Zu Fuß! – ein Versuch über das Gehen

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.

Heute:   Zu Fuß! – ein Versuch über das Gehen …
oder: Fortbewegung als Ideenfindung

    Es ist ein ständiges zwischen allen Möglichkeiten eines menschlichen Kopfes Denken
und zwischen allen Möglichkeiten eines menschlichen Hirns Empfinden
und zwischen allen Möglichkeiten eines menschlichen Charakters Hinundhergezogenwerden.

(Thomas Bernhard)

    Wenn Du durch die Hölle gehst, geh weiter!
(Winston Churchill)

Schopenhauer tat es gemeinsam mit seinem stadtbekannten weißen Pudel auf den täglichen Ausflügen im Frankfurter Grüngürtel. Johann Wolfgang von Goethe verdankte ihm seine besten Eingebungen. Karl Marx tat es, als er Das Kapital schrieb, in Form seiner nicht enden wollenden Umkreisungen seines Schreibtisches in der Londoner Wohnung, solange, bis der Teppich Löcher bekam. Und Thomas Bernhard widmete ihm 1971 sogar ein ganzes Buch: Dem Gehen. Mit solch legendären Formulierungen wie: Sie ändern Ihre Gewohnheit, sagt Oehler, indem Sie jetzt nicht nur am Mittwoch, sondern auch am Montag mit mir gehen, und das heißt jetzt abwechselnd mit mir in die eine (in die Mittwochs-) und in die andere (in die Montags-) Richtung, während ich meine Gewohnheit dadurch ändere, dass ich bis jetzt immer Mittwoch mit Ihnen, Montag aber mit Karrer gegangen bin, jetzt aber Montag und Mittwoch, und also auch Montag, mit Ihnen gehe, und also mit Ihnen Mittwoch in die eine (in die östliche) und Montag mit Ihnen in die andere (in die westliche) Richtung.“

Thomas Bernard spielt in seiner Erzählung Gehen mit den Worten, spannt sie, und durch die Wiederholungstechnik „scheint sich die literarische Rede kaum von der Stelle zu bewegen, kreist um einzelne Wörter, staut sich an bestimmten Punkten und setzt sich obsessiv daran fest“, wie es Manfred Mittermayer von der Universität Salzburg einmal nannte. Und doch schafft das Gehen irgendwie Linderung. Auch wenn die Hauptfigur Oehler am Ende der Erzählung den Zusammenhang von Gehen und Denken als einen eigentlich ungünstigen beschreibt, da er Karrer und Oehler während ihrer wöchentlichen Spaziergänge in einen geistigen Erschöpfungszustand getrieben hätte: „Dass diese Praxis, Gehen und Denken zu der ungeheuersten Nervenanspannung zu machen, nicht längere Zeit ohne Schädigung fortzusetzen ist, hatten wir gedacht, und tatsächlich haben wir ja auch die Praxis nicht fortsetzen können, sagt Oehler. Karrer hat daraus die Konsequenzen ziehen müssen“.

Was hat es nun auf sich mit dem Gehen? Was will uns der Kolumnist an dieser Stelle überhaupt sagen, mögen Sie denken. Hat er sich verrannt, mit seinen Ausführungen über Thomas Bernhard? Hat er sich gar verlaufen und findet den Weg nicht mehr zurück zum Thema?

Am besten gehe ich wohl mit gutem Beispiel voran und drehe ein paar Runden im Kurpark. Und siehe da. Beim Gehen, der Heureka – Moment! Ich habe es gefunden. In meinem Sinne den verlorenen roten Faden.

An anderer Stelle schrieb Thomas Bernhard nämlich in seinem Werk die wunderbaren Zeilen, die mich ursprünglich zu dieser Kolumne verleitet haben: „Diese Feststellung machen wir immer wieder, dass, wenn wir gehen und dadurch unser Körper in Bewegung kommt, dann auch unser Denken in Bewegung kommt.

Bereits zu den Zeiten der alten Griechen war die Beziehung zwischen Gehen und Denken bekannt. Aristoteles pflegte inmitten einer Gruppe von Schülern und Diskutanten in den Wandelhallen Athens umherzugehen und seine philosophische Denkschule abzuhalten. Man nannte die Gruppe deshalb die Peripatetiker (griech. peripatein, umherwandeln). Auch wissen wir, wie einführend angeführt, dass Dichter und Denker seit ewiger Zeit im ständigen Auf- und Abgehen ihre besten Werke erschufen (Joachim Zischke, Dialogus Magazin, 10/2011). Die alten Mönche schufen in ihren Klöstern spezielle Wandelhallen, in denen sie gehend ihren kontemplativen Gedanken nachgehen konnten.

Verdammt noch mal, warum sitzen wir dann fast 99% unseres Alltags hinter irgendwelchen Schreibtischen oder Konferenztischen, verbeißen uns in Alltägliches und führen irgendwelche nicht Zielführende gedankliche und intellektuelle Stellungskriege, verharren auf der Stelle, verkrampfen sprichwörtlich, sowohl körperlich als auch geistig, statt einfach mal ein paar Runden zu drehen und einfach nur zu gehen.

Michel de Montaigne war es, der uns über den Zusammenhang von Schreiben, Denken und Gehen in seinem Werk folgende sehr schöne Zeilen hinterlassen hat: „Jeder Ort des Rückzugs bedarf eines Wandelgangs. Da blättere ich einmal in diesem Buch, mal in jenem, ohne Ordnung, ohne Plan, ohne Zusammenhang. Bald hänge ich meinen Gedanken nach, bald merke ich an, bald diktiere ich im Auf- und Abgehen diese meine Träumereien hier (…) Meine Gedanken schlafen ein, wenn ich sitze. Mein Geist geht nicht voran, wenn ihn nicht meine Beine in Bewegung setzen.

Unser deutscher Ausspruch Wieder auf die Beine kommen, drückt wohl ähnliches aus.

Oder ein wenig philosophischer ausgedrückt: Das Gehen, das Durchstreifen des äußeren Raumes, der äußeren Lebenswelt stimuliert das Durchstreifen der inneren, geistigen Landschaft.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viele inspirierende Spaziergänge

Herzlichst

Ihr Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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