… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.
Heute: Alles neu macht der Mai oder was?
über das Neue hinter der Neugier
Lockte die Neugier nicht den Menschen mit heftigen Reizen, sagt, erführ er wohl je, wie schön sich die weltlichen Dinge gegeneinander verhalten? Denn erst verlangt er das Neue, suchet das Nützliche dann mit unermüdetem Fleiße; endlich begehrt er das Gute, das ihn erhebet und wert macht.
Johann Wolfgang von Goethe, Hermann und Dorothea I
Wann immer ich zwei Übeln gegenüberstehe, wende ich mich dem zu, das ich noch nicht ausprobiert habe.
Mae West
Der arme Hermann Adam von Kamp (1796 – 1867), seines Zeichens Schöpfers des zum lyrischen Kulturgut der deutschen Sprache gehörenden Frühlingsgedichts mit dem Titel Alles neu macht der Mai, windet sich wohl alljährlich in seinem Grabe in Mühlheim an der Ruhr angesichts der fortwährenden Penetration und Desavouierung seines Liedguts in Werbung, Funk und Presse. Sei’s drum. Mit unserer platitüdenhaften Verwendung muss er wohl oder übel zu Recht kommen, wenn uns mal wieder nichts Passenderes zur Begrüßung des Neuen in den Sinn kommt.
Denn es kommt ja noch weitaus schlimmer: Über 90% der Deutschen fällt nicht einmal die erste Strophe dieses Gedichts ein: …macht die Seele frisch und frei, kommt heraus, lasst das Haus, windet einen Strauß! (Fleurop sagt Danke)
Und jetzt auch noch der Kolumnist, möchte der eine oder andere wohl gerne ausrufen und gar fragen, welches Kraut sich wohl in der vielleicht reichlich genossenen Maibowle des frühlingserweckten Schreiberlings versteckt haben mag. Wie auch immer. Ich kann einfach nicht anders (Wirklich? Doch davon an anderer Stelle mehr – sic!). Es dreht und dreht sich in meinem Kopf im wilden Frühlingsreigen.
Nun aber mal ernsthaft: Wie viel Altes verbirgt sich im Neuen, und warum lässt sich das Neue manchmal partout nicht blicken, obwohl man es sich so verzweifelt herbeisehnt?
Das Neue zieht uns an. Hat seinen besonderen Reiz. Wir umgeben uns mit neuen Dingen in der Hoffnung, uns und unseren Geist aufzufrischen, zu erneuern und vielleicht sogar zu verändern. Und am Ende? Nichts! Es ist manchmal scheinbar einfach verflucht mit dem Neuen. Dort wo nur das Neue gilt, wächst nämlich, in eben selbiger Geschwindigkeit, wie wir das Neue forcieren, das Alte neben uns an. Denn das Neue ist bereits alt, wenn es da ist und man wieder etwas Neues verlangt, wie es ein weiser Zeitgenosse mal zum Ausdruck brachte.
Anders gefragt: Gibt es das Neue überhaupt außerhalb unserer Selbst? Oder bedarf es des aktiven Wechselspiels zwischen uns, unseren Gefühlen, unserer Wahrnehmung und unserer Sehnsucht, von Neugier an dieser Stelle noch gar nicht zu sprechen, und dem, was wir als vermeintlich neu empfinden und als solches bezeichnen? Auch der Wonnemonat Mai macht nicht alles neu, wenn der eigene Blick trüb und grau von der Psyche eingefärbt ist, mögen die Knospen und Blüten auch noch so sprießen. Bestenfalls schmerzen vielleicht die bunten Farben und das Gezwitscher der Vögel, verstärken einzig und allein den „stehenden Sturmlauf“ des müden Geistes.
Ich denke, wir alle kennen dies zu genüge. Wir stecken fest, klammern uns an das Altbekannte, mag es auch noch so schrecklich sein, fürchten uns gar vor dem Neuen, blicken wie besessen tief in uns hinein und erkennen bei alledem nicht die Chancen und Möglichkeiten um uns herum.
Zeit für einen Frühjahrsputz, wie ich vor einigen Wochen in meiner Kolumne „Refresh yourself“ angeregt habe. Doch genügt dies auch? Oder anders herumgefragt: Wie schnell ist der vom Frühlingsputz gereinigte Geist durch unseren gewohnten Trott schließlich wieder eingestaubt und müde? Der Frühling mag zwar der richtige Moment sein, mit dem mentalen Aufräumen zu beginnen und es in der Folge zur täglichen Routine werden zu lassen, wie ich abschließend schrieb. Aber gibt es vielleicht nicht doch die eine oder andere Möglichkeit, um das Anhäufen, Verstauben und Festklammern bereits im Vorfeld eindämmen zu können?
Der Erhalt einer kindlichen Neugierde, eine eindeutige Präsenz im täglichen Leben, sowie eine konsequente Einstellung zu uns selbst und unserem Leben, könnten hier vielleicht sehr hilfreich sein.
Solange man neugierig ist kann einem das Alter nichts anhaben, sagte einmal mit Recht der amerikanische Schauspieler Burt Lancaster in einem Interview. Denn Neugierde sorgt dafür, dass wir offenen Auges und mit allen Sinnen durch die Welt gehen, uns öffnen und unseren Kokon verlassen, um uns überraschen und verzaubern zu lassen. Sie treibt uns heraus aus unserem Hamsterrad und sorgt dadurch für das Wichtigste: einem Sein im Hier und Jetzt.
Sei präsent. Sorge dafür, dass du mit deinen Gedanken nicht irgendwo anders bist und deine Aufmerksamkeit nicht nur auf dich selbst und deine Routinen gerichtet ist. Und zu guter letzt: Ändere deine Einstellung zu dir selbst und dem Neuen. Das Neue geschieht nicht einfach so, mir nichts dir nichts, selbst dann nicht, wenn es Mai ist. Du musst es aktiv begrüßen und einladen.
Manchmal findet sich so auch mehr Neues und Aufregendes im Alten, als in dem auf den ersten Blick vermeintlich Neuen, oder wie Coco Chanel es in Bezug auf die Frauen ausdrückte: Die Frauen müssen wieder lernen, die Männer auf das neugierig zu machen, was sie schon kennen.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen mehr Neugierde insbesondere auch in allen Dingen, die wir vermeintlich schon zu kennen glauben.
Ihr Ulrich B Wagner
Zum Autor:
Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.
Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.
Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.
Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).