15 Minuten Ruhm!

… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.

Heute:      15 Minuten Ruhm!
oder: Heben sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
in Zeiten von Facebook, Twitter & Co wirklich auf?

In the future, everyone will be world-famous for 15 minutes.
(Andy Warhol)

Als ich noch am College war, gab es kein Internet, kein Google, kein Facebook. Wer sich heute einen Plan für morgen macht, ist morgen vielleicht auf die Möglichkeiten von heute beschränkt.
(Sheryl Sandberg, Nr. 2 von Facebook)

Anfang vergangener Woche erschien in den Zeitschriftenläden Andy Warhols legendäre Avantgarde Fanzine inter/View in neuer und angepasster Form unter dem Titel Andy Warhol’s Interview für den deutschsprachigen Markt. Ende der 60er Jahre zuerst rein aus der Absicht geboren, seinen Mitarbeitern Zutritt zu Filmpremieren zu verschaffen, avancierte das Magazin in den 70er Discojahren schnell zum Kultmedium und wurde in den Achtzigern nicht nur für Intellektuelle, Künstler, Modedesigner oder Filmschaffende zur eine der stilprägendsten Zeitschriften Amerikas.

Der Anspruch, der von Anbeginn hinter diesem Projekt stand, war es, wie in der deutschen Ausgabe betont wird, in einer magischen Kristallkugel früher und schärfer zu sehen, was die Welt heute und morgen prägt. Heute, mehr als 40 Jahre später, schränkt Joerg Koch, seines Zeichens Chefredakteur der neuen deutschen Ausgabe jedoch ein, ist diese Kristallkugel keine große Hilfe mehr. Ob der Geschwindigkeit von Tweets, Likes und +1s heben sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf.

Aha?! Auf der Grundlage dieser Annahme der Schnelllebigkeit schränkt er für das eigene Projekt ein, dass man sich selbst gar keine prophetischen Qualitäten mehr zuschreiben möchte, sondern nur einen so überraschenden Mix aus Mode, Kunst, Musik und Film zu produzieren, dass nicht nur unverschämt gute Laune bereitet, sondern die Welt auch ein wenig anders aussehen lässt…

So weit so gut, jeder kann machen was er will, so eben auch für sein Projekt seine ganz eigene Losung ausgeben. Wenn nicht …, ja wenn nicht hier etwas durchzuklingen scheint, was meines Erachtens symptomatisch ist für unser derzeitige Lebenswirklichkeit. Alles schwimmt, verschwimmt, alles scheint auf den ersten Blick beliebig, austauschbar, belebbar, gestaltbar im Sinne des Aufhübschens, jedoch nicht in der Form eines radikalen Veränderungswillens, eines, wenn auch immer gewagten Neuentwurfs des Projekts Zukunft.

Sind wir wirklich zu Sammlern, Ansammlern und Datenfetischisten verkommen, deren einzige Aufgabe daran besteht, diese Informationen schön aufzubereiten, statt sie in Frage zu stellen, neu zu interpretieren und dadurch und gerade auch durch den Blick in eine wie auch immer geartete Kristallkugel diese unsere Welt aufs Neue neu zu gestalten?

Wir waren schon häufig schlechte Propheten zukünftiger Entwicklungen, wie so viele auch prominente Weissagungen bewiesen haben. Man denke nur an das von mir bereits in einem anderen Kontext angeführte Zitat unseres letzten Kaisers, der einmal zu besten gab, dass er an das Pferd glaube, und das Automobil nur eine vorübergehende Erscheinung sei. Oder nehmen Sie die berühmt berüchtigte Pferdemistprognose, die Mitte des 19ten Jahrhunderts auf der Grundlage wissenschaftlicher Hochrechnungen orakelte, dass spätestens 1910 die Straßen von New York mit ebendiesem meterhoch verschmutzt und daher unpassierbar wären. Hüten solle man sich vor Prognosen, vor allem vor solchen über die Zukunft, warnte einst bereits Mark Twain.

Es gab und gibt aber auch andere. Nehmen Sie beispielsweise Marshall Mc Luhan, der unter anderem Andy Warhol maßgeblich beeinflusst hat, und der, streng genommen, auch als der wahre geistige Vater meines Eingangszitats gilt. Wie auch immer. Ich wollte im Grunde auch nicht über die Vorhersagbarkeit der Zukunft schreiben. Daher lassen Sie mich dieses Thema fürs erste mit einem Zitat von Woody Allen abschließen: Alles in allem wird deutlich, dass die Zukunft große Chancen bereithält – sie enthält aber auch Fallstricke. Der Trick ist, den Fallstricken aus dem Weg zu gehen, die Chancen zu ergreifen und bis sechs Uhr wieder zu Hause zu sein.
Kommen wir zurück auf die Aussage von Jörg Koch. Ist es wirklich so, dass sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Zeiten der (gefühlten) Geschwindigkeit von Tweets, Likes und +1s aufheben, wie oben zitiert? Im Würgegriff der Neuen Medien wurde in den letzten Jahren bereits Vieles für tot erklärt: die Tageszeitung, das Büro mit Papier, Stellenanzeigen in gedruckten Medien, etc.

Durch das Aufkommen neuer Medien verändert sich die Welt oftmals radikal, meist jedoch nicht in der Schnelligkeit, in der Heftigkeit, der Absolutheit und der Durchschlagskraft wie im Vorwege orakelt. Wir leben gerade wieder einmal in einer der großen Zwischenzeiten, einer Zeit großer kommunikativer Umwälzungen und Neuerungen. Gerade deshalb sollten wir endlich aufhören, mit unserem Kopf in der Vergangenheit zu stecken und mit unserem Allerwertesten in Richtung Zukunft zu marschieren (um dem eingangs angeführten Ausspruch von Sheryl Sandberg eine von mir gewählte plastische Note zu verleihen).

Ist es also wirklich nötig, der Weltmacht Facebook die Grenzen aufzuzeigen? Zumindest staatlich zu reglementieren, wenn nicht gar zu zerschlagen, wie Heinrich Wefing in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT vom 2.Februar 2012 forderte?

Weder verschwimmt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, noch brauchen wir Zensur und staatliche Einmischung. Haben nicht auch und gerade die Entwicklungen in der arabischen Welt eindrücklich gezeigt, wie viel Gutes und auch (positiv) Revolutionäres in der Geschwindigkeit und der Freiheit der Neuen Medien stecken?

Auch deshalb brauchen wir gerade heute diese Kristallkugeln (sowie deren Schöpfer und Hüter), in denen sich alles bündelt, bricht und von Zeit zu Zeit einen Schimmer von dem preisgibt, was wir später einmal Gegenwart nennen werden. Hierfür brauchen wir Mut, Willen und auch die Bereitschaft, sich vom tosenden Lärm der Datenströme nicht verwirren zu lassen, geschweige denn, sich entmündigen zu lassen.

Lassen Sie uns daher beherzt den Fallstricken aus dem Weg gehen, die Chancen, die uns diese neuen Netzwerke und kommunikativen Errungenschaften bieten, ergreifen und um sechs Uhr wieder heil zuhause sein.

Dank dieser könnten wir so nämlich nicht nur für mindestens 15 Minuten berühmt sein, sondern auf eine bisher nie dagewesene Leichtigkeit und Schnelligkeit auch zu Gestaltern, Veränderern und Revolutionären unserer Lebenswirklichkeit werden.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiterhin viel Kreativität, Mut und Zivilcourage im Umgang mit diesen neuen Möglichkeiten.

Ihr Ulrich B Wagner

Zum Autor:

Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.

Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.

Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.

Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).

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