Hochfrequenzhandel bedroht Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte

Dr. Georg Erber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Wettbewerb und Verbraucher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Der Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder.

Am 1. August war es wieder einmal so weit. Die KnightCapitalGroup verlor durch eine Fehlfunktion eines ihrer Programme beim computerisierten Handel innerhalb von 45 Minuten rund 450 Millionen US-Dollar. Dadurch geriet der Börsenhändler in eine existentiell bedrohliche Lage und musste rasch durch eine Finanzspritze der Citadell LLC in Höhe von 500 Millionen US-Dollar vor dem Kollaps gerettet werden. Dumm gelaufen, könnte man sagen.

Allerdings können fehlerhafte Computerprogramme in einer immer mehr vernetzten Welt sehr schnell weitreichende Folgen haben. „Flash Crashs“, wie der am 6. Mai 2010, als ohne erkennbaren Grund plötzlich der Dow Jones Industrial Average Index innerhalb kurzer Zeit um 1 000 Punkte nach unten rauschte, haben nicht nur den Betreiber der fehlerhaften Software geschädigt. Ökonomen sprechen hier auch von negativen Externalitäten, die einzelne Marktteilnehmer anderen zufügen können. Ähnlich wie beim Umweltschutz durch unkontrollierte Emissionen von Schadstoffen in die Umwelt führen Funktionsstörungen von Handelssoftware einzelner Unternehmen zu massiven Schädigungen anderer Marktteilnehmer. Offenbar gilt die Aussage von US-Großinvestor Warren Buffett, Finanzderivate besäßen das Potential von Massenvernichtungswaffen,auch für den derzeit weitgehend unkontrollierten Hochfrequenzhandel. Wer innerhalb von Millisekunden Arbitragegeschäfte tätigen will, der kann dies nicht mehr von Menschen ausführen lassen, sondern nur von vollautomatischen Softwareprogrammen. Diese Programme basieren auf vereinfachten Modellannahmen. Weicht die Realität gravierend vom Modell ab, dann führt der Modellfehler zu fatalen Folgen. Mithin gilt hier wie für alle Technologien Murphy‘s Law. Nur sind hier die dabei entstehenden finanziellen Risiken unkalkulierbar. Offenbar fehlt es bisher an angemessenen Sicherungsmechanismen, die diese Fehlfunktionen rechtzeitig erkennen und stoppen können. Trotzdem bleibt die Versuchung groß, den computerisierten Börsenhandel immer weiter in Richtung Hochfrequenzhandel auszuweiten, da er unter normalen Bedingungen quasi eine Lizenz zum Gelddrucken darstellt. Nur unter bestimmten Marktlagen oder eben auch bei fehlerhaftenProgrammen entstehen in Windeseile gewaltige Verluste. Wie bei der Kernenergie kann es lange Zeit gutgehen, aber wenn der Schadensfall wie in Tschernobyl oder Fukushima eintritt, sind die Kosten gewaltig.

Offenbar haben die bisherigen Bemühungen der amerikanischen Börsenaufsicht SEC, hier regulatorisch Sicherungen gegen Flash Crashs einzubauen, bisher wenig gefruchtet. Es ist weiterhin möglich, dass einzelne Marktteilnehmer mit ihrer Gier nach dem schnellen Gewinn sich selbst ruinieren und zugleich Systemrisiken heraufbeschwören. Der Versuch, den Hochfrequenzhandel durch eine Finanzmarkttransaktionssteuer unattraktiv zu machen, hat wegen der fehlenden weltweiten Unterstützung, insbesondere der USA und Großbritanniens, derzeit keine Chance, das Problem rasch und nachhaltig zu beseitigen. Frankreichs Versuch, mit einer Transaktionssteuer für Aktien französischer Aktiengesellschaften auch den Hochfrequenzhandel einzudämmen, bleibt eben nur eine homöopathische Dosis. Solange die globale elektronische Vernetzung der Finanzmärkte immer weiter voranschreitet, wachsen die Risiken und damit die Schadenssummen. Die Politik sieht dem weitgehend tatenlos zu, und die staatlichen Regulierer hoffen auf den Placeboeffekt halbherziger Maßnahmen. Die Zeche zahlen am Ende die Bürger, die direkt oder indirekt für die Schäden haften müssen, ob sie wollen oder nicht. Eigennutz Weniger geht vor Gemeinwohl. Leider.


Weiterführende Informationen der AGITANO-Redaktion:

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