Deutschland braucht Individualbesteuerung, kein Familiensplitting – Kommentar von Dr. Katharina Wrohlich, DIW Berlin

Kommentar von Dr. Katharina Wrohlich, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Staat am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung / DIW Berlin. Der Beitrag gibt die Meinung der Autorin wieder.

In der aktuellen Diskussion um das Ehegattensplitting in Deutschland wird von einigen Politikern und Politikerinnen eine Reform hin zu einem Familiensplitting nach französischem Vorbild vorgeschlagen. Dieses wäre ein faireres Steuersystem, so wird häufig argumentiert, weil so Kinder steuerlich berücksichtigt würden und nicht das Vorhandensein eines Trauscheins. Darüber hinaus zeigen empirische Studien, dass das Ehegattensplitting eines der größten Erwerbshemmnisse für Frauen in Deutschland ist.

Könnte der Übergang zu einem Familiensplitting beide Kritikpunkte entschärfen? Beginnen wir zunächst mit der verteilungspolitischen Frage: Werden bei einem Familiensplitting nach französischem Vorbild Eltern mit Kindern steuerlich stärker entlastet als derzeit in Deutschland? Das ist nicht der Fall. Dies haben mehrere Simulationsstudien für Deutschland gezeigt. Berücksichtigt man neben dem Ehegattensplitting auch den Kinderfreibetrag und das Kindergeld, zeigt sich, dass Familien mit zwei Kindern in Deutschland weniger Steuern bezahlen als in Frankreich. Erst für Familien mit drei Kindern gäbe es merkbare Unterschiede. Kinderlose Ehepaare haben eine sehr vergleichbare steuerliche Belastung wie in Deutschland.

Woran liegt das? Im französischen System ist der Splittingvorteil für Kinder gedeckelt und wirkt daher wie ein Kinderfreibetrag – den wir in Deutschland bereits haben. Auch der Splittingvorteil für Alleinerziehende ist in Frankreich gedeckelt und wirkt damit sehr ähnlich dem deutschen Entlastungsbetrag. Kinderlose Ehepaare hingegen profitieren steuerlich von der fiktiven hälftigen Aufteilung des Einkommens in Frankreich ebenso wie in Deutschland.

Zwei wesentliche Unterschiede gibt es allerdings zwischen dem französischen und deutschen System. Der erste ist das Kindergeld: Es ist in Deutschland deutlich höher, und die Finanzämter wählen automatisch die für die Familie günstigere Variante. Dies hat zur Folge, dass für die meisten Familien mit bis zu zwei Kindern die steuerliche Entlastung (zu der auch das Kindergeld gezählt wird) in Deutschland größer ist als in Frankreich. Der zweite große Unterschied ist die Staffelung der steuerlichen Entlastung nach der Kinderzahl: In Frankreich wird diese ab dem dritten Kind verdoppelt, während es in Deutschland lediglich ein gering fügighöheres Kindergeld ab dem dritten beziehungsweise vierten Kind gibt. Das ist der Grund dafür, dass Familien mit drei und mehr Kindern ab einem mittleren Einkommen in Frankreich steuerlich stärker entlastet werden als in Deutschland. Würde Deutschland ähnliche Entlastungswirkungen nach der Kinderzahl anstreben, müssten wir wohlgemerkt kein Familiensplitting einführen, sondern könnten Kindergeld und Kinderfreibetrag ab dem dritten Kind verdoppeln.

Kommen wir zur zweiten Frage: Verbessert ein Familiensplitting die Erwerbsanreize für Frauen? Nein. Wie beim Ehegattensplitting liegt auch dem Familiensplitting das Prinzip der gemeinsamen Besteuerung zugrunde. Dies bewirkt, dass die Partner mit dem niedrigeren Einkommen – meist Frauen – mit einem höheren Grenzsteuersatz belastet werden als bei getrennter Veranlagung. Das Problem der geringen Erwerbsanreize kann mit einem Familiensplitting also nicht gelöst werden, sondern nur durch einen Übergang zu einem System der Individualbesteuerung. Das erhöhte Steueraufkommen unter einer Individualbesteuerung könnte wiederum über familienpolitische Maßnahmen an Familien mit Kindern rückverteilt werden.

 

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