und Bildungssystem zunehmend unterfinanziert ist. Die öffentliche Infrastruktur ist teilweise in einem erbärmlichen Zustand. Sicher kann jeder ein Beispiel staatlicher Verschwendung nennen, aber ist punktuelle Verschwendung wirklich nur ein Problem des Staates? Gibt es nicht in jeder großen Organisation ein gewisses Maß an Verschwendung? Viele Beispiele aus Großkonzernen sprechen dafür.

Obwohl die Staatsausgaben aus guten Gründen nicht radikal heruntergefahren worden sind, wurden die Steuern gesenkt. Das hat zusammen mit den Folgekosten der deutschen Einheit und der Finanzkrise zu einem Anstieg der öffentlichen Schulden auf 81 Prozent des Bruttoinlandprodukts geführt. Diese Verschuldungsquote ist nun Anlass für eine neuerliche Ausgabensenkungsrhetorik. Befördert werden Forderungen nach Senkungen der Staatsausgaben von der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse. Wobei alle diese Diskussionen wohl auf weitere Senkungen der Sozial- und Gesundheitsausgaben hinauslaufen.

Aber es gibt inzwischen immer mehr Stimmen, die laut über Steuererhöhungen nachdenken. Denn angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre kann man genauso gut die Perspektive einnehmen, dass nicht die Ausgaben zu hoch, sondern die Steuern zu niedrig waren. Das ist in den Schichten der wirtschaftlichen Eliten und der meinungsbildenden Kreise natürlich keine Nachricht, die auf Begeisterung stößt. Aber es sollte aufhorchen lassen, dass es zunehmend Millionäre gibt, die für sich selbst höhere Steuern für gerechtfertigt halten. Dabei ist auch zu bedenken, dass in Deutschland die Einkommenszuwächse der letzten 15 Jahre weitgehend bei den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung gelandet sind, und die Verteilung entsprechend ungleicher geworden ist.

Was auch gerne vergessen wird: Die Staatsschulden wurden ja niemandem aufgezwungen, sondern Vermögende, die nach Anlagemöglichkeiten suchen, haben sich in der Regel freiwillig für das Zeichnen von Staatsanleihen entschieden. Man kann das auch so interpretieren: Vermögende, die von den Steuerentlastungen und der Umverteilung von unten nach oben in den letzten Jahre profitiert haben, waren froh, dass es die Möglichkeit gab, dem Staat Geld zu leihen.

Würde jetzt eine einmalige Vermögensabgabe eingeführt, könnte man diese auch als ausgleichende Gerechtigkeit interpretieren. Die Umverteilung von Einkommen, die insbesondere in den letzten zehn Jahren von unten nach oben stattgefunden hat, würde wieder teilweise rückgängig gemacht. Man beachte auch: Das Aufkommen vermögensbezogener Steuern macht in Deutschland weniger als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. In der OECD insgesamt liegt der Anteil doppelt so hoch. In Großbritannien bei über vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mit einer einmaligen Vermögensabgabe könnten zumindest die Staatsschulden zügig zurückgeführt werden, die auf diverse Rettungsaktionen zurückgehen und manch einen Vermögensbesitzer bisher vor Verlusten bewahrt haben – zu Lasten aller Steuerzahler. Das würde Spielraum für dringend notwendige Investitionen in die öffentliche Infrastruktur wie zum Beispiel Vorschulen, Schulen und Hochschulen schaffen, und von fast der gesamten Bevölkerung als gerecht angesehen. Ob bei der Einkommensteuer ein Spitzensteuersatz von 75 Prozent – wie er in Frankreich im Gespräch ist – durchsetzbar und klug wäre, steht keineswegs fest. Aber in den 50er Jahren hat ein solch hoher Satz die wirtschaftliche Entwicklung in den USA jedenfalls nicht geschwächt. Statt einer Kürzung der Staatsausgaben dürften Steuererhöhungen für prosperierende Länder wie Deutschland eine sinnvolle Zukunftsinvestition sein.

 

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