Triumph des Mittelmaßes – Zur Plagiatsaffäre Guttenberg

Triumph des Mittelmaßes

 

Die Plagiatsaffäre Guttenberg wird zum Sinnbild für die Diktatur der Mittelmäßigkeit und der moralinsauren Scheinheiligkeit.

 

Jetzt haben sie es endlich geschafft, die selbst ernannten Hüter der Moral, die Unheilspropheten des alten Deutschen Testaments, die Protagonisten des Mittelmaßes und ihr willfähriges Sprach-rohr, die veröffentlichte Meinung. Nach zwei Wochen musste die zeitweilig vielversprechendste Gestalt am deutschen Politikerhimmel abtreten. Zu weit hat er die anderen überragt, zu sehr ist er wohltuend aus ihnen herausgestochen, als dass sie es sich widerspruchslos hätten gefallen las-sen können. Zu durchsichtig sind denn auch die Beweggründe der Drahtzieher einer der bislang wohl bemerkenswertesten politischen Schmutzkampagnen der Nachkriegsgeschichte. Dabei geht es nicht um Herrn zu Guttenberg. Dass er sich eines nicht geringfügigen Fehlverhaltens schuldig gemacht hat und daraus die Konsequenzen ziehen musste, ist am Ende nicht tragisch. Er wird nach angemessener Schamfrist mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder aus der politischen Versen-kung auftauchen und geläutert unter dem Mantel des Vergessens seinen Weg neu beschreiten.

Tragisch ist jedoch die Art und Weise des Umgangs mit dem Menschen und der Situation, die dem Ansehen der Politik in Deutschland sicherlich mehr geschadet hat, als der Sachverhalt an sich. Stil wäre gewesen, Herrn zu Guttenberg, ohne öffentlich vorgetragene, scheinheilige, Empö-rung, zur Rede zu stellen und für einen dem Amt würdigen, unspektakulären Abgang zu sorgen. Das wäre die Aufgabe der politischen Führung gewesen – egal welcher Partei und in welchem Amt, einschließlich der Kanzlerin. Es ist schon bemerkenswert, dass eine Universität erst rekla-miert, Wochen zu brauchen, um eine Untersuchung des Falls vorzunehmen und sich dann nicht genug beeilen kann, ihren unangenehm gewordenen Vorzeigeschützling loszuwerden. Dass sich dann auch noch ausgerechnet die Universität Bayreuth und sein Doktorvater ob seiner Misseta-ten entrüsten, gibt dem Ganzen schon wieder eher eine komische Note. Wer, wenn nicht sie, sind verantwortlich für die wissenschaftliche Qualitätssicherung der Arbeiten ihrer Schüler? Wenn unter ihrem Patronat ein zweifelhaftes Machwerk entstanden ist, dann wirft das ein bezeichnen-des Licht auf sie selbst. Schließlich ist ein „summa cum laude“ nicht nur eine einfache Abseg-nung, sondern die bestmögliche Wertung einer Promotionsleistung. Der ganze akademische El-fenbeinturm wurde schlicht durch die Ereignisse getrieben und hat mehr oder minder unbeholfen reagiert anstatt zu agieren. Die Universität Bayreuth muss sich heute fragen lassen, ob dort nicht Name und Amt wesentlich mit über die Großzügigkeit entscheiden, mit der akademische Würden verteilt werden.

Tragisch ist am Verlauf des ganzen Verfahrens auch, dass der Frage einer korrekten Dissertation mehr öffentliche Aufmerksamkeit gewidmet wurde, als den toten deutschen Soldaten in Afghanis-tan. Dort sterben heute mehr junge deutsche Menschen im Dienst der Bundesrepublik als je ir-gendwo nach dem zweiten Weltkrieg. Gleichzeitig steht die Bundeswehr vor der größten Reform seit ihrem Bestehen. Es ist zu befürchten, dass dieses einzige wirkliche Reformvorhaben dieser Bundesregierung nun ebenso zum Reförmchen verkommt, wie es bei den großen und wichtigen Themen Steuern, Gesundheit und Alterssicherung der Fall war. Die hauptamtlichen Beden-kenträger, die mehr Schwierigkeiten sehen als Lösungen, treten schon wieder in den Vorder-grund. Zu den Unkenrufen gehört etwa, dass die Bundeswehr nicht genügend und keine qualifi-zierten Leute mehr bekommt und deshalb zum Schmelztiegel für die soziale und intellektuelle Unterschicht wird. Willkommen in der Gegenwart. Das ist heute schon Alltag in der Wirtschaft und in der Industrie. Es sollte zum Nachdenken anregen und dazu, die oben genannten brennenden politischen Themen wirklich anzugehen. Stattdessen wird nun, wenn wir Pech haben, auch die Bundeswehrreform bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, so dass am Ende nichts dabei heraus kommt. Dann behielten die Unkenrufer wieder die Oberhand, die Herrn zu Guttenberg vorhalten, er habe zwar vieles angestoßen, aber noch nichts zu Ende gebracht. Wenigstens hat er ange-stoßen. Es ist das Wesen jeder Erneuerung, dass am Anfang nie vollständig vorhersehbar ist, auf welche Schwierigkeiten man auf dem Weg stößt. Es ist jedoch auch die Tragik der lobbylastigen deutschen Politik, dass sie lieber in Totenstarre verharrt, als notwendige Veränderungsprozesse in Gang zu setzen.

Zu hoffen bleibt, dass mit zu Guttenberg nicht der letzte profilierte Vertreter des politischen Be-triebs verschwunden ist, nachdem sich nun das Establishment des Mittelmaßes erfolgreich seiner entledigt hat. Nicht nur Deutschland steht vor Herausforderungen, die Politiker erfordern, die den Mut haben, zuzupacken und auch heiße Eisen anzufassen. Die grundlegende Reform unserer Sozialsysteme muss uns bald gelingen und wir müssen neue, vielleicht unkonventionelle Wege beschreiten, um dem demografischen Wandel Herr zu werden. Da helfen keine Unheilsprophe-ten. Es wird Zeit, dass wir die entschlossenen Protagonisten eines neuen deutschen Testaments finden und wählen, die uns nach vorne bringen.

 

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