Die Furcht der Politik vor der Demokratie aus dem Netz

Nachdem die neoliberale FDP am vergangenen Wochenende im Saarland eine heftige Schlappe hat einstecken müssen, trat der FDP-Politiker Döring vor die Kameras und gab dort seine Meinung zum Wahlausgang zum Besten. Während seiner Ausführungen kam er auch auf das Thema Piratenpartei zu sprechen. Er warf den Politikneulingen vor, dass diese sich an der „Tyrannei der Masse“ orientieren würden.

Ein inhaltlich ähnliches Statement wurde nun aus Brüssel bekannt. In einem Sachstandsbericht der Europäischen Kommission wird über eine aggressive, pan-europäische Kampagne gegen ACTA berichtet, die von einer demokratisch nicht legitimierten Masse aus dem Internet getragen werde.

An diesen zwei Beispielen zeigt sich eine bedauernswerte Einstellung manch machthabender Politiker in Sachen Demokratie. Damit soll nicht ausgedrückt werden, dass die betreffenden Personen oder Institutionen undemokratisch seien, sondern lediglich, dass diese nicht in der Lage sind, sich an die momentan ablaufende Transformation des politischen Verständnisses der Bevölkerung zu gewöhnen.

Belief sich demokratische Partizipation bisher überwiegend auf die Teilnahme an Wahlen oder dem politischen Stammtisch in der Dorfkneipe, spürt der normale Bürger immer mehr, dass es ihm möglich ist, über das Internet eine aktivere Rolle im demokratischen Prozess zu übernehmen. Sei es der arabische Frühling, Stuttgart 21, ACTA, SOPA, PIPA oder schlichter Wahlkampf: Die Teilnahme der Masse kann durch den Eintritt in die Netzgemeinde vollzogen werden. Themen werden formuliert, diskutiert, erweitert, verbessert oder auch verworfen. Eine Rolle, die über viele Jahre hinweg den traditionellen Medien vorbehalten war, wird nun nicht von Einzelnen, sondern von Vielen übernommen.

Doch dieser Umstand gefällt nicht allen. Erinnert sei hier nur kurz an Ansgar Hevelings Kriegserklärung an die Netzgemeinde, die bereits deutlich machte, wie sich manche Politiker ihr Internet wünschen: Am besten ein paar Sportnews, niedliche Bilder von lächelnden Katzen oder Omas Backrezepte. Aber Einfluss auf die tagespolitische Agenda? Nein, danke.

Umso schmerzvoller ist es zu beobachten, wie manche Teile etablierter Machtstrukturen bei wachsender Partizipation und direkter Meinungsbildung in Panik verfallen und der Masse die demokratische Legitimation abzusprechen versuchen. Da stellen sich mehrere Fragen: Wer bestimmt, was demokratisch legitimiert ist? Ist es Demokratie wenn die BILD-Zeitung Agenda-setting betreibt und Politiker auf deren Schiene aufspringen? Ist es Demokratie, wenn in einem stillen Kämmerlein einer Branche Vorteile eingeräumt werden? Ist es Demokratie, wenn Industrieverbände mehr Einfluss auf die Gestaltung politischer Prozesse haben, als die Wähler?

Es gibt Vieles in unserem politischen System was das Label „demokratisch nicht legitimiert“ verdient, aber ein Meinungsbildungsprozess und eine Meinungsartikulierung gehören definitiv nicht in diese Kategorie.

(sm)

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