Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Staatensysteme, die auf einem autoritären Sozialismus beruhen, gnadenlos gescheitert sind. Zu Recht. Gewalt, Unterdrückung, Privilegierung und Vetternwirtschaft haben die angeblich so gerechte Staatsform sozialistischer Art in nichts anderes verwandelt als Diktatur und Tyrannei. Darauf machte auch Papst Benedict XVI. – mehr oder weniger deutlich – bei seiner momentanen Kuba-Reise aufmerksam. Er forderte dazu auf, nach neuen Modellen für die Zukunft Kubas zu suchen. Zudem bezeichnete er den Marxismus als nicht mehr zeitgemäß und realitätsfern.
Diese Aussage „zeitgemäß“ und „realitätsfern“ aus dem Munde des katholischen Oberhauptes dürfte auf viele Zuhörer surreal wirken. Allerdings nicht, weil es nicht auf Kuba zuträfe, sondern weil es vom Leiter einer Organisation kommt, deren zeitweilige Realitätsferne schon ans Makabre grenzt.
Dabei sei beispielsweise an ein Zitat seines Vorgängers Johannes Paul II. erinnert, der durchaus Positives erreichen konnte, aber dennoch ab und an mit Riesenschritten in Richtung 12. Jahrhundert eilte: „Aus der Natur des Sexualaktes ergibt sich, dass der Mann dabei eine aktive Rolle spielt, während die Frau eher eine passive Rolle hat; sie nimmt hin und erlebt. Dass sie sich passiv verhält und nicht abweist, genügt schon, um den Sexualakt mit ihr zu vollziehen. Dieser kann auch ohne Beteiligung ihres Willens stattfinden und sogar, wenn sie in völlig bewusstlosem Zustand ist, z.B. während des Schlafs, während einer Ohnmacht usw.“
Aber Papst ist nicht gleich Papst und Benedict XVI. ist nicht Johannes Paul II. Aber auch der aktuelle Katholikenführer hat in Sachen Realismus einige scharfe Munition in den Läufen seines rhetorischen Waffenarsenals: „Aber wenn man nur Know-How weitergibt, nur beibringt, wie man Maschinen macht und mit ihnen umgeht, und wie man Verhütungsmittel anwendet, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass am Schluss Krieg herauskommt und AIDS-Epidemien.“ Eine Aussage, die einem zum Denken anregt. Vor allem auch über die Frage, wie Milliarden Menschen diese Ideen repräsentieren können.
Es wirkt auch wie Hohn, wenn das Oberhaupt der katholischen Kirche durch die Medien tingelt, mit der Botschaft nach Freiheit, Transparenz, Wahrheit und Nächstenliebe. Sieht man einmal von den menschenverachtenden Taten des Katholizismus zwischen 1300 und 1945 ab und betrachtet nur einmal die jüngste Vergangenheit, bekommt das Wort Heuchelei einen geradezu betörenden neuen Anstrich:
1.) Die Kirche predigt eine moralisierte Sexualität, während ihre Bischöfe mit erotischer Literatur Geld verdienen.
2.) Die Forderung nach Nächstenliebe wirkt in Anbetracht der unzähligen Missbrauchsfälle von katholischen Bediensteten an ihren Schützlingen in völlig anderem Licht.
3.) Die Verurteilung homosexueller Beziehungen: „Die Auflösungstendenzen bezüglich der Ehe bis hin zur Pseudo-Ehe zwischen Personen des gleichen Geschlechts sind Ausdruck einer anarchistischen Freiheit, die sich zu Unrecht als Befreiung ausgibt.“ Wahrlich grotesk, wenn offizielle Vertreter des Katholizismus die Homosexualität selber praktizieren und das auch noch in pädophiler Weise.
4.) Der Umgang mit Leugnern des Holocaust.
5.) Die Verurteilung des Kapitalismus, während findige Mitglieder des Vatikans in aller Ruhe Geldwäsche betreiben.
Diese Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Dennoch soll dabei nicht vergessen werden, dass es auch in der katholischen Kirche Menschen gibt, die wahrhaft an der Verbesserung der Gesellschaft arbeiten. Aber meist handelt es sich dabei um quasi anonyme Geistliche, die in ihren Gemeinden wahrhaftige Nächstenliebe fördern, Bildungs- und Integrationsprojekte vorantreiben und dem Treiben ihrer vermeintlicher Oberhäupter mehr als kritisch gegenüberstehen. Diesen Menschen, die Toleranz und Nächstenliebe fördern, gebührt wahre Aufmerksamkeit und Hochachtung – und weniger dem institutionalisierten Amt und „Würdenträger“ eines tendenziell intransparenten, intoleranten, verdorbenen und in vielen Belangen gestrigen Gebildes.
(sm)