… aus der wöchentlichen Business-Kolumne von Ulrich B Wagner mit dem Titel „Me, myself and I – eine Reise in sich hinein und über sich hinaus„.
Heute: Die Einsamkeit der Herzen
Helden, Burn-Out, Depressionen
Wenn wir nur einen Menschen in unserer Nähe haben, mit welchen wir letzten Endes alles besprechen können, halten wir es aus, sonst nicht.
Thomas Bernhard (1931 – 1989)
Wer mir einen Helden zeigt, dem zeige ich eine Tragödie.
F. Scott Fitzgerald (1896 – 1940)
Heldenhaftigkeit ist eine Todesart, keine Lebensart.
Gabriel Laub, deutsch-polnischer Schriftsteller (1928 – 1998)
Es war Gerd Gerken, der Anfang der 1990er in einem Buch die Manager als die Helden des Chaos auswies: eine neue Elite, die auftaucht, um die Welt zu retten, wenn alle Strategien versagen. Erfolgreiche Macher sind also Helden, sie gleichen dem einsamen Cowboy (mittlerweile ohne Zigarettenstummel im Mundwinkel), der am Abend eines erfolgreichen Tages inmitten des Chaos, der Gefahren und der Kämpfe einsam dem Sonnenuntergang entgegen reitet. Lonesome Cowboys, die heldenhaft und „todesmutig“ die „menschentleerten“ Gipfel der Karriereleiter erklimmen (doch zu welchem Preis und welcher Tragödie?!).
Es ist ein einsames Geschäft da draußen. Niemals sind wir wirklich allein, ständig umgeben von realen Menschen oder virtueller Kommunikation, Netzwerken und Foren und dennoch (oder auch gerade deshalb?) durchströmt viele der eiskalte Hauch der Einsamkeit.
Wem können wir wirklich trauen, wem können wir uns anvertrauen und einen Einblick in unser Innerstes gewähren, wem in gewissen Stunden eingestehen, dass man ja eigentlich doch ein ganz anderer ist, man jedoch aufgrund der Routinen und Zwänge nur so selten (oder gar nicht) dazukommt?
Wir alle (oder die meisten, die auch sich selbst gegenüber ehrlich genug sind, sich dies einzugestehen) kennen diese Phasen im Leben, in denen der eingeschlagene Weg, die Arbeit oder das Leben an sich seine Selbstverständlichkeit verliert, fragwürdig und zerbrechlich wirkt (oder sogar wird). In denen wir uns des fraktalen Charakters unseres Ichs bewusst werden und die Ganzheit unserer Person zerbricht.
Wen haben wir in diesen Stunden, in diesen Lebensphasen, die Fitzgerald mal auf sein eigenes Leben in den Jahren 1936/37 bezogen – und auch in Ermangelung des Erfolgs seines ehrgeizigen Romanprojekts (Sie erinnern sich wahrscheinlich, nur der, der einmal entflammt war, kann später auch ausbrennen) „Tender is the night“ (Zärtlich ist die Nacht) – als seine ganz persönliche crack-up Phase bezeichnete.
F. Scott Fitzgerald hatte niemanden außer den vermaledeiten Alkohol, der ihn in noch tiefere Depressionen drängte.
Ernest Hemingway stand sein Stolz, das Machogehabe und Heldentum im Weg, auch er hatte am Ende nur den Alkohol und die Winchester, die er sich am 02. Juli 1961 in den Mund steckte. Alkohol und Depressionen waren die einzigen wahren lebenslangen Begleiter dieses amerikanischen Traums der Männlichkeit.
Hölderlin konnte es nicht, seine Psyche zu schwach oder die Flucht in den Wahn, der letzte Überlebensreflex dieses genialen Geistes.
Kleist konnte es nicht, auch das Schreiben bot ihm keinen Ausweg. Die einzige Freundin Henriette von Vogel, auch sie bot seiner Seele kein geeignetes Ventil und wurde so schließlich nur die treue und letzte Begleiterin in den gemeinsamen Selbstmord am Wannsee im November 1811.
Es muss aber nicht (und hoffentlich nicht) immer tödlich enden, wenn niemand da ist, mit dem wir reden können, dem wir letzten Endes alles und wirklich alles erzählen können, der uns be-greift (der uns in all unserer Vielschichtigkeit fassen und erfassen kann), der uns versteht, der zuhört und von dem wir uns, auch ohne große Worte, verstanden fühlen.
Also kein Ratgeber, kein Besserwisser, sondern ein stiller, einfühlender Begleiter und Zuhörer ist hier gefragt. Eine Person (Mann oder Frau), die ich gerne neudeutsch auch als door opener der Seele beschreibe.
Einen neutralen Dritten, der uns hilft, sich aus den eigenen Fesseln, Selbstsichten und Scheuklappen durch verständnisvolles Zuhören selbst zu befreien.
Wir halten es nicht aus, weil und wenn uns dieser besondere, signifikante Andere fehlt, da er uns irgendwo auf dem Weg, auf den Sprossen der Karriereleiter, abhanden ging und vielleicht auch in unserer säkularen Welt so mir nichts dir nichts verloren ging. Für viele Menschen reichte nämlich früher schon der Gang zur Beichte, dieses urkatholische Entlastungs- und Reinigungsritual der Seele in vielen Fällen. Wie auch immer?!
Nicht das Arbeitsklima, der Stress oder die Arbeitsbelastung sind daher für mich die Hauptursachen von Burn-Out und Depressionen, die durch alle Bevölkerungsschichten und Berufsbilder zu den Krankheitsbildern unseres postmodernen Zeitalters mutieren, sondern der Verlust an echter Kommunikation, an Offenheit und Ehrlichkeit. Denn wir alle brauchen diese eine besondere Person wie die Luft zum Atmen, vielleicht nicht gerade heute, nicht jeden Tag und nicht zu jeder Jahreszeit, sondern genau in diesem einen Moment, in dem alles unerträglich erscheint – und wenn alles gut läuft und wir weise genug sind, schon vorher. Denn allein das Wissen, dass es ihn wirklich gibt, kann nicht nur Sicherheit bieten, sondern im Vorfeld schon entlastend wirken.
In der Regel kann dies aber leider auch der beste Freund in Gänze nicht leisten (Ausnahmen bestätigen die Regel). Ehefrauen/Ehemänner sind auch deutlich ungeeignet in solchen Momenten, da solche Gespräche doch häufig mit Scham, Furcht und Ängsten des Imageverlustes (neudeutsch standing) verbunden sind. Gesucht ist hier nämlich Neutralität und Nähe, Sicherheit und Freiraum.
Die wahren Berater oder Coachs sind meines Erachtens daher vor allem erstklassige Zuhörer, Frager und Erfrager, die Hilfe zur Selbsthilfe bieten, statt irgendwelchen Motivations- und Beratermüll von der Stange. Hier sind also echte, neutrale Partner gefragt, die nicht nur diese „eine“ Situation – unsere Lebenswirklichkeit – sondern auch die Spezifika unseres Arbeitsumfeldes verstehen können, schlicht die unsere ureigene Sprache sprechen und verstehen. Man findet sie bestimmt nicht an jeder Ecke, doch es gibt sie und sie sind der Garant, dass wir es aushalten.
Es ist mehr als an der Zeit, sich dies (vgl. mein Eingangszitat von Thomas Bernhard) einzugestehen.
Denn ich glaube es war Paul Laker, der einmal einen Western für Erwachsene dadurch charakterisierte, dass der Held am Ende des Films klüger ist als sein Pferd – oder wie es ein russisches Sprichwort auf den Punkt bringt: Ein kluger Mensch versucht nicht den Weg zu finden, er fragt…
In diesem Sinne wünsche ich uns allen diesen einen besonderen Menschen, diesen Leuchtturm in der Dunkelheit.
Ihr Ulrich B Wagner
Zum Autor:
Ulrich B. Wagner, Jahrgang 1967, studierte Psychologie, Soziologie und Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang von Goethe Universität in Frankfurt am Main.
Er ist geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Kommunikation, Coaching und Managementberatung (ikcm) mit Sitz in Bad Homburg und Frankfurt am Main und gleichzeitig Dozent an der european school of design für Kommunikationstheorie sowie Werbe- und Konsumentenpsychologie.
Ulrich Wagner arbeitet als Managementberater und systemischer Coach mit den Schwerpunkten Business- und Personal Coaching, Kommunikations- und Rhetoriktrainings, Personalentwicklung, Begleitung von Veränderungsprozessen und hält regelmäßig Vorträge und Seminare.
Zu erreichen: via Website www.ikcm.de, via Mail uwagner@ikcm.de, via Xing und Facebook (Ulrich B Wagner).