Über Handy-Zombies und tödliche Kurznachrichten

Handy-Zombies, wohin man blickt. Sie torkeln durch die U-Bahn und stoßen sich die Köpfe an Laternenmasten. In China gibt es bereits eine Extra-Spur für die Handy-Zombies, die sich nicht für eines entscheiden können: Gehen oder Simsen. Welche Folgen das vermehrte Aufkommen der Handy-Zombies für deren Gesundheit und die der Allgemeinheit hat und wie Politik und Gesellschaft der Problematik Herr zu werden versuchen, beschreibt Ulrich B Wagner in seinem heutigen Beitrag zu seiner wöchentlichen Kolumne “QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag”.

Wenn der Hans zur Schule ging,
Stets sein Blick am Himmel hing.
Nach den Dächern, Wolken, Schwalben
Schaut er aufwärts allenthalben:
Vor die eignen Füße dicht,
Ja, da sah der Bursche nicht,
Also daß ein jeder ruft:
„Seht den Hans Guck-in-die-Luft!“ …

Einst ging er an Ufers Rand
Mit der Mappe in der Hand.
Nach dem blauen Himmel hoch
Sah er, wo die Schwalbe flog,
Also daß er kerzengrad
Immer mehr zum Flusse trat.
Noch ein Schritt! und plumbs! der Hans
Stürzt hinab kopfüber ganz! – …

(Wilhelm Busch)

 

Hans-Guck-in-die-Luft war gestern

Das waren wirklich noch Zeiten, als wir Muße, Laune und Entspannung fanden, als wir verträumt und wohlgesonnen gen Himmel blickten, während wir „einfach so“ gingen und uns so im öffentlichen Raum als Fußgänger vorwärtsbewegten. Aus und vorbei. Unsere Schultern sind unter der Last der Kommunikation schwer nach unten gebeugt, unser Blick ist schlaff und müde aus den ehemals unendlichen Höhen des Himmels einzig auf den harten Boden der vermeintlichen digitalen Tatsachen gerichtet. Die Finger tippen, die Augen flirren, unsere Motorik trunken und vollkommen aus der Balance geraten, vollführt mit einem ausgesprochen unberechenbaren Schlenkern einen schleppenden Gang durch unser irdenes Sein. Lebende Tote bevölkern die Bürgersteige der Nation: Handy-Zombies.

Situationen, die uns allen, von uns selbst oder von Begegnungen der dritten Art am Abend, im täglichen Wahnsinn bekannt sind: die Türen der S-Bahn öffnen sich, und genau vor einem setzt sich der werte Fahrgastkollege, wie ein betäubter Zombie taumelnd, aufreizend langsam, mit ungleichmäßigem Schritt und unbestimmter Gehrichtung vor einem in Bewegung, sollte er uns nicht noch zu allem Überdruss mitgerissen haben.

Handy-Zombies haben verminderte Gehfähigkeit und bewegen sich wie Roboter

Die Hirnforscherin Siobahn Schabuhn der Universität von West-Sydney ist in ihren Studien zu dem Ergebnis gekommen, dass das SMS-Schreiben auf einem Mobiltelefon (von Handyspielen ganz zu schweigen) die Gehfähigkeit und das Halten des Gleichgewichts stark beeinträchtigt. Laut der Aussage der Forscherin bewegen sich diese Handy-Zombies wie Roboter. Handy-Zombies halten das Telefon und bewegen alles parallel, damit es nicht so wackelt und ihre Augen sich auf das Mobiltelefon fokussieren können. Was dann die oben bereits beschriebene extrem gestörten Motorik zur Folge hat. Abermillionen Menschen weltweit sind gerade zu Handy-Zombies geworden, vielleicht auch Sie in diesem Moment, wenn Sie begeistert auf Ihrem Smartphone, als Gefahr für sich und ihre Mitmenschen, diese Kolumne lesen.

Glaubt man gar einer in der Zeitschrift Accident Analysis and Prevention erschienenen Studie von Wissenschaftlern der Ohio State University aus den USA, die dafür eine Datenbank ausgewertet haben, in der Verletzungsfälle aus 100 Krankenhäusern gesammelt wurden, hat sich die Zahl der zu versorgenden Köpfe, die nach unaufmerksamen Gehen gegen einen Laternenpfahl stießen, auf das Dreifache erhöht. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich im Jahr 2010 mehr als 1.500 Fußgänger Verletzungen, die in Krankenhäusern behandelt werden mussten, beim Gehen zuzogen, während sie ein Handy nutzten. Das wären fast drei mal so viele wie 2004, als 559 Verletzte gezählt wurden. Der Anstieg ist deshalb beeindruckend, weil sich ansonsten die Zahl der verletzten Fußgänger von 97.000 im Jahr 2004 auf 41.000 2010 mehr als halbiert hat, wie heise online berichtete.

Extra-Gehspur für Handy-Zombies in China

Die eine oder andere Kurznachricht an den Liebsten oder die Liebste kann sogar tödlich sein, wie es das Beispiel einer jungen Frau aus Japan zeigt. Erst kürzlich starrte sie freudig tippend mehr auf ihr Handy als auf die vor ihr liegende Bahnsteigkante. Okay, 20 Prozent der Handynutzer tun dies unverdrossen tagein und tagaus. Was allein in Deutschland pro Tag circa 7,4 Millionen Handy-Zombies ausmacht, die dreiviertelblind durch ihr Leben torkeln. Überträgt man diese Zahlen auf die Volksrepublik China, in der mittlerweile mehr als 90 Prozent der Bevölkerung von 1,3 Milliarden ein Handy besitzen, tun sich wahre Abgründe auf. Oder wie es die FAZ auf den Punkt brachte: In diesen Breitengraden wird es daher nicht nur eng in den zur Verfügung stehenden Mobilfunknetzen, sondern vor allem auch auf den Gehwegen der Nation: Ein hohes Aufkommen an Handy-Zombies ist zu verzeichnen.

In der großen West-Metropole Chongqing haben die Verantwortlichen daher, Berichten zur Folge, extra einen eigenen Handy-Weg für Fußgänger eingeführt. Für die Handy-Zombies wurde speziell eine Spur zwischen Fahrbahn und Fußgängerweg mit weißen Streifen ausgewiesen. Es mag müßig erscheinen, sich zu fragen, wie die Handy-Zombies, die Dank des Blicks und des Tippens auf ihr so liebgewonnenes Mobiltelefon, gegen Laternenpfähle laufen und vor einfahrende Züge stürzen, sich allen Ernstes auf das Gehen in einer weiß markierten Zone beschränken sollten.

Woher, fragte die FAZ daher, haben die Chinesen wohl diese grandiose Idee, um im gleichem Atemzug auch die Antwort zu liefern: Sie haben kopiert. Und dies in gewohnter Manier. Wahrscheinlich war einer dieser Kerle aus China im Juli dieses Jahres in Washington, wo auf die Initiative eines Fernsehsenders zur Untersuchung des menschlichen Verhaltens im öffentlichen Raum eine der ersten Handy-Trassen in der 18ten Strasse eingerichtet wurde. Oder in Philadaphia, wo bereits 2012 eine solche Trasse ausgewiesen wurde. Das stellte sich später allerdings als Aprilscherz heraus. Daraufhin wurde ein Handyfoto als Vorbild in die chinesische Heimat geschmuggelt. Sei’s drum… Wahrscheinlich reagieren sie nur auf den boomenden Markt, denn allein ein zehn prozentiger Anstieg der Handyverbreitung in Entwicklungsländern würde ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozentpunkten ausmachen.

Fahrlässige Handynutzung mit unabsehbaren Folgen

Die Folgen dieser unachtsamen Handynutzung sind jedoch nichtsdestotrotz enorm. Schaut man sich nur die gestrige Schlagzeile der BILD-Zeitung an: Ich steige mit Wiese in den Ring… SPD-Politiker fordert Torwart zum Wrestling-Kampf – für den guten Zweck, möchte man sich fragen, wie oft sich wohl der gute Matthias Illgen, seines Zeichens Bundestagsabgeordneter der altehrwürdigen SPD, in sein Handy vertieft, seinen Kopf an irgendeinem schönen Laternenpfahl unserer Republik anschlug. Von dem ehemaligen Torwart von Werder Bremen, TSG Hoffenheim und der deutschen Nationalmannschaft ganz zu schweigen. Bei dessen Anblick möchte man sich wirklich nur fragen, ob er sich beim letzten Tankstopp beim Simsen versehentlich das Ventil des Kompressors zum Reifenaufpumpen in den Allerwertesten gesteckt hat.

Lassen wir es dabei …

Vielleicht sollten wir am Ende des Tages wenigstens für uns die Moral aus der Geschichte lernen und nur das eine oder andere machen: Gehen oder Handy.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gesunde Kommunikation

Ihr
Ulrich B Wagner

Lesen Sie auch die vorherigen Beiträge zur Kolumne “QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag” von Ulrich B Wagner:

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(Foto: © Ulrich B. Wagner)

Über Ulrich B Wagner

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema  „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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