Wehrt Euch! Leben auf Facebook – oder Willkommen in der Wirklichkeit

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Netzwerk für Demokratie und Courage – gegen Menschenverachtung und Rassismus. (Screenshot von www.netzwerk-courage.de)

Facebook hat in den vergangenen Wochen Schlagzeilen gemacht – und zwar keine positiven. Immer häufiger wird das Netzwerk dazu genutzt menschenverachtendes, volksverhetzendes und fremdenfeindliches Gedankengut zu verbreiten. Trotz Hinweisen tut Facebook: Nichts – mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit und sieht die User in der Verantwortung.

Ulrich B Wagner regt das auf. Denn er sieht Facebook als Kommunikationsraum, den es zu schützen gilt. Darum dreht sich heute seine Kolumne „QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag“.

Es kann einer in seinem zwanzigsten Lebensjahr noch glauben, dass das Königreich Preußen eine Insel sei, und deswegen doch ein in allem Betracht trefflicher Mensch sein. Ich habe einen solchen gekannt.

Georg Christoph Lichtenberg

Das Naive als natürlich ist mit dem Wirklichen verschwistert.
Das Wirkliche ohne sittlichen Bezug nennen wir gemein.

Johann Wolfgang von Goethe

Illusionen ade

Einverstanden: Ich bin beileibe nicht mehr Mitte zwanzig, Preußen ist längst vergessen und doch, warum soll man nicht einmal träumen dürfen?

Sind unsere Träume nicht immer auch die Orte unserer Sehnsüchte und unseres Begehrens?

Einverstanden: Vielleicht bin auch ich einfach nur naiv? Sei’s drum. Naivität, der Glaube an das vermeintlich Gute, das Wahre und Schöne ist der Ort, an dem die Kreativität aufblüht, Kunst entsteht, große Literatur geboren wird. Der Wunsch, dass alles gut wird, die Welt friedlich, tolerant, offen und ein Platz für alle Menschen, bis auf einige Ausnahmen natürlich. Doch davon gleich noch mehr.

Lassen Sie mich kurz im Traum verweilen, an einem Ort der Ruhe, der Entspannung und der offenen Kommunikation, ohne ständige Wachsamkeit, in einer Form der geschützten, offenen Privatheit, einer geteilten Intimität und des guten Gefühls zu Hause unter Freunden zu sein.

Bin ich naiv?

Okay, mögen Sie einwenden, was ist auch schon von jemanden zu erwarten, der bei jedem Abendrot schmunzeln muss und ein Lächeln auf die Lippen gezaubert bekommt, bei dem in jeder normalen Polizeikontrolle nachgefragt wird, ob er irgendetwas geraucht hat? Als ich ein kleiner Junge von nicht einmal vier Jahren war, erzählte mir mein Vater eines Abends auf dem Nachhauseweg, beim Anblick des wundervollen Abendrots, diese Geschichte von vielen, kleinen, fleißigen Engeln, die Plätzchen für Weihnachten in den Backofen schieben. Ich liebe diese Geschichte immer noch und sie verzaubert mich, obwohl dort oben mit Gewissheit anderes passiert als eine große Weihnachtsbäckerei.

Bin ich deshalb dumm, naiv und vollkommen blauäugig? Ich denke, es ist mir egal am Ende des Tages… es tut mir einfach gut.

Willkommen in der Realität

Irgendwann kommen wir alle in der Realität an. So oder so. Das Leben ist mit Gewissheit nicht immer schön, fair, solidarisch, menschenfreundlich, von Freiheit, echter Freiheit, Toleranz und Gleichheit ganz zu schweigen. Und doch!? Springe ich deshalb gleich in den Main? ….

Willkommen in der Wirklichkeit. Facebook wird erwachsen und wir mit diesem sozialen Netzwerk.

Ich hatte es mir gewünscht und ist der Wunsch nicht immer auch….?

Rechte Hetze bei Facebook

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Hasskommentare auf Facebook. (Screenshot von facebook.com)

Facebook ist kein geschützter Kommunikationsraum, keine Küche in der WG, kein entspanntes Plaudern unter Freunden, kein Abschalten und Loslassen, geschweige denn ein arschlochfreier Raum, ein Raum unter Gleichgesinnten, in dem man nicht einfach nur so sein darf, wie man ist und sich sicher und fern von Rassismus, Unterdrückung und Verlogenheit seine Freizeit verbringen kann. Warum sollten virtuelle Räume auch anders sein als die Wirklichkeit?

Vielleicht war es mein Wunsch, vielleicht auch ein wenig Bequemlichkeit, einen Ort gefunden zu haben, an dem zumindest über das Grundlegende, das was eine offene, tolerante und moderne Zivilgesellschaft im Kommunikationszeitalter 3.0 ausmacht.

Letzte Woche schrieb ich in meiner Kolumne noch über den Tod und das Foto des dreijährigen ertrunkenen syrischen Flüchtlingskindes Aylan Kurdi, das in den vergangenen zwei Wochen weltweit für Bestürzung gesorgt hat. Die Leiche des Jungen war am Mittwoch am Strand im türkischen Bodrum angespült worden. Die Solidarität und Anteilnahme war groß und doch gab es Menschen, die unfassbar menschenverachtende Kommentare posteten. So wurde, um nur das bekannteste Beispiel anzuführen, laut Berliner Polizei ein Facebook-Posting mit dem Bild von Aylan veröffentlicht, in dem stand: „Wir trauern nicht, sondern wir feiern es.“

Es ist widerlich und mit Worten nicht zu fassen. Und jetzt?

Neonazis weiter auf Facebook aktiv

Immer wenn es besonders menschenfeindlich wurde, dann tat der Mann hinter der Facebook-Seite „Berlin wehrt sich“ gern eines: Er feierte. Er „feierte“, so schrieb er, das berühmte Foto des toten Flüchtlingsjungen Alan. Für diesen Kommentar stürmten Polizisten am Wochenende die Wohnung des mutmaßlichen Verfassers. Schon zuvor „feierte“ er den Berliner Neonazi, der in der S-Bahn auf Roma-Kinder urinierte. Man kann das alles nachlesen, denn die betreffende Facebook-Seite ist weiter online. Der Post mit dem Jungen wurde von Facebook gelöscht, nachdem die Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“ den Fall aufgegriffen hatte. Der Rest der Hetze bleibt, trotz vieler Löschaufforderungen, bislang im Netz. Es gibt deshalb heftige Proteste gegen das Netzwerk – mal wieder.

Hat sich etwas geändert?

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Manches sieht Facebook sofort – bei der rechten Hetze sind die Nutzer aber in der Pflicht. (Bild: © Ulrich B Wagner & Alistair Duncan / alistairduncan.de)

Die Facebook-Nutzer in der Pflicht?!

Alles geht weiter wie bisher. Facebook macht keine Anstalten etwas proaktiv dagegen zu tun und verweist dagegen auf die Verpflichtung der User, also uns. Es ist eine Aufforderung an die Community, endlich erwachsen und demokratisch zu streiten, oder eben als bequeme „Wir-halten-uns-da-raus“-Haltung. Mit Sicherheit bedeutet es jedoch Facebook sieht zu 100 Prozent die Nutzer selbst in der Pflicht, wie DER SPIEGEL mit Recht konstatierte.

Ich frage mich dann allen Ernstes nur, warum mich dann nicht gebraucht haben, um Strandselfies zu zensieren? Das ging ja auch ganz ohne die User in die Pflicht zu nehmen. Sei’s drum.

Ist Aussteigen die Lösung?

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„Dreck gehört in die Tonne“, wie Katrin Göring-Eckardt diese Woche richtig feststellte. (Bild: © Ulrich B Wagner & Alistair Duncan / alistairduncan.de)

Also doch keine Freizeit, kein arschlochfreier Raum, kein Raum, keine Community, in der ich mich darauf verlassen kann, dass Rassisten, Gewaltverherrlicher und sonstige verblendeten Psychopathen ausgeschlossen werden und man zumindest hier im virtuellen Raum seine Ruhe von diesen kranken Arschlöchern hat!

Warum bist Du dann noch hier?, musste ich mich die letzte Woche daher sehr häufig fragen. Schalte ich Facebook einfach aus? Schmeiß es in die Tonne, mach den Deckel zu und das war es halt? Wofür also die ganze Aufregung? Was bringt mir Facebook eigentlich?

Brauche ich es wirklich? Anfang der Woche habe mich abgemeldet, aus Zorn, Verärgerung und Frust. Passiert ist nichts, geändert hat sich nix. Vielleicht hatte ich ein wenig mehr Zeit, doch das gehört in einen anderen Kontext.

Habe ich dadurch etwas verändert? Mit Gewissheit nicht.

Können wir überhaupt etwas verändern und wenn ja – wie?!?

Aussteigen, abmelden ja, überlasse ich dann aber nicht diesen Idioten kampflos einen Ort, an dem ich wirklich mit „Freunden“ (wie auch immer dieses Wort definiert werden sollte) offen kommunizieren konnte, Menschen treffen konnte, Ansichten, Freude, Liebe, Glück und auch Sorgen teilen konnte?

Okay, die Lebenswirklichkeit ist voll von Radikalen, Faschisten, Rassisten, Glaubenskriegern, ISIS Sympathisanten und sonstigem Gesindel. Ich weiß! Ich muss nur durch die Stadt gehen, um es am eigenen Leib zu fühlen. Deshalb gehe ich aber auch noch lange nicht in die Eckkneipe und trinke mein Feierabendbier mit Neonazis oder esse meinen Döner mit menschenverachtenden Andersgläubigen, die ihren Glauben dafür benutzen, um ihre Minderwertigkeitskomplexe zu vertuschen, womit sie schon eine weitere Gemeinsamkeit mit ihren deutschen Brüdern von rechts haben.

Wehren wir uns!

Ich suche mir meine Kneipe, mein Café, mein Restaurant aus, in dem ich verkehre und in dem ich mich wohlfühle. Sollten solche Kreaturen dieses plötzlich bevölkern, spreche ich auch mit dem / der Besitzer/in und falls dann nichts passiert, geh ich halt nicht mehr hin. So einfach ist es.

Wie sollen wir uns wehren. Es nur melden? Warum nicht mehr? Haben wir Angst vor Reaktion dieser Menschen? Verstecken wir uns? Glauben wir allen Ernstes, es reicht, unsere abgetragenen Klamotten Flüchtlingen am Bahnhof zu schenken, ein paar Kerzen anzuzünden für den Weltfrieden?

Ja, sie lieben es, wenn wir Angst vor ihnen haben. Sie brauchen es.

Das sollte uns jedoch nicht davon abhalten, sie von dort zu vertreiben, wo wir sind.

Ich lasse mich nicht vertreiben!

Ich für meine Person hatte eine Woche Facebook-frei ….
Es hatte seine Vorteile und doch habe ich auch vieles vermisst, Freunde, Neuigkeiten, einfach einen entspannten Plausch zwischendurch oder am Feierabend.

Ich will es zurück. Jetzt und sofort.

Das Gefühl, dass es geht solche Orte zu haben und sie dann auch zu verteidigen.

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Ein Profilfoto, das sich gegen Rassismus auf Facebook wehrt, als Lösung? (Bild: © Ulrich B Wagner)

Ich melde mich, wenn ich diese Kolumne geschrieben habe, trotzdem wieder an und vielleicht finden wir ja gemeinsam Mittel und Wege, es sowohl den Herren und Damen bei FACEBOOK, aber auch den Rassisten zu zeigen, dass wir dies in dieser Form weder tolerieren noch akzeptieren. Es fängt meist im Kleinen an und entwickelt sich dann zur Katastrophe. Ich will nicht dabei sein.

Vielleicht können wir es schlicht und einfach dadurch ausdrücken, indem wir alle solidarisch unser Profilbild so ändern, dass es ein klares Statement gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und antidemokratisches, totalitäres Gedankengut verkündet.

Ich probiere es einfach mal aus die nächsten vier Wochen. Die Hoffnung stirbt zum Schluss. Ansonsten melde ich mich halt dann richtig ab. Freunde finde ich auch woanders?…

In diesem Sinne, wünsche ich uns allen mehr Mut zur Zivilcourage und zum Widerstand!

Ihr
Ulrich B Wagner

Über Ulrich B Wagner

Ulrich Wagner
QUERGEDACHT & QUERGEWORTET – Das Wort zum Freitag (Foto: © Ulrich B. Wagner)

Ulrich B Wagner (Jahrgang 1967) ist Diplom-Soziologe, Psychologe, Schriftsteller und Kolumnist. Sein Studium der Soziologie, Psychologie & Rechtswissenschaften absolvierte er an der Johann Wolfgang von Goethe Universität, Frankfurt am Main. Zusammen mit Professor Karl-Otto Hondrich arbeitete er am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften an einer Reihe von Forschungsprojekten zum Thema „Sozialer und kultureller Wandel“.

Ulrich B Wagner ist Dozent an der european school of design in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt  Kommunikationstheorie, Werbe- und Konsumentenpsychologie, sowie Soziologie und kultureller Wandel und arbeitet als Berater sowie systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikation und Konzeptentwicklung, Begleitung von
Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Mail ulrich@ulrichbwagner.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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