Teil 4: Das Redigiersystem. Wie bearbeitet man den Rohtext

Die Interviewreihe zu "Briefe optimieren – In 30 Tagen zum perfekten Werbebrief" mit Stefan Gottschling, einer der Spezialisten für verkaufsstarke Texte und Inhaber des SGV-Verlags, spricht die zentralen Punkte beim "Schreiben" an. Bis jetzt wurden folgende Themen behandelt: (Geschäfts-)Briefe allgemein (1. Teil), Struktur und Konzept (2. Teil) und Schreibblockaden & mehr (3. Teil). Im Teil 4 geht es um die Fragen, wie funktioniert diese Optimierung, wo kommt das System her und ob´s nicht ein wenig zu technisch gedacht ist.

 

Gestern ging´s um den Weg vom Rohtext zum Reintext, und wir hatten uns vorgenommen die Bearbeitungsschritte ein bisschen genauer anzusehen. Wie gehen Sie an einen Rohtext heran, Herr Gottschling?

In ganz klaren Schritten, um Schwachstellen dingfest zu machen. Wissen Sie, wenn man die Arbeit von Profischreibern analysiert, dann arbeiten Profis – oft intuitiv – Regeln ab. Sie kürzen Sätze, kürzen oder tauschen Wörter und, und, und. Diese Regeln haben wir wieder gefasst und Werkzeuge draus gemacht. Spannend ist: für viele dieser vermeintlich intuitiven Regeln gibt´s handfeste Belege aus der Stilkunde, der Verständlichkeits- und der Lesbarkeitsforschung.

Können Sie uns einige dieser Werkzeuge konkreter beschreiben?

Ein einfaches Werkzeug ist zum Beispiel das Kennzeichnen zu langer Sätze. Natürlich haben wir da vorher eine Optimallänge definiert. Oder Sie wurde in der Verständlichkeitsforschung festgelegt. Es gibt also für jedes Optimierungswerkzeug ein Benchmark. Und anhand dieser Wegmarken kennzeichnen wir zunächst alles, was aus diesem Raster fällt.

Ein einfaches Beispiel: Ein Werbebrief oder eine Verkaufs-E-Mail ist ein schriftliches Verkaufsgespräch. Jetzt gibt es aus der Forschung eine so genannte Obergrenze für gesprochene Texte, die bei 14 Wörtern pro Satz liegt. Mehr können wir uns selten merken. Und wenn wir jetzt einen Text vor uns liegen haben, kennzeichnen wir alle Sätze, die länger sind als 14 Wörter.

Ist das nicht sehr technisch gedacht?

Wenn wir uns darauf versteifen würden, ja. Aber wir verstehen das nicht als Korrektur. Was wir kennzeichnen, ist nicht „falsch“. Redigiersysteme geben einen Hinweis, den ich als Texter eben je nach Kontext und Medium befolgen kann. Nicht muss.

Viele Sätze haben übrigens ca. zwanzig Wörter. Durch das Kennzeichnen werden einem aber oft Tendenzen in der eigenen „Schreibe“ klar. Und man kann ganz bewusst entscheiden: Will ich optimieren oder lasse ich meinen langen Satz stehen, weil er besser ist oder besser in den Kontext passt? Denn natürlich muss nicht jeder Satz ins Schema gepresst werden. Aber man geht dann bewusster mit Sprache um.

Wie viele dieser Schritte gibt es denn?

Je nachdem, wie viele solcher Schritte Sie als Texter, Redakteur, Unternehmen einhalten wollen. In der Regel setzen wir je nach Medium oder Aufgabe 7 bis 20 solcher Werkzeuge ein, um Schwachstellen dingfest zu machen. Redigiersysteme in Redaktionen sind am oberen Ende der Skala. Da werden oft Unwortlisten dazu gepackt, Wiederholungen gekennzeichnet, Passivkonstruktionen als NoGo aufgenommen und, und, und. Wenn Sie aus einem Redigiersystem einen Styleguide für ein Unternehmen entwickeln, da versucht man tendenziell viele Werkzeuge einzubauen und mehr Hinweise zur „Zielsprache“ zu geben. Aber wir wollen morgen ja noch ein wenig konkreter werden.

Vielen Dank. ich denke, es waren wieder einige hilfreiche Punkte für unsere Leser mit dabei. Morgen hören wir uns dann zum Teil 5 mit weiteren Informationen zum Redigiersystem.

 

Das Interview mit Stefan Gottschling führte Oliver Foitzik (AGITANO / FOMACO GmbH).

 

P.S. Das Buch zur Interviewreihe finden Sie hier.

 

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