Fachkräftemangel mit Frauenpower begegnen – Projekt „FUTURE IS FEMALE“

Der Fachkräftemangel ist ein viel und heiß diskutiertes Thema dieser Tage. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen hatte dies im April letzten Jahres bei einer Tagung der Bertelsmann-Stiftung folgendermaßen formuliert: „Strukturwandel durch den technischen Fortschritt und der demographische Wandel“ – dies seien die zwei großen Trends des Arbeitsmarktes, auf die sich Deutschland künftig einstellen müsse. Der ängstliche Blick richtet sich also vor allem in die Zukunft, wenn es aufgrund des demographischen Wandels immer weniger Absolventen geben dürfte, um die sich dann die Branchen immer verbissener reißen werden. Der Fachkräftemangel ist vor allem eines: Ein Problem der nahen Zukunft, das allerdings in einigen Branchen schon jetzt zum tragen kommt. So engagiert sich beispielsweise die Initiative „MINT – Zukunft schaffen“ bereits seit einigen Jahren, den Fachkräftenachwuchs für die Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) zu begeistern.

An der Universität Augsburg arbeitet man hingegen mit einem anderen Ansatz: Ziel ist die Lösung des Problems. Mittel zur Lösung ist dabei das ungenützte Potential an Frauenpower, an weiblicher Arbeitskraft. Nach einjährigen Vorbereitungen beginnt nun im September 2011 das Projekt „FUTURE IS FEMALE“. In Zusammenarbeit mit ausgewählten Unternehmen wird in dem Projekt versucht, das bislang immer noch zu großen Teilen ungenutzte Arbeitskräftepotenzial von hoch qualifizierten Berufs-Wiedereinsteigerinnen, Alleinerziehenden, älteren Arbeitnehmerinnen, Frauen mit Migrationshintergrund sowie qualifizierten Aufsteigerinnen freizusetzen. Hier wird also nicht darauf gewartet, dass aus den Bundesministerien „von oben herab“ etwas fortschrittliches verordnet wird. Statt dessen wird mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) zusammen quasi von unten herauf eine Unternehmenskultur begründet, die eine Integration von Familie und Beruf erlaubt und womit sich dann der Fachkräftemangel für diejenigen Unternehmen beheben lässt, die sich auf eine fortschrittliche und ganzheitliche Unternehmenskultur einlassen und die die Ökonomie mit den persönlichen Werten und Bedürfnissen ihrer Beschäftigten verbinden.

Dass rein theoretisch das Potenzial zum Decken der Nachfrage an Fachkräften vorhanden ist, zeigt der Blick auf die Daten und Fakten:
– nur 56% aller erwerbstätigen Frauen arbeiten in Vollzeit. Könnten nur 10% der Frauen von Teilzeit auf Vollzeit wechseln, wären dadurch bereits 600.000 Vollzeit- Stellen gewonnen (Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2011).
– 75,8% der Ausbildungsanfängerinnen konzentrieren sich auf 25 Berufe, unter denen sich lediglich 2 Fertigungsberufe wiederfinden (Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2011).
– der Frauenanteil in den MINT- Studienfächern liegt lediglich bei 20%. Paradoxerweise ist die Arbeitslosigkeit beispielsweise unter Ingenieurinnen doppelt so hoch wie bei ihren männlichen Kollegen. Die zukunftsweisende Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie sie uns die skandinavischen Länder vorleben (im übrigen auch für Väter), ist eben noch lange nicht in Deutschland angekommen. (Quelle: OECD Employment Outlook 2010).
– 640.000 alleinerziehende Frauen können in Deutschland ihrem Beruf nicht nachgehen. Gleichzeitig lebt jedes 4. Kind einer Alleinerziehenden nur knapp über der Armutsgrenze. (Quelle: BMFSFJ 2010).
– 1,7 Millionen Frauen haben Kinder im Grundschulalter, nur jede 5. dieser Mütter arbeitet in Vollzeit (17%). Gleichzeitig gibt jede Dritte dieser 1,7 Millionen Frauen an, wieder mehr arbeiten zu wollen (Quelle: BMFSFJ 2010).
– nur 56% der 55-64jährigen waren im Jahr 2009 erwerbstätig. Bei Frauen sinkt die Erwerbstätigenquote ab dem 59. Lebensjahr drastisch ab (Quelle: BMFSFJ 2010).
die Schul-, Hochschul- und Berufsabschlüsse von mehr als 500.000 in Deutschland lebenden Migrant/innen werden nicht anerkannt. Kulturelle, soziale und sprachliche Kompetenzen dieser Menschen gehen für Unternehmen verloren (Quelle: BMFSFJ 2010).
– in den Geschäftsführungen des bundesdeutschen Mittelstandes ist nur in jedem fünften Unternehmen eine Frau vertreten. Mit steigender Bilanzsumme der Unternehmen sinkt der Frauenanteil auf den Karrierestufen drastisch ab: Über 90% der 100 größten deutschen Konzerne haben keine einzige Frau im Vorstand. Der Frauenanteil in den Vorständen der 200 größten Unternehmen lag Anfang 2011 gerade einmal bei 3,2%, bei den 30 größten im Dax gelisteten Konzerne sind ebenfalls nur fünf der 186 Vorstandsposten weiblich besetzt. Dabei würden sich für die deutschen Unternehmen mehr weibliche Führungskräfte auch finanziell rechnen: Frauen verdienen in Deutschland mit durchschnittlich 23% immer noch deutlich weniger für die gleiche Arbeit, als ihre männlichen Kollegen. (Quelle: AGITANO)

Das Projekt FUTURE IS FEMALE will das ändern. Denn wenn die Nachfrage vorhanden ist und das Angebot ebenso, aber der Bedarf trotzdem nicht behoben werden kann, dann müssen Brücken gebaut und anachronistische Widerstände überwunden werden. Das Projekt wird vom Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert. Ziel ist es, kleine und mittlere Unternehmen dabei zu unterstützen, qualifizierte Frauen als Fach- und Führungskräfte zu gewinnen. Über 20 ausgewählte KMU aus ganz Bayern erhalten in dem Projekt über zwei Jahre hinweg die einmalige Möglichkeit, geeignetes weibliches Personal zu rekrutieren, zu qualifizieren, zu entwickeln und vor allem auch langfristig an das eigene Unternehmen zu binden. Mittels der Strategie des Gender & Diversity Management werden gemeinsam mit jedem einzelnen KMU maßgeschneiderte Konzepte zur Fach- und Führungskräftesicherung entwickelt, indem personalpolitische Ist-Zustände vor Ort analysiert, Entwicklungspotenziale benannt, Maßnahmen zu deren Realisierung empfohlen und diese gemeinsam mit den Unternehmensverantwortlichen realisiert werden.

Denn, so formuliert es das Projekt treffend, nur wer es schafft, Veränderungen professionell zu managen und dabei den laufenden Betrieb so wenig wie möglich zu belasten, kann dem Fachkräftemangel souverän und effektiv begegnen. Die Lösung wird also nicht per Gesetz verordnet, sondern liegt bereits in jedem einzelnen Unternehmen. Und nur die Unternehmer, die den Müttern und Vätern unter ihren Angestellten genügend Freiraum für ein Familienleben lassen, können langfristig damit rechnen, von dem Fachkräftemangel verschont zu bleiben.

Wir werden auf AGITANO, dem Wirtschaftsforum für den Mittelstand, das Projekt eingehend beobachten und ausführlich über Zwischenergebnisse berichten.
 

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