Zum aus der Haut fahren …

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.

  Heute:    Zum aus der Haut fahren…
ein Versuch über die Verwandlung

Die neue Verwandlung möchte ich ohne Qual. Jenes jahrelange Würgen, mit überlichten Augenblicken dazwischen, vor zwei Jahrzehnten, soll sich nicht wiederholen. Mir scheint auch, es kommt dazu nur einmal in einem Leben, und der Betroffene geht daran entweder mit Haut und Haaren zugrunde, oder er verkümmert zu einem der nicht gar seltenen verzweifelt Bösen – ich erkenne diese an ihrer Sprache, und sie sind mir nah -, oder er wird eben verwandelt…

(Peter Handke, Mein Jahr in der Niemandsbucht – Ein Märchen aus den neuen Zeiten, Suhrkamp 2007)

Wir alle kennen sie, die Momente in unserem Leben, in denen wir sprichwörtlich aus unserer Haut fahren möchten: Einfach ein Anderer sein wollen, jenseits von Zeit und Raum. Verwandelt…

Das Gegenstück zur Verwandlung ist die Veränderung. Das ganze Leben besteht aus Veränderung. Veränderung ist in unserer schnelllebigen Zeit mittlerweile schon fast zu einem Modewert verkommen. Alles verändert sich und bleibt sich am Ende doch irgendwie treu, wenn nicht sogar einfach nur das Gleiche, das Alte in neuem Gewand.

Kennzeichnend für die Veränderung ist nämlich, dass sich lediglich einzelne Eigenschaften, Attribute und Fragmente verändern, das Wesen an sich jedoch bestehen bleibt.

Nicht so bei der Verwandlung…

Die Verwandlung trifft in seiner Radikalität das Wesen als Ganzes. Es wird sprichwörtlich ein Anderes.

Verwandlung ist kein Akt des Wollens. Man kann die Verwandlung nicht „einfach mal so“ machen. Sie geschieht, oder besser gesagt ausgedrückt, sie wi(e)derfährt einem. Sie trifft einen über Nacht oder wie ein Keulenhieb.

Sie wird „einfach“ Wirklichkeit. Einfach?

Die Weltliteratur ist voller Geschichten über Verwandlungen. Von Ovids Klassiker, den Metamorphosen (Die Bücher der Verwandlung), frühzeitlichen Märchen und Sagen über Kafka, James Joyce, Julio Cortazar, bis hin zu Peter Handke und vielen anderen. Verwandlung fesselt uns, lässt uns erschauern und uns Verharren zwischen Furcht und freudvoller Erwartung.

Was ist mit mir geschehen?, fragt Gregor Samsa erschaudernd zu Beginn von Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung, als er morgens erwacht und sich als Käfer in der ihm bisher so vertrauten Umgebung wiederfindet.

Verwandlung macht sprachlos, sie erschrickt und verwundert bis ins Mark hinein.

Verwandlung grenzt immer auch an ein Wunder. Sie entspringt häufig der Metaphysik, dem Spirituellen, den Grenzwelten zwischen Glauben und Verstand.

Verwandlung entgrenzt. Sie schafft einen neuen Blick auf die Welt, öffnet Räume und Horizonte, Wahrnehmungen. Dadurch, dass sie das Wesen als ganzes trifft, betrifft sie all unsere Sinne und unsere komplette Leiblichkeit, die Leiblichkeit im Sinne Merleau-Pontys.

Ich bin wer ich bin, sagen viele, die so genannten vom Schicksal und vom Leben Ungetroffenen, denen dadurch die Welt quasi selbstverständlich klein bleibt. In unserer heutigen Zeit haben jedoch viele von uns das Erlebnis des aus der Haut Fahrens, des Herausgeschleudertwerdens aus dem Alltag, aus dem bisher Selbstverständlichen. Mittlerweile ist die Wortkreation Burnout ein fester Bestandteil des täglichen Wortschatzes, quer durch alle Schichten der Bevölkerung. Wer schon einmal ein Burnout hatte, oder wem ein anderer schlimmer Schicksalsschlag widerfuhr, wird ihnen von der Verwandlung seiner Person berichten können. Er wurde ein Anderer, im Guten oder Schlechten, wie bereits im Eingangszitat von Peter Handke beschrieben.

Es gibt Menschen, die sich nicht verändern wollen. Meist verändert sie das Leben eines Tages doch. Wenn auch gegen ihren Willen. Andere dagegen haben ein klares Bild vor Augen. Sie möchten verändern. Sich, ihr Leben, die Welt. Hier herrscht Planen, Aktion und Umsetzung.

Andere wiederum spüren nur etwas, das sie noch nicht benennen können, etwas, das sie verunsichert und phasenweise ratlos werden lässt. Was geschieht mit mir, wohin, wozu, was wird aus mir, sind hier die häufigen Fragen.

Zwischenzeit, Schrecksenszeit! Zeit des Erwartens…

Hier ist Mut, Vertrauen und ein Funken Gelassenheit gefragt, um das Neue auch zuzulassen. In Ovids letztem Buch der Verwandlung verwandelt sich die Seele von Julius Cäsar in einen Stern. In der Weihnachtsgeschichte erscheint den Heiligen drei Königen ein Stern am Firmament, der ihnen den Weg zu Krippe weist. Doch nicht nur sie sind am Ende der Geschichte Verwandelte, nein, auch die Hirten im Kreise ihrer Herde, und in der Folge alle Menschen, die an diese im ersten Moment doch sehr wundersame Geschichte glauben.

Wir können die Welt nicht nur verändern, wir können sie verwandeln, wenn wir es wirklich wollen, und damit besser und lebenswerter machen. Wir können bei uns beginnen, Verwandlung zuzulassen, und vielleicht kann uns die Weihnachtszeit, ob Gläubiger oder Atheist, auch ein wenig den Glauben zurückgeben, dass es nicht nur Dinge sondern auch eine Zukunft geben kann, die wir heute noch nicht denken können, da sie den bloßen Verstand übersteigen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine wundersame Vorweihnachtszeit und einen Stern, der Sie sicher durch Ihr Leben führt.

Ihr  Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

Kennen Sie schon die Leinwände von Inspiring Art?