Anonymous ist tot! Es lebe Anonymous!

Die Nachricht schlug vor einigen Tagen wie eine Bombe ein: einer der kompetentesten Hacktivisten von LulzSec und dem Hackerkollektiv Anonymous arbeitete seit einigen Monaten dem FBI zu. Der Hacker mit dem Pseudonym Sabu wurde seitens der US-Behörde mit Hilfe seiner Kinder derart unter Druck gesetzt, dass er sich dazu entschloss, seine Bewegung, seine Ideale und seine Passion zu verraten. Die Szene hielt nach Bekanntwerden der Nachricht und den kurz zuvor erfolgten Festnahmen mehrerer LulzSec-Mitglieder den Atem an, die Bewegung stockte und war dem Herzstillstand nahe.

Es ist ein Szenario, dass sich viele Multimilliarden-Dollar-Konzerne und Regierungen sehnlichst herbeiwünschen: Das FBI setzt die führenden Anons fest und die Bewegung Anonymous zerfällt. Endlich wäre das bisher so unsichtbare Kollektiv greifbar geworden, denn nichts stört mehr, als wenn Herrschende herausgefordert werden und sie darauf nicht mit Härte reagieren können. Doch die Sache hat einen Haken: Sabu war zwar Anonymous, aber Anonymous ist weder Sabu, noch einer der anderen festgenommenen Hacker. Dies ist ein Umstand mit dem staatliche Behörden nicht richtig klar kommen. War es bisher so, dass man eine unbequemen Gruppe einfach den Kopf abschlug, um das Problem zu lösen, ist es bei Anonymous eher so, dass man ein Ende abhackt und kurz darauf zwei neue Enden nachwachsen. Der Schluss daraus? Anonymous ist nicht tot zu kriegen. Aber warum?

Weil Anonymous kein fester Körper ist. Die weltlichen Autoritäten sind immer noch der Meinung, dass es in jeder Bewegung feste Hierarchien gibt, die sich irgendwann durchsetzen und den Führungsanspruch eines oder einiger der Aktivisten zementieren. Da sich Anonymous aber durch die Idee einer Schwarmintelligenz definiert, ist es de facto nicht möglich Anführer zu bestimmen und heraus zu picken. Natürlich werden die Strafverfolgungsbehörden immer wieder Hacker identifizieren und festnehmen, was den technischen Ansprüchen des Kollektivs durchaus schaden kann. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass das Hacken heutzutage keine geheime Kunst mehr ist. In einer Zeit in der selbst Neonazis, mit ihren durchaus begrenzten geistigen Kapazitäten, zu eigenen Hack-Attacken aufrufen, ist es ein Kinderspiel für Nachwuchsaktivisten sich per Internet in die Materie einzuarbeiten. Doch das ist nur die eine Seite.

Die andere Seite, warum Anonymous nur schwer von Außen zerstört werden kann, liegt in der Idee der Bewegung. Mögen viele Aktionen des Hackerkollektivs auf Cyperkriminalität und Webseitenvandalismus hindeuten, steht dem jedoch ein immer stärker werdendes politisches Bewusstsein gegenüber. Dieses definiert sich im „Schwarm“ vor allem durch das Ablehnen des globalen Unrechts. Nun könnte man einwenden, dass Unrecht eine subjektive Kategorie ist, was durchaus zu beachten ist. Aber genau hier setzt die Macht der Masse und das Fehlen der Hierarchie an: Denn die Definition des Unrechts wird durch die Masse getroffen und nicht durch den Einzelnen, was dafür Sorge trägt, dass extreme Meinungen, egal ob positiv oder negativ, im Strom untergehen und die Ausrichtung auf das eigentliche „Gute“ gerichtet bleibt. Kurzum ist es die Idee einer besseren Welt die das Kollektiv definiert und damit unangreifbar macht. Schließlich ist es quasi nicht möglich eine Idee zu töten und schon gar nicht, wenn das Medium der Idee der schier endlose Cyberspace ist.

Doch viele Menschen fragen auch immer wieder, was für Ziele Anonymous genau verfolgt. Um es kurz zu fassen: Es wird Freiheit gefordert. Sei es Meinungs- und Pressefreiheit, wie in den arabischen Ländern, oder die Freiheit des Internets in den von ACTA/SOPA/PIPA bedrohten Gebieten oder auch nur die persönliche Freiheit. Seit einigen Tagen ruft Anonymous zur OP Renaissance auf. Diese soll mittels verschiedener Kommunikationskonzepte die Abkehr von lauen Themen wie Boulevard, Fußball oder Sex bewirken und den Menschen eine eigene Sicht auf die Dinge in der Welt offenbaren, sowie die Verbreitung von Wissen und Information fördern. Dabei wird vor allem auf die unabhängige Betrachtungsweise möglicher Alternativen im Umgang miteinander wert gelegt.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass sich Anonymous nicht in die Schublade stecken lässt, in der sie Konzerne und Regierungen gerne hätten: In den Bereich gewissenloser Krimineller. Vielmehr ist das Kollektiv eine sich ständig weiterentwickelnde Bewegung, die bisher durch die Idee der Freiheit vorangetrieben wird. Das lässt sich auch daran erkennen, dass es gelungen ist, die „Message“ aus dem Internet hinaus auf die Straße zu transportieren. Und das war wohl auch der Moment, in dem viele erkannt haben, dass Anonymous durchaus ernst zu nehmen ist.

Trotz der Festnahme der LulzSec-Mitglieder bewegt sich der Schwarm weiter und auch wenn einige der Fische mit dem Kopf gegen eine Klippe knallen werden, so wird der Schwarm auf eine momentan nicht absehbare Zeit weiterschwimmen. Man darf gespannt sein, für welche Richtung sich das Kollektiv entscheiden wird.

(sm)

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