DIW: Keine weitere Erhöhung der Einkommensungleichheit seit 2005, Armutsrisiko sinkt geringfügig

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sieht Anzeichen für einsetzende Kehrtwende bei Einkommensungleichheit – Armutsrisiko sinkt gleichwohl nur geringfügig

Die Einkommen in Deutschland waren im Jahr 2010 etwas weniger ungleich verteilt als noch fünf Jahre zuvor. Gleichzeitig ist die Armutsrisikoquote ausgehend von einem historischen Höchstwert leicht auf 14 Prozent der Bevölkerung zurückgegangen. Das zeigen neue Analysen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zur personellen Einkommensverteilung auf Basis der zusammen mit TNS Infratest Sozialforschung erhobenen Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). „Der jahrelange Trend einer Erhöhung der Einkommensungleichheit scheint gestoppt“, sagt DIW-Ökonom Markus M. Grabka. „Allerdings bleiben Unsicherheitsfaktoren bestehen: Die Konjunktur trübt sich derzeit ein und die aktuell noch gute Arbeitsmarktentwicklung könnte von der Euro-Krise gebremst werden.“

Im Rahmen der Studie hat das DIW Berlin frühere Untersuchungen aktualisiert und erweitert. Damit einher geht ein Wechsel in der Form der Präsentation der Befunde: Fortan werden die Ergebnisse analog zum Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung für das Jahr ausgewiesen, in dem die befragten Personen das Einkommen erhalten haben (Einkommensjahr), und nicht mehr wie früher für jenes Jahr, in dem die Daten erhoben wurden (Befragungsjahr).

Einkommen sind von 2005 bis 2010 gestiegen

Der aktuellen Untersuchung zufolge sind die jährlichen Markteinkommen, die sich vor allem aus den Erwerbseinkommen und zusätzlich den Kapitaleinkommen zusammensetzen, in Westdeutschland von 2005 bis 2010 um knapp vier Prozent oder 1.000 Euro gestiegen, in den neuen Bundesländern fiel der Anstieg mit 20 Prozent (2.900 Euro) noch deutlich stärker aus. „Nach einer rückläufigen Entwicklung bis ins Jahr 2005 erfolgte die Trendwende in der Einkommensentwicklung vor allem dank der guten Arbeitsmarktentwicklung“, sagt DIW-Verteilungsexperte Jan Goebel.

Ähnlich positiv gestaltet sich die Entwicklung bei den verfügbaren Einkommen, welche die Einkommen einschließlich gesetzlicher Transferzahlungen und abzüglich Steuern und Sozialabgaben darstellen. Nach Rückgängen zu Beginn des Jahrtausends stiegen die jährlichen verfügbaren Einkommen zwischen 2005 und 2010 im Westen Deutschlands um drei Prozent (600 Euro) und im Osten sogar um sieben Prozent (1.100 Euro), wenngleich die ostdeutschen Einkommen im Mittel (Median) weiterhin nur vier Fünftel des westdeutschen Einkommensniveaus erreichen.

Betrachtet man die Entwicklung in Deutschland insgesamt nur von 2009 auf 2010, so konnten besonders die unteren Einkommensgruppen profitieren: Um überdurchschnittliche zwei Prozent stieg das verfügbare Einkommen der ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung, während die mittleren und oberen verfügbaren Einkommen stagnierten. „Der ärmere Teil profitierte von höheren Tariflohnsteigerungen und einem Anstieg der Zahl von Personen mit Erwerbseinkommen um 700.000, während der reichere Teil der Bevölkerung Rückgänge bei den Einkommen aus Vermögen hinnehmen musste“, erklärt Grabka.

Ungleichheit der verfügbaren Einkommen in Ostdeutschland stagniert

Trotz dieser Entwicklung stagniert in Ostdeutschland die Ungleichheit der Verteilung bei den verfügbaren Einkommen, ein für die untere Hälfte der Verteilung sensitiverer Index (MLD) zur Quantifizierung des Grades an Ungleichheit zeigt sogar einen Anstieg. Anders in den alten Bundesländern: Hier ist der Gini-Koeffizient, ein Standardmaß zur Messung von Einkommensungleichheit, um vier Prozent gesunken. Der für die untere Hälfte der Verteilung sensitivere Index zeigt sogar einen Rückgang der Ungleichheit um neun Prozent. Bei den Markteinkommen hingegen profitieren die ostdeutschen Bundesländer stärker: Um neun Prozent ist der Gini-Koeffizient dort gesunken, im Westen Deutschlands um drei Prozent. Damit ist die Ungleichheit bei den Markteinkommen auf den Stand vom Beginn des letzten Jahrzehnts zurückgegangen.

Aus den Einkommenszuwächsen und der Verringerung der Ungleichheit resultiert jedoch kein deutlicher Rückgang des Armutsrisikos. 14 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen mussten 2010 mit höchstens 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens der Gesamtbevölkerung auskommen (990 Euro). Nach einem historischen Höchststand der Armutsrisikoquote von 15 Prozent im Jahr 2009 infolge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise entspricht das nur einer leichten Besserung. „Zudem beschränkt sich die leichte Verbesserung auf Westdeutschland, in Ostdeutschland lebt noch immer jede fünfte Person unterhalb der Armutsrisikoschwelle“, sagt DIW-Verteilungsforscher Grabka. „Insgesamt scheint es Deutschland aber gelungen zu sein, die sozialen und ökonomischen Risiken der Wirtschafts- und Finanzkrise einzugrenzen.“

Armutsrisiko sinkt mit Vollzeitjob und steigt mit Anzahl der Kinder

Am stärksten vom Armutsrisiko betroffen sind Jugendliche und junge Erwachsene bis 24 Jahre. Letztere sind besonders aufgrund des verstärkten Trends zum Hochschulstudium gefährdet, da der Start ins Berufsleben hinausgezögert wird. Zudem müssen Berufseinsteiger immer häufiger mit prekären Beschäftigungsverhältnissen oder schlecht bezahlten Praktika Vorlieb nehmen. Das Armutsrisiko dieser Gruppe ist aufgrund der steigenden Beschäftigung gegenüber 2005 zwar um fünf Prozentpunkte gefallen, liegt mit 19 Prozent aber weiterhin über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.

Bei Betrachtung verschiedener Haushaltstypen zeigt sich das mit Abstand größte Armutsrisiko nach wie vor bei Alleinerziehenden. Das Risiko steigt dabei mit der Anzahl der Kinder: Alleinerziehende mit einem Kind sind in einem Drittel aller Fälle armutsgefährdet, mit zwei oder mehr Kindern sogar zu fast 50 Prozent. Der Zusammenhang zwischen Armutsrisiko und Kinderzahl zeigt sich gleichwohl auch bei Paaren. Der beste Schutz vor Armut ist nach wie vor eine Erwerbstätigkeit: Das Armutsrisiko sinkt gemäß den SOEP-Analysen um zehn Prozentpunkte, wenn mindestens eine Person im Haushalt einer Vollzeittätigkeit nachgeht.

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Über das Sozio-oekonomische Panel (SOEP)

Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Das SOEP ist am DIW Berlin angesiedelt und wird als Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft (WGL) von Bund und Ländern gefördert. Für das SOEP werden jedes Jahr mehr als 20 000 Menschen in rund 11 000 Haushalten vom Umfrageinstitut TNS Infratest Sozialforschung befragt. Die Daten des SOEP geben unter anderem Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung und Gesundheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.

(Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung 2012)

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Links:

– Zur Aussagekraft von Einkommens- und Armutsstatistiken. Ein Kommentar von Gert G. Wagner im DIW-Wochenbericht 43/2012 | PDF, 220.09 KB

– „Leichter Rückgang der Einkommensungleichheit in Westdeutschland“ Fünf Fragen an Markus Grabka (DIW) | Das Interview steht sowohl als PDF-Dokument | PDF, 156.72 KB  zur Verfügung als auch als O-Ton | MP3, 2.69 MB

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